Nationalsozialismus

Der Widerstand der Bibelforscher

Die Vorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien außer der AfD und der Linkspartei erklärten in einer Stellungnahme, die dpa vorlag, ihre Solidarität mit Israel. Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress

Nach dem Willen des Bundestages soll künftig in Berlin eine Gedenkstätte an die vom NS-Regime in Europa ermordeten Zeugen Jehovas erinnern. Die Würdigung kommt spät. Zumal die religiöse Gemeinschaft, die sich ursprünglich »Internationale Bibelforscher« oder »Ernste Bibelforscher« nannt, eine der ersten von den Nationalsozialisten verfolgten Gruppen war.

Aus ihrem Glauben heraus leisteten sie schon vor 1933 geschlossen Widerstand gegen die Nazi-Ideologie. Ein Grund für das späte Erinnern liegt wohl darin, dass ihre Zahl vergleichsweise klein war und sie abgesehen von den bekannten Missionierungen politisch nicht in Erscheinung traten. Der am Donnerstagabend in Berlin verabschiedete gemeinsame Antrag der Fraktionen von SPD, Union, Grünen und FDP zeichnet in groben Zügen ihre Leidensgeschichte nach.

Ablehnung des Antisemitismus Demnach griffen die Nationalsozialisten seit den frühen 1920er-Jahren die Bibelforscher wegen ihrer Ablehnung des Antisemitismus, des Rassismus und des Kriegsdienstes als Teil einer imaginären jüdischen Weltverschwörung an. »Jahrzehntelang gehörten Jehovas Zeugen, ähnlich den sogenannten ‚Asozialen‘, ‚Berufsverbrechern‘ sowie den aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Verfolgten, zu den lange Zeit ‚vergessenen Opfern‘ des Nationalsozialismus«, heißt es in dem Antrag.

Nach derzeitigem Forschungsstand erlitten mindestens 10.700 deutsche Zeugen Jehovas und 2700 aus den besetzten Ländern Europas direkte Verfolgung. So enteigneten die Nazis Angehörige der Gemeinschaft, zerstörten ihre wirtschaftliche Existenz, entzogen ihnen die Kinder oder folterten und ermordeten sie. 1250 der Verfolgten waren minderjährig, 600 Kinder wurden ihren Eltern weggenommen. Mindestens 1700 Zeuginnen und Zeugen Jehovas verloren durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft ihr Leben.

Etwa 2800 Zeugen Jehovas aus Deutschland und 1400 weitere aus Europa kamen in Konzentrationslager. In der Frühphase gehörten sie zu den größten Häftlingsgruppen. Unmittelbar nach 1933 stellten sie bis zu zwanzig Prozent der Häftlinge, in frühen Frauenkonzentrationslagern sogar bis zu 50 Prozent. Die SS kennzeichnete sie als eine eigene Häftlingsgruppe mit einem lilafarbenen Winkel. Der Antrag erinnert auch an Zeugnisse Überlebender der Konzentrations- und Vernichtungslager wie Juden, Sinti, Roma, politische und andere Häftlinge, wonach die Zeugen Jehovas »durch besondere Solidarität und Hilfsbereitschaft untereinander ebenso wie gegenüber anderen Häftlingen auffielen«.

Gezielt ermordet Der Antrag verweist auch auf weitere Besonderheiten der Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Dabei hebt er besonders darauf ab, dass sie gezielt ermordet wurden, weil sie den Kriegsdienst verweigerten. 282 wurden deshalb hingerichtet, weitere 55 Kriegsdienstverweigerer kamen in der Haft oder in Strafeinheiten ums Leben. Bei etwa 80 Prozent der Hinrichtungen infolge eines Gerichtsurteils handelte es sich um Zeugen Jehovas - bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung des Deutschen Reiches von etwa 0,03 Prozent.

Dies habe auch dazu geführt, »dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes unter Verweis auf die Zeugen Jehovas das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus religiösen und Gewissensgründen im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten«. Das würdigende Gedenken an diese Ermordeten hat damit bis heute die grundrechteorientierte politische Kultur unserer Demokratie geprägt, ohne dass der Hintergrund allgemein geläufig wäre.

Für das Gedenken kommt dem Berliner Tiergarten als historischem Ort des Widerstands der Zeugen Jehovas in Berlin eine besondere Bedeutung zu: Ein Stuhlverleih am dortigen Goldfischteich diente als Tarnung für geheime Treffen und war Schauplatz einer Verhaftungsaktion gegen führende Zeugen Jehovas durch ein Gestapo-Sonderkommando am 22. August 1936. Dieser Standort wird von Seiten der Opfergruppe, vertreten durch die von Überlebenden der NS-Verfolgung gegründete Arnold-Liebster-Stiftung, unterstützt. Hier soll künftig eine Gedenkskulptur mit Informationstafeln über die Verfolgung dieser Opfergruppe und die damit zusammenhängenden NS-Verbrechen informieren. Planung und Umsetzung des Denkmals soll die Bundesstiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas übernehmen.

Australien

Polizei: Angreifer in Sydney waren Vater und Sohn 

Weitere Details des judenfeindlichen Terroranschlags werden bekannt

von Denise Sternberg  14.12.2025

Hintergrund

Der Held von Sydney

Laut australischen Medien handelt es sich um einen 43-jährigen muslimischen Vater von zwei Kindern, der einen Laden für lokale Produkte betreibt

 14.12.2025

Jerusalem

Israels Regierungschef wirft Australien Tatenlosigkeit gegen Judenhass vor

Nach einem Anschlag in Sydney fordert Netanjahu von Australien entschlosseneres Handeln gegen Judenhass. Er macht der Regierung einen schweren Vorwurf

 14.12.2025

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert