Gedenken

»Die haben den Juller Hirsch ermordet«

Julius Hirsch Foto: dpa

Wenige Tage nach Beginn der Fußball-EM in Polen und der Ukraine wird eine Delegation des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die KZ-Gedenkstätte Auschwitz besuchen. Die Spieler Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger werden dabei sein, auch Trainer Jogi Löw und Manager Oliver Bierhoff. Was der Nationalmannschaftsfußball mit Auschwitz zu tun hat, das zeigt die Geschichte von Julius Hirsch, von 1911 bis 1914 Nationalspieler, ermordet vermutlich 1943 in Auschwitz.

länderspiele »Dieser Linksaußen spielt jetzt immer«, hatte der englische Trainer William Townsley 1909 nach einer Partie des Karlsruher Fußball-Vereins gegen den Freiburger FC gesagt. Er meinte den 17 Jahre alten Julius Hirsch, der sein Debüt in der Ersten Mannschaft der Karlsruher mit einem Tor gekrönt hatte. Es war ein vielversprechender Auftakt. 1910 wurde Hirsch mit dem Karlsruher FV Deutscher Meister, 1914 mit der SpVgg Fürth. Mit der süddeutschen Auswahl gewann er den Kronprinzenpokal, war bei Olympia 1912 dabei und schoss in sieben Länderspielen vier Tore.

Julius Hirsch ist nicht nur einer der erfolgreichsten Spieler seiner Zeit gewesen, sondern auch einer der nur zwei jüdischen Spieler, die je für den DFB aufgelaufen sind. Der Autor Werner Skrentny hat nun eine Biografie über Julius Hirsch vorgelegt. Durch jahrelange Recherche in Archiven und Bibliotheken sowie Gesprächen mit den Nachkommen gelang es Skrentny, Hirschs Leben nahezu lückenlos zu dokumentieren: die sportlichen Erfolge, den Kriegsdienst von 1914 bis 1918, Berufstätigkeit und Familienleben in den 20er-Jahren, Ausgrenzung und Zwangsarbeit in der Nazizeit und schließlich 1943 die Deportation nach Auschwitz.

Bereits 1993 führte Skrentny ein Interview mit Hirschs Sohn Heinold. Bei der Arbeit zu einem früheren Buch hatte er in einer DFB-Chronik diesen Hinweis zu Hirsch gelesen: »gestorben 1939/45 im Ghetto«. Skrentny sagt: »Da habe ich angefangen zu recherchieren.«

interviews Für die Zeitzeugen war es dabei nicht immer einfach, über die Vergangenheit zu sprechen. Mit Hirschs Tochter Esther, die im Februar 1945 mit ihrem Bruder nach Theresienstadt deportiert worden war, hat Skrentny 2006 ein Interview geführt. »Die Erinnerungen haben sie jedoch sehr aufgewühlt, wir haben die Korrespondenz dann schriftlich fortgeführt«, sagt er.

Auch mit den beiden Töchtern von Gottfried Fuchs in Montreal hat Skrentny gesprochen. Der Karlsruher Mitspieler und Freund von Julius Hirsch war der zweite jüdische Nationalspieler Deutschlands; seine zehn Tore gegen Russland bei den Olympischen Spielen 1912 sind bis heute Rekord. Fuchs und seiner Familie gelang es, 1938 nach Kanada zu emigrieren. »Bei den Gesprächen hat man gemerkt, wie nachhaltig sich die Vertreibung auswirkt«, sagt Skrentny, »es gab zunächst eine gewisse Skepsis«. Fuchs ist nach dem Krieg oft nach Deutschland gereist, aber seinen alten Verein hat er nie besucht – »weil die den Juller Hirsch ermordet haben«, wie er sagt.

Skrentnys Buch dokumentiert auch den langen Weg der Erinnerung an die ermordeten Fußballer. »Der DFB und der KFV haben Hirsch ignoriert«, sagt Skrentny. Dabei hatte Heinold Hirsch beim DFB angeregt, einen Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof Karlsruhe zu errichten. Und als Ex-Bundestrainer Sepp Herberger dem DFB 1972 vorschlug, Gottfried Fuchs zum Olympia-Länderspiel gegen die Sowjetunion einzuladen, lehnte der Vorstand ab: Damals saßen dort noch zwei ehemalige NSDAP-Mitglieder und ein Veteran des SS-Totenkopf-Regiments.

ehrung Inzwischen hat sich viel zum Besseren gewendet. Heute sind nach Julius Hirsch Sportanlagen in Pfinztal und Berlin benannt, vor seinem letzten freiwilligen Karlsruher Wohnsitz liegt ein sogenannter Stolperstein, seit 2005 verleiht der DFB jährlich den Julius-Hirsch-Preis, und während der Fußball-EM wird eine Delegation Auschwitz besuchen und damit auch Julius Hirsch ehren.

Schließlich hat Skrentnys Buch die Familien der Freunde Julius Hirsch und Gottfried Fuchs einander wieder nähergebracht. »Der Enkel von Julius Hirsch, An- dreas Hirsch, hat da guten Kontakt«, erzählt Skrentny. »Und Ende Juli plant die Familie Fuchs eine Reunion in der Nähe von Montreal, zu der auch die Hirschs eingeladen sind.«

Werner Skrentny: Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet. Biografie eines jüdischen Fußballspielers, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2012, 352 S., 24,90 €

Australien

Polizei: Angreifer in Sydney waren Vater und Sohn 

Weitere Details des judenfeindlichen Terroranschlags werden bekannt

von Denise Sternberg  14.12.2025

Hintergrund

Der Held von Sydney

Laut australischen Medien handelt es sich um einen 43-jährigen muslimischen Vater von zwei Kindern, der einen Laden für lokale Produkte betreibt

 14.12.2025

Jerusalem

Israels Regierungschef wirft Australien Tatenlosigkeit gegen Judenhass vor

Nach einem Anschlag in Sydney fordert Netanjahu von Australien entschlosseneres Handeln gegen Judenhass. Er macht der Regierung einen schweren Vorwurf

 14.12.2025

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert