Botschaft

Der Freiheit Sinn

Zwanzig Finger, eine Einheit: Tradition, Geschichte und Religion verbinden Juden weltweit – über alle Grenzen hinweg. Foto: fotolia

In diesen Tagen gedenken wir des Auszugs unseres Volkes aus Ägypten. Es war der Exodus, der das jüdische Volk nicht nur in die neue Freiheit, sondern auch zum festen jüdischen Glauben führte und es erst zu einer Nation machte. Nach der Pessach-Tradition muss sich der Mensch in jeder Generation so betrachten, als habe er selbst Ägypten verlassen.

Dies hat nicht etwa mit einer dem Judentum oft nachgesagten Melancholie zu tun, sondern mit der Verantwortung, die wir auch heute als Nachfahren tragen: Uns einerseits um die Erhaltung der Freiheit des jüdischen Volkes zu bemühen und andererseits den jüdischen Glauben und den Zusammenhalt weiter zu stärken. Aus heutiger Sicht geht dies Hand in Hand mit der Stärkung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und dem Erhalt ihrer Einheit.

Sinai Wie wir aus der Tora lernen, verfielen unsere Vorfahren nach dem Auszug in die Wüste in eine Glaubenskrise. Sie zweifelten an Gottes Versprechen, sie in das Verheißene Land zu führen. Vier Jahrzehnte lang dauerte es, bis unsere Vorfahren reif waren, das Gelobte Land zu erreichen. Unterdessen erhielten wir am Fuße des Sinai die Zehn Gebote und nach traditioneller Überlieferung die gesamte Tora. Diese Gesetze, die zum moralischen Fundament der ganzen Welt wurden und uns durch alle Schicksalsschläge hindurch immer wieder eines lehrten: Unser Glaube macht uns stark. Darin finden wir den Kompass für unseren eigenen Weg zu einem verantwortungsbewussten Leben auf dem Pfad von Gut und Böse. Es ist das Gesetz, das unseren Vorfahren den Aufbau einer zukunftsgerichteten Nation ermöglichte.

Die äußere Freiheit, die wir als Juden heute genießen, ist in unserer Geschichte präzedenzlos. Auch in Deutschland leben Juden so frei wie niemals zuvor in der Geschichte, als Teil und Wirklichkeit der Gesellschaft. Das sollten wir würdigen – und das schätzen wir auch wirklich. Doch müssen wir, um diese Wirklichkeit zu erhalten, die Lehre des Auszugs aus Ägypten immer wieder aufs Neue beachten. Erst auf seiner Wanderung wurde das jüdische Volk zu einer glaubensstarken, einheitlichen Gemeinschaft – ein Zustand, den wir in einer Kette von jahrhundertelanger Tradition bis heute emotional weitertragen.

Kultur Natürlich bedeutet dies nicht, dass Einheit gleich Einfalt ist. Ganz im Gegenteil, heute sind wir in der glücklichen Lage, eine vielfältige und dynamische jüdische Gesellschaft hier in Deutschland zu haben. Diese Pluralität, dieser Reichtum ist der Nährboden für ein noch blühenderes jüdisches Leben, mit all seinen bunten Facetten. Judentum ist so viel mehr als nur die Einhaltung der 613 Gebote und Verbote. Es ist Kultur, Tradition, Wärme und emotionale Kraftquelle. Es ermuntert zu Vielfalt und unterschiedlichen Auffassungen. Wie langweilig wäre es, wenn wir alle die gleiche Meinung vertreten würden, wie still wäre es dann in den Jeschiwot, den Gemeindeversammlungen, ja sogar auch im Zentralrat!

In den beiden letzten Jahrzehnten haben wir dank der Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und dank des Engagements zahlloser Menschen eine lebendige und kraftvolle neue jüdische Infrastruktur geschaffen. Es werden in Deutschland endlich wieder Rabbiner ausgebildet, die Zahl der Religionslehrer steigt, wir beten in immer mehr Synagogen. Doch müssen wir noch viel mehr in jüdische Gelehrsamkeit, jüdische Solidarität, jüdische Einrichtungen und jüdische Gemeinden investieren: nicht nur Geld, sondern auch und vor allem Herz und Seele und noch mehr Begeisterung.

Haggada Es gibt einen weiteren, weniger erfreulichen Grund, aus dem Pessach für uns aktuell bleibt. In der Haggada heißt es: »In jeder Generation versuchen Feinde, uns auszulöschen.« Auch heute sieht sich die jüdische Gemeinschaft mit solchen Herausforderungen konfrontiert. Seien es Terrorgruppen, die Juden weltweit zur Zielscheibe erklären oder ein iranischer Präsident, der offen die Zerstörung des jüdischen Staates als Ziel deklariert.

Durch die Stärke der engen Verbundenheit innerhalb unserer jüdischen Gemeinschaft und mit der Kraft unseres Glaubens im Herzen werden wir dies jedoch nicht stillschweigend mit ansehen, sondern für das jüdische Volk und für die Sicherheit Israels stets leidenschaftlich eintreten. Spätestens jetzt dürfte jedem klar werden, dass wir schon lange keine Opfer mehr sind. Opfer haben keine Wahl – wir schon. Die Freiheit, in der wir heute leben, gibt uns die Wahl, ja sogar die Pflicht, uns für das einzusetzen, was uns am Herzen liegt, mit Nachdruck und Entschlossenheit.

Wir feiern dieses Pessach-Fest aus vollem Herzen. Wir verbinden uns auf diese traditionelle Weise mit so vielen Generationen von Juden vor uns und zugleich mit allen Juden auf der Welt heute und geben so die Verantwortung an die künftige Generation gleichzeitig weiter: Die kostbare Kette des Judentums bleibt ungebrochen.

Uns allen wünsche ich von Herzen ein fröhliches, ein wundervolles Pessach-Fest voller Wärme, Freude und Glück.

Pessach Sameach.

Der Autor ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Flensburg

Antisemitisches Schild löst Empörung aus

»Juden haben hier Hausverbot!« steht im Schaufenster eines Geschäftes. Aus der Lokalpolitik kamen deutliche Reaktionen

 18.09.2025

Antrittsbesuch

Merz reist nach Madrid: Differenzen in Haltung zu Israel

Insgesamt läuft es gut in den Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien. Bei einem Thema gibt es aktuell aber Streit

 18.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Washington D.C./Jerusalem

Trump und Netanjahu: Zerwürfnis nach Doha-Angriff

Hinter den Kulissen soll der amerikanische Präsident einem Zeitungsbericht zufolge über den israelischen Regierungschef geschimpft haben

 18.09.2025

Doha

Nach Schlag in Katar: Hamas-Anführer gibt TV-Interview

Ghazi Hamad, der als Planer der Massaker vom 7. Oktober gilt, gibt sich als Opfer des »zionistischen Feindes«

 18.09.2025

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025