Berlin

Der kalte Blick

Topographie des Terrors in Berlin Foto: imago images/epd

Die »Topographie des Terrors« steht auf einem geschichtsträchtigen Ort im Zentrum Berlins. Dort hatten ehemals mehrere Zentralstellen der Nationalsozialisten wie das Reichssicherheitshauptamt ihren Sitz. Nun informiert die Ausstellungsstätte unter anderem in Wechselausstellungen über die Gewaltherrschaft. In einer an diesem Mittwoch beginnenden Schau geht es unter dem Titel »Der kalte Blick« über einen wenig bekannten Aspekt.

Im Fokus steht die Begleitforschung des NS-Rassenwahns am Beispiel zweier Wiener Wissenschaftlerinnen. Es waren die Anthropologinnen Dora Maria Kahlich (1905-1970) und Elfriede Fliethmann (1915-1987) vom »Institut für deutsche Ostarbeit«, die sich mit einem Projekt profilieren wollten. Faktisch ging es um eine »Verwissenschaftlichung von Vorurteilen«, wie es in der Ausstellung heißt.

Der Rassismus der Nationalsozialisten erhielt auch Rückhalt aus der Wissenschaft.

Im März 1942 wählten sie dafür 106 Familien in der besetzten polnischen Stadt Tarnow aus, insgesamt 565 Männer, Frauen und Kinder. Sie ließen sie in der Art polizeilicher Fahndungsfotos aus mehreren Blickwinkeln aufnehmen. Zudem erfassten sie körperliche Merkmale wie Fingerabdrücke und dokumentierten biografische Daten. Zweck des Vorhabens: die »Erforschung typischer Ostjuden«. Wenige Wochen später wurden beinahe alle Opfer erschossen oder in den Gaskammern ermordet. Nur 26 überlebten den Holocaust.

BIOGRAFISCH Im Naturhistorischen Museum Wien blieben rund 2000 Fotos der Opfer in einer Schachtel erhalten, wo die Humanbiologin Margit Berner sie per Zufall fand. Durch jahrelange Archiv-Recherchen in Israel und den USA gelang es der Ausstellungskuratorin, viele biografische Angaben zu den Fotos und die wenigen überlebenden Zeitzeugen ausfindig zu machen. Deren Erinnerungen auf Ausstellungstafeln und an Medienstationen gehören zu den eindringlichsten Exponaten der Schau.

Bei der Konzeption waren sich die Ausstellungsgestalter eines besonderen Problems bewusst, wie Topographie-Direktorin Andrea Riedle betont. Sie wollten dem pseudowissenschaftlichen Voyeurismus der Rasseforscherinnen nicht distanzlos folgen. So sind die unter Zwang entstandenen anthropometrischen Fotos in einem schwarzen Kubus im Zentrum der Schau aus Respekt vor den abgebildeten Menschen zwar zu sehen, dem flüchtigen Blick aber zugleich entzogen. In einigen Fällen gelang es auch, mit Familienfotos aus früheren Tagen einen »warmen Blick« auf die Opfer zu zeigen.

Die Ausstellung zeichnet überdies das multikulturelle Zusammenleben im Tarnow der Vorkriegsjahre und die Abläufe des Völkermords nach.

Die Ausstellung zeichnet überdies das multikulturelle Zusammenleben im Tarnow der Vorkriegsjahre und die Abläufe des Völkermords nach. Dabei sind bislang unveröffentlichte Dokumente zu sehen, wie Co-Kurator Ulrich Baumann von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betont.

GÖTZ ALY Nach den Worten des Historikers Götz Aly, der die Schau ebenfalls mitgestaltete, steht Tarnow beispielhaft für die Vernichtung vieler kleinerer Ghettos unter nationalsozialistischer Herrschaft.

In einem Schlusskapitel geht es um das weitere Schicksal der beiden Rasseforscherinnen und der am Holocaust beteiligten Täter aus ihrem Umfeld. Vielen von ihnen gelang es nach dem Zweiten Weltkrieg, weitgehend unbehelligt zu bleiben.

So auch Dora Maria Kahlich. Sie wurde 1945 zwar aus dem Universitätsdienst entlassen. Zwei Jahre später durfte sie jedoch erneut als gerichtsmedizinische Gutachterin für strittige Vaterschaften tätig werden. Elfriede Fliethmann war bereits 1944 aus dem akademischen Dienst ausgeschieden. Sie arbeitete später als Sozialpädagogin in West-Berlin.

Die Ausstellung ist bis zum 11. April 2021 täglich von 10 bis 20 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Verteidigung

Merz und Pistorius nicht bei Einführung von »Arrow 3«

Die Bundesregierung hatte immer wieder betont, wie wichtig das israelische Raketenabwehrsystem für Deutschlands Sicherheit sei

 03.12.2025

Sydney

Jüdische Organisationen prangern »Geißel« Antisemitismus an

Im Fokus steht dieses Mal Australien. Es ist Gastgeber einer Konferenz der internationalen jüdischen Initiative »J7«. Sie stellt Zahlen zu Judenhass auf dem Kontinent vor - und spricht von historischen Höchstständen

von Leticia Witte  02.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  02.12.2025 Aktualisiert

Philosophie

Hannah Arendt und die Freiheit des Denkens

Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren ihr Lebensthema. Sie sah ihre Aufgabe als politische Denkerin darin, die Welt und die Menschen zu verstehen. Die politische Theoretikerin starb vor 50 Jahren

von Jürgen Prause  02.12.2025

Verteidigung

Deutschland stellt Arrow 3 in Dienst

Erstmals kommt das Raketenabwehrsystem außerhalb Israels zum Einsatz

 02.12.2025 Aktualisiert

Interview

»Die Altersarmut bleibt«

Aron Schuster über das Ende des Härtefallfonds, Einmalzahlungen und Gerechtigkeit für jüdische Rentner

von Mascha Malburg  02.12.2025

Meinung

Die neue AfD-Jugendpartei ist kein bisschen weniger extrem

Die »Junge Alternative« wurde durch die »Generation Deutschland« abgelöst. Doch die Neuordnung der AfD-Jugendorganisation diente keineswegs ihrer Entradikalisierung

von Ruben Gerczikow  02.12.2025

Berlin

Zentrum für Politische Schönheit errichtet »Walter Lübcke Memorial« vor CDU-Zentrale

Am Freitag soll außerdem eine Gedenkveranstaltung mit Michel Friedman durchgeführt werden

 02.12.2025