Interview

»Das Netz muss viel dichter werden«

Eliezer Ben-Rafael Foto: Sabine Brandes

Interview

»Das Netz muss viel dichter werden«

Eliezer Ben-Rafael über Defizite und Chancen jüdischer Bildung in Deutschland

von Sabine Brandes  25.05.2010 07:01 Uhr

Herr Ben-Rafael, Sie stellen am kommenden Montag in Berlin die Untersuchung »Juden und jüdische Erziehung in Deutschland heute« vor. Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Studie des L. A. Pincas Fund gewonnen?
Unter anderem die, dass etwa 90 Prozent der Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion ohne jüdische Bildung sind. Hinzu kommt, dass die Zuwanderer weit über Deutschland verteilt leben. Das ist etwa in den USA oder Frankreich anders, wo sich die jüdische Bevölkerung meist in wenigen großen Städten konzentriert. In kleinen Orten ist es schwierig, ein jüdisches Bildungssystem aufzubauen. Außerdem zählen die meisten Zuwanderer zur unteren Mittel- oder gar zur Unterschicht. So kann keine Bildung aus eigenen Ressourcen aufgebaut werden. Juden in Deutschland sind in keiner privilegierten Situation – und ihr Bildungssystem ist es demzufolge auch nicht.

Gibt es zu wenige Bildungsangebote?
Nicht genügend. Jugend- und Gemeindezentren findet man zwar vielerorts. Neben Berlin und Frankfurt existieren noch zwei, drei Städte mit einem kompakten Angebot vom Kindergarten bis zur Oberschule. In den vergangenen fünf bis zehn Jahren ist eine Menge geschehen, es gibt eine neue Dynamik, sogar Jeschiwot und Rabbinerseminare. Doch ansonsten und besonders im Osten Deutschlands herrscht ein Mangel an jüdischen Strukturen.

Angebote sind das eine, deren Nutzung das andere. Haben junge Juden überhaupt Interesse an jüdischer Bildung?
Ja, sogar sehr. Aus den russischsprachigen sind deutschsprachige Juden geworden, die für sich und ihre Kinder sehr wohl jüdische Bildungsangebote in Anspruch nehmen. Sie gehen öfter als ihre Eltern in die Synagoge. Hier nähern sich mittlerweile die Gruppen der Neuankömmlinge und der alteingesessenen Juden einander an.

Ist jüdische Bildung nur für jüngere Menschen wichtig?
Nein, nicht nur. Aber im Kindes- und Jugendalter spielt sie im Zusammenhang mit der Entwicklung einer jüdischen Identität eine ganz besondere Rolle.

Welche Empfehlungen können Sie für die Zukunft geben?
Das Wichtigste ist, die verschiedenen Strukturen zu einer stimmigen Einheit zusammenzuführen, damit jüdische Bildung in allen Gegenden Deutschlands zur Verfügung steht. Zum Beispiel müsste für jeden Schüler in einem bestimmten Umkreis eine jüdische Oberschule erreichbar sein. In jeder Stadt sollte es Zentren für die Erwachsenenbildung geben, Programme zu jüdischer Bildung an allen Hochschulen aufgebaut werden. Außerdem müssen die Gemeinden enger zusammenrücken. Kurz gesagt: Das Netz jüdischer Bildung in Deutschland muss viel dichter werden. Von großer Bedeutung ist auch der offene Dialog zwischen den verschiedenen Strömungen, ob liberal, säkular oder orthodox. Ich bin mir sicher, das würde viele zusätzliche Möglichkeiten eröffnen.

Mit dem emeritierten Soziologieprofessor der Universität Tel Aviv sprach Sabine Brandes.

Antisemitismus

Konzert-Comeback: Wie umgehen mit Xavier Naidoo?

Xavier Naidoo kehrt auf die großen Bühnen zurück. Ausverkaufte Hallen treffen auf Antisemitismus-Vorwürfe, anhängige Verfahren und eine umstrittene Entschuldigung - und auf die Frage, wie man heute dazu steht

von Stefanie Järkel, Jonas-Erik Schmidt  10.12.2025

Initiative

Bayerns Landtag will Yad-Vashem-Bildungszentrum in Freistaat holen

Die Idee hatte die Ampel-Koalition von Olaf Scholz: Eine Außenstelle der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland. Der Bayerische Landtag hat sich nun für einen Standort im Freistaat ausgesprochen

von Barbara Just  10.12.2025

Paris/Brüssel

EU-Gaza-Hilfe: Französischer Politiker hat »große Bedenken«

Benjamin Haddad, Frankreichs Staatssekretär für Europafragen, hat die Europäische Kommission aufgefordert, ihre Zahlungen an NGOs, die im Gazastreifen operieren, besser zu überwachen

 10.12.2025

Aufarbeitung

Französische Entnazifizierungs-Dokumente erstmals online abrufbar

Neue Hinweise zu Leni Riefenstahl und Martin Heidegger in der NS-Zeit: Künftig können Forscher online auf französische Akten zugreifen. Experten erwarten neue Erkenntnisse

von Volker Hasenauer  10.12.2025

Deutschland

Wegen Antisemitismus und AfD: Schauspiellegende Armin Mueller-Stahl (95) denkt ans auswandern

Armin Mueller-Stahl spricht offen über seine Gelassenheit gegenüber dem Tod – und warum aktuelle Entwicklungen ihn dazu bringen, übers Auswandern nachzudenken

 10.12.2025

Justiz

Mutmaßlicher Entführer: Chef eines israelischen Sicherheitsunternehmens packt aus

Die Hintergründe

 10.12.2025

Fußball

Sorge vor Maccabi-Spiel in Stuttgart

Tausende Polizisten, Metalldetektoren beim Einlass, Sorge vor Gewalt: Warum der Besuch von Maccabi Tel Aviv in der Europa League beim VfB aufgrund der politischen Lage kein sportlicher Alltag ist.

 10.12.2025

Brüssel

Keine Nato-Rüstungsaufträge mehr an israelische Firma?

Einem Bericht verschiedener Medien zufolge ist Israels führendes Wehrtechnikunternehmen Elbit Systems wegen Korruptionsverdachts vorläufig von weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen worden

 10.12.2025

Polen

Neun polnische KZ-Opfer werden im Juni seliggesprochen

Die Nationalsozialisten brachten in Dachau und Auschwitz auch Hunderte polnische Priester um. Die katholische Kirche verehrt mehrere von ihnen als Märtyrer. Bald werden neun weitere Geistliche in Krakau seliggesprochen

 10.12.2025