Justiz

»Das Urteil ist eine Beleidigung«

Efraim Zuroff Foto: Flash 90

Herr Zuroff, ein Budapester Gericht hat am Montag den 97-jährigen mutmaßlichen Kriegsverbrecher Sandor Kepiro freigesprochen. Waren Sie schockiert von dem Urteil?
Ja, und da war ich im Gerichtssaal nicht der einzige. Selbst Kepiros Unterstützer waren völlig überrascht. Das Urteil ist eine Beleidigung des Andenkens der Opfer. Wir hoffen, dass die Revision erfolgreich sein wird.

Wie hat der Richter sein Urteil begründet?
Er hat die Verurteilung Kepiros durch ein ungarisches Gericht vor der Nazi-Invasion von 1944 völlig disqualifiziert. Das Urteil von 1948 hat er nicht anerkannt, weil, wie er sagte, es sehr wahrscheinlich sei, dass die Person, die damals gegen Kepiro ausgesagt hat, von den Kommunisten gefoltert wurde. Er erwähnte überhaupt nicht, dass die Verurteilung von 1944 nur wegen der Nazi-Invasion von einem ungarischen Gericht aufgehoben worden war.

Gab es noch andere Beweismittel?
Sie konnten nicht erwarten, dass Zeugen auftreten würden, um gegen Kepiro auszusagen. Vieles von dem, was wir wissen, wissen wir aufgrund des Urteils von 1944. Und Kepiro ist damals aus gutem Grund verurteilt worden. Er hat zugegeben, dass er in Novi Sad war. Nachdem die beiden wichtigsten Beweismittel nicht zugelassen wurden, blieb nichts mehr übrig. Das ist lächerlich und zeigt eine offensichtliche Befangenheit zugunsten Kepiros.

Vergangenen Monat starb in Klagenfurt Milivoj Asner, der während des Ustascharegimes Juden, Roma und politische Gegner hat deportieren lassen. Haben die beiden Fälle etwas gemeinsam? Und welcher hat Sie mehr getroffen?
Es gibt einen großen Unterschied. Asner wurde von den Österreichern beschützt. Sie haben sich geweigert, ihn an Kroatien auszuliefern oder selbst vor Gericht zu stellen. Kepiro hingegen ist vor Gericht gestellt worden, wenn auch viel zu spät. Zweifellos trifft mich der Fall Kepiro persönlich stärker, denn anders als im Falle Asner war ich derjenige, der ihn aufgespürt hat. Aber ich kann das nicht persönlich nehmen, denn es geht nicht um mich, sondern um die Sache.

Stimmt es, dass die rechtsextreme ungarische Jobbik-Partei Kepiros Verteidigung bezahlt hat?
Ich weiß nicht, ob es Jobbik selbst war, aber sie wurde von rechten Elementen in Ungarn finanziert.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Urteil und der derzeitigen politischen Lage in Ungarn?
Schwer zu sagen, aber möglich wäre es. Es ist vielleicht nicht unwichtig zu erwähnen, dass der Richter kürzlich im Mittelpunkt einer politischen Auseinandersetzung gestanden hat. Er hat einen Prozess gegen mehrere Personen geleitet, die während des sozialistischen Regimes Führer des ungarischen Geheimdienstes waren. Die regierende Partei hätte sie gern im Gefängnis gesehen, doch er weigerte sich. Das Urteil zugunsten von Kepiro könnte man als Wiedergutmachung interpretieren.

Wie haben die ungarischen Medien den Fall kommentiert?
Weitgehend so, wie man es erwarten konnte. Die rechtsgerichteten Zeitungen haben aus dem Freispruch eine große Sache gemacht, während die linken ihn heruntergespielt haben. Einige bösartige Kommentare kamen von einem Historiker jüdischer Herkunft, der mich wegen des Prozesses persönlich attackiert hat.

Was sind derzeit für Sie die neben Kepiro wichtigsten Fälle?
Wir arbeiten an dem Fall Klaas Faber in Ingolstadt, und wir haben ein neues großes Projekt: Wir hoffen, dass die Verurteilung John Demjanjuks dazu führt, dass weitere Personen aus den Todeslagern und den Einsatzgruppen in Deutschland vor Gericht gestellt werden können.

Mit dem Direktor des Jerusalemer Simon Wiesenthal Centers sprach Stefan Frank.

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Relativierung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußerte sich zuvor in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Kommentar

Wenn Ideologen mehr zu wissen scheinen als Expertinnen

Der Antisemitismusbekämpfer und bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel, ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Güner Balci gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  21.11.2025 Aktualisiert

Vor 80 Jahren

Zentralrat der Juden: Nürnberger Prozesse waren Wendepunkt

Es waren hochrangige NS-Kriegsverbrecher, die vor 80 Jahren in Nürnberg vor Gericht standen. Was diese Prozesse aus Sicht des Zentralrats der Juden bedeuten - auch heute

von Leticia Witte  21.11.2025

Paris

EJC warnt vor wachsender Radikalisierung junger Menschen im Netz

»Hass ist viral gegangen«, sagt Moshe Kantor, der Präsident der Organisation

 21.11.2025