Arye Sharuz Shalicar

Deutschland lässt mich nicht los

Arye Sharuz Shalicar Foto: dpa

Die Vergangenheit lässt mich nicht los. In Israel konnte ich zwar endlich ein glückliches und vor allem freies Leben beginnen. Doch ich bin mehrmals im Jahr in Deutschland, ich schreibe Bücher und Kolumnen für deutsche Medien, spreche mit meinen Kindern Deutsch – und wenn andere auch nur eine Minute zu spät zu einer Verabredung kommen, kann ich richtig ungemütlich werden.

Mein halbes Leben, knapp zwei Jahrzehnte, habe ich mittlerweile in Israel verbracht. Zuvor bin ich in Berlin aufgewachsen. In Deutschland wurde ich in meiner Jugend hunderte Male angefeindet, weil das Jüdische Teil meiner Identität war.

GEWALT Ich wurde nicht nur als »Drecksjude«, sondern auch als »Drecksisraeli« beschimpft – obwohl mich damals mit dem Judentum und mit dem Staat Israel nicht wirklich etwas verbunden hat; wahrscheinlich, weil ich als Kind sehr säkular eingestellter Eltern aufgewachsen bin.

Trotz des großen Leids, das ich in Berlin-Wedding über mich ergehen lassen musste, bin ich meinen Eltern heute sehr dankbar. Dafür, dass sie mir die Wahl gelassen haben, wie ich mein eigenes Leben und das meiner Kinder gestalten will. Auch mit Blick darauf, in welchem Rahmen ich mein Judentum meinen Kindern vermitteln will.

Schon mit 13 Jahren war ich verflucht als Israeli, der ich nicht war. Das war eine ziemlich absurde Situation. Doch weil Gewalt in meiner damaligen Umgebung eine große Rolle spielte, hatte ich keine Zeit, über meine angeklebte »israelische Identität« nachzudenken. Stattdessen musste ich um mein Leben fürchten. Ich musste lernen zu kämpfen, zu überleben, damals in Berlin-Wedding, in den 90er-Jahren.

Meine alte Heimat ist wie eine Narbe, die immer wieder aufplatzt.

Meine alte Heimat Berlin interessiert und beschäftigt mich nach wie vor sehr. Das ist einerseits ein Hobby, auf das man jeden Tag Lust hat. Andererseits erscheint es mir leider manchmal eher wie eine Droge, die mich zwar kurzfristig befriedigt, aber einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Eine Art Narbe.

HOBBY Eine Narbe, die droht, in meiner Haut immer tiefer sichtbar zu sein. Die in der Lage ist, mich beruflich und privat abzulenken. Denn ich stehe vor einem Dilemma: Kehre ich meinem Geburtsland den Rücken und konzentriere mich auf meine Zukunft? Oder investiere ich weiterhin enorm viel Zeit in mein »Deutschland-Hobby«, weil ich mich verpflichtet fühle, Deutschland zu helfen sowie Deutschland und Israel einander näherzubringen?

Und wie komme ich überhaupt darauf, zu denken, ich könnte Deutschland helfen? Nur sehr wenige haben das durchgemacht, was ich durchmachen musste. Ich stand nahe vor dem Tod, vor dem Selbstmord, vor einer langjährigen Haftstrafe. Ich war arm und habe mir trotz allen Hürden einen kleinen Wohlstand und Status erarbeitet. Womöglich schauen manche Menschen, denen es ähnlich geht, zu Menschen wie mir auf.

Wie komme ich überhaupt darauf, zu denken, ich könnte Deutschland helfen?

Die Gesellschaft in Deutschland, ähnlich wie auch in Israel, ist gespalten. Angst und Sorgen, Frust und Vorurteile, Rassismus und Naivität trennen Menschen. Überall! Wir müssen uns bemühen, Vertrauen aufzubauen, Ängste zu bekämpfen, Naivität abzulegen und die Dinge beim Namen zu nennen, die unangenehm sind. Rassismus hat noch nie zu etwas Positivem geführt, und das wird auch niemals so sein.

MUSLIME Egal ob von rechts, von links oder aus dem religiösen Spektrum – Radikalismus und Extremismus müssen immer abgelehnt werden. Was mir damals in Berlin entgegenschlug, war hauptsächlich muslimisch-arabischer Judenhass.

Berlin und Deutschland lassen mich nicht los. Kein jüdischer Jugendlicher sollte sich mehr so vollkommen hoffnungslos fühlen, wie ich mich damals gefühlt habe. Auch deshalb lässt Deutschland mich nicht los.

Der Autor ist ehemaliger Sprecher der IDF und Abteilungsleiter im Ministerium für Nachrichtendienste im Büro des israelischen Premierministers. Shalicars aktuelles Buch heißt »Der neu‐deutsche Antisemit. Gehören Juden heute zu Deutschland?«.

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Umbenennung

Yad-Vashem-Straße in Berlin: Wegner will schnelle Umsetzung

Nach der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem soll ein Straßenabschnitt im Herzen von Berlin benannt werden. Der Regierende Bürgermeister hofft auf eine schnelle Umsetzung

von Jonas Grimm  18.12.2025

Kairo

Ägypten: Angeblich Pläne für USA-Reise von Präsident al-Sisi

Seit Beginn des Gaza-Kriegs sollen Israels Premier und Ägyptens Staatschef keinen Kontakt gehabt haben. Wird sich al-Sisi mit Hilfe eines Gas-Deals zu einem Treffen in den USA bewegen lassen?

 18.12.2025

Bildungsministerkonferenz

Publizist Friedman: Leben jüdischer Kinder schlecht wie nie seit 1945

Schulen als Bildungsorte für Demokratie und Menschenrechte, gegen Hass und Antisemitismus: Der Publizist Michel Friedman sieht hier große Defizite in Deutschland

 18.12.2025

Australien

Polizei in Sydney stoppt Verdächtige – Pläne vereitelt?

Nur wenige Tage nach den tödlichen Schüssen an Sydneys weltberühmten Bondi Beach gibt es einen Einsatz von Anti-Terror-Einheiten. Die Verdächtigen sollen auf dem Weg zum Strand gewesen sein

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Thüringen

Klage der rechtsextremen AfD gegen Verfassungsschutzchef teils erfolgreich

In einem Punkt wurde den Klägern recht gegeben, in zwei anderen nicht. Es geht um Äußerungen von Stephan Kramer in einem Medienbericht

 18.12.2025

Verbundenheit

Chanukka und Advent: Licht gegen den Hass

Im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland versichert die Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehr der jüdischen Gemeinschaft ihren Beistand und ihre Solidarität

von Bischöfin Kirsten Fehrs  18.12.2025

Landgericht Berlin

Gericht: »From the River to the Sea« ist Aufruf zur Judenvernichtung

Die 2. Große Strafkammer des LG Berlin I hat einen Mann wegen der Verwendung der Parole zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun muss wohl der Bundesgerichtshof ein abschließendes Urteil fällen

 18.12.2025