Berlin

Das inklusive Denkmal

Für den LSVD-Bundesvorstand ist der Kubus ein »inklusives Denkmal«, ein Zeichen gegen die Ausgrenzung von Lesben und Schwulen. Foto: dpa

Für einen der letzten Überlebenden der NS-Verfolgung von Schwulen und Lesben kam es zu spät. Als am 27. Mai 2008 am südöstlichen Rand des Berliner Tiergartens das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht wurde, konnte der KZ-Überlebende und französische Schwulenaktivist Pierre Seel nicht mehr dabei sein.

Pierre Seel war bereits im November 2005 im Alter von 82 Jahren gestorben. Am Sonntag wird das zehnjährige Bestehen des Denkmals mit einem Festakt gefeiert, zu dem sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angekündigt hat.

Ehrung 16 Jahre lang hatte der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) gemeinsam mit der Initiative »Der homosexuellen NS-Opfer gedenken« für das Gedenkzeichen in Berlins Mitte gekämpft. Gegenüber dem Holocaust-Mahnmal sollten die rund 54.000 überwiegend Männer geehrt werden, die Schätzungen zufolge von den Nazis wegen ihrer Homosexualität verurteilt wurden. Etwa 7000 von ihnen kamen in den Konzentrationslagern um. Mit dem Denkmal bekamen die Opfer endlich einen prominenten Platz in der Mitte der Bundeshauptstadt.

In ihrem Entwurf orientierten sich die Künstler Michael Elmgreen (Dänemark) und Ingar Dragset (Norwegen) am Holocaust-Mahnmal von Peter Eisenman. Der schräg stehende, schlicht-graue Kubus von knapp fünf Metern Länge, etwas über dreieinhalb Metern Höhe und knapp zwei Metern Breite wirkt wie eine Fortsetzung der rund 2700 Eisenman’schen Betonstelen auf der anderen Straßenseite.

Durch ein Fenster, das schräg in eine Ecke des Kubus eingeschnitten ist, sieht der Betrachter ein Kurzvideo in Endlosschleife. Der damalige Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), dessen Haus die Umsetzung mit 600.000 Euro finanzierte, lobte den Entwurf 2008 als »eine würdige Form der Erinnerung an diese Opfer«.

Gedenkkultur Der Bundesvorstand des LSVD, Günter Dworek, sprach bei der Einweihung von einem »wichtigen Meilenstein«. Jahrzehntelang seien Homosexuelle aus der Gedenkkultur ausgeschlossen worden. Besonders freute Dworek, dass nicht nur an die Vergangenheit erinnert, sondern auch aktuell »ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben« gesetzt werden soll, wie es auf der Tafel am Denkmal heißt.

So hatte es auch der Bundestag im Dezember 2003 beschlossen. So wurde der Paragraf 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, in der DDR erst 1968 und in der Bundesrepublik sogar erst 1994 endgültig aufgehoben.

Zehn Jahre später spricht Günter Dworek einerseits von einer Menge an Fortschritten, die seitdem erreicht wurden, und nennt vor allem die Ehe für alle und die juristische Rehabilitierung Homosexueller, die in der DDR und der Bundesrepublik strafrechtlich verfolgt wurden.

Videosequenzen Andererseits sei es erschütternd, dass Nazi-Vokabeln wie »entartet« in deutsche Parlamente zurückgekehrt seien, sagt Dworek. Homophobie sei in Teilen der Gesellschaft längst noch nicht überwunden. »Ein Kuss im öffentlichen Raum kann heute immer noch Gefahr bedeuten«, sagt der Schwulenaktivist.

Der homoerotische öffentliche Kuss ist auch Thema der Videosequenzen des Denkmals, die alle paar Jahre gewechselt werden. Der erste Film zeigte zwei sich küssende Männer. Seit 2012 läuft die Sequenz »Kuss ohne Ende«, die zeigt, wie Menschen auf sich küssende Männer- oder Frauenpaare reagieren. Am Sonntag wird nun erneut gewechselt. Zu sehen ist dann eine Videosequenz der israelischen Multimediakünstlerin Yael Bartana. Der Inhalt ist noch geheim, »aber so viel sei verraten, es wird geküsst«, sagt Günter Dworek.

Immer wieder kochte auch ein Streit hoch, welcher Opfergruppe das Denkmal eigentlich gelten soll. Schon vor seiner Einweihung kritisierten Frauenvereinigungen, es klammere die in der NS-Zeit verfolgten Lesben zu sehr aus, fokussiere zu stark auf die Verfolgung homosexueller Männer.

Kritik Wissenschaftler wie die Berliner Historikerin Claudia Schoppmann oder der langjährige Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günther Morsch, sehen dagegen keine historischen Belege, dass lesbische Frauen im Nationalsozialismus vergleichbarer individueller Verfolgung ausgesetzt waren wie schwule Männer. So wurden Lesben in den Konzentrationslagern beispielsweise nicht mit dem rosa Winkel für Homosexuelle gebrandmarkt.

Für den LSVD-Bundesvorstand ist der Kubus ein »inklusives Denkmal«, ein Zeichen gegen die Ausgrenzung von Lesben und Schwulen. Und es sei wichtig, dass darüber debattiert werde. »Ein Denkmal wird belanglos, wenn es keine Diskussionen auslöst«, sagte Dworek.

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Kommentar

Wenn Ideologen mehr zu wissen scheinen als Expertinnen

Der Antisemitismusbekämpfer und bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel, ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Ahmad Mansour gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  21.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  21.11.2025 Aktualisiert

Vor 80 Jahren

Zentralrat der Juden: Nürnberger Prozesse waren Wendepunkt

Es waren hochrangige NS-Kriegsverbrecher, die vor 80 Jahren in Nürnberg vor Gericht standen. Was diese Prozesse aus Sicht des Zentralrats der Juden bedeuten - auch heute

von Leticia Witte  21.11.2025

Paris

EJC warnt vor wachsender Radikalisierung junger Menschen im Netz

»Hass ist viral gegangen«, sagt Moshe Kantor, der Präsident der Organisation

 21.11.2025