Holocaust

»Das Bewusstsein wachhalten«

Kai Diekmann Foto: dpa

Herr Diekmann, Sie sind zum neuen Vorsitzenden des Freundeskreises Yad Vashem gewählt worden. Was bedeutet Ihnen dieses Ehrenamt?
Unendlich viel, aber dazu muss ich etwas ausholen. Was hat mich vor allem an Axel Springer begeistert, als ich vor über 30 Jahren beschloss, Journalist zu werden? Mich hat begeistert, dass sich der Verleger die Aussöhnung mit den Juden und das unbedingte Eintreten für das Existenzrecht Israels zur Lebensaufgabe gemacht hat. Mehr noch: Axel Springer nahm dieses Bekenntnis so ernst, dass er dies auch allen Mitarbeitern in die Arbeitsverträge geschrieben hat. Die Erinnerung an den Holocaust und die Lehren daraus sollten für jeden Deutschen Verpflichtung sein. Wer diese Werte nicht teilt, kann eben nicht für Springer arbeiten. Das hat mich tief beeindruckt und geprägt. Auch, weil es so sehr über allgemeine Lippenbekenntnisse der damaligen Zeit hinausging und es noch heute tut. Mein Kontakt zu Yad Vashem begann intensiv zu werden, als »Bild« 2008 die Original-Blaupausen des KZs Auschwitz vom Schwarzmarkt gekauft hat und ich beschloss, die Pläne entgegen einiger Proteste in Deutschland Benjamin Netanjahu für Yad Vashem zu schenken. Denn dort gehören sie meiner Meinung nach hin. Ich habe Yad Vashem seither viele Male besucht und bin stolz, sagen zu dürfen, dass auch einige Freundschaften daraus gewachsen sind. Freundschaften, die mich nicht nur inspirieren, sondern glücklich machen. Auch deshalb ist es für mich nicht nur Ehre, sondern vor allem eine Herzensangelegenheit, mich in den Dienst von Yad Vashem zu stellen.

Was ist die Aufgabe des Vereins?
Yad Vashem ist ja der zentrale Ort des Erinnerns an den Holocaust. Ein Ort, den man anders verlässt, als man ihn betreten hat. Wenn Sie als Deutscher einmal beim Holocaust Remembrance Day inmitten der Überlebenden stehen dürfen und die Hatikwa gesungen wird – das vergessen Sie Ihr Leben nicht mehr. Und so kommt dem deutschen Freundeskreis natürlich eine besondere Aufgabe zu – als Freundeskreis aus dem Land der Täter: Es geht darum, das Bewusstsein für diesen einzigartigen Zivilisationsbruch wachzuhalten.

Welche neuen Akzente wollen Sie im Freundeskreis setzen?

Mich treibt besonders eine Frage um: Wie hält man das Bewusstsein für den Holocaust lebendig, obwohl es mit jedem Jahr weniger Überlebende gibt, die Zeugnis ablegen können? Es ist ja ein großer Unterschied, ob Sie über den Holocaust lesen oder ein Überlebender in Israel Ihnen erzählt, dass sein Vater von den Nazis an Heiligabend erschossen und seine Mutter in Auschwitz vergast worden ist. Ein Überlebender, der ohne den Holocaust wahrscheinlich noch in der Berliner Nachbarschaft leben würde. So stehen wir vor der großen Herausforderung, Zeugenaussagen, Dokumente, Artefakte und Kunst so aufzubewahren und aufzubereiten, dass die Erinnerung eindrücklich lebendig bleibt. Dazu plant Yad Vashem einen neuen Komplex – das Heritage Building. Das kostet natürlich Geld. Aber mit Geld allein ist es auch nicht getan. Was mich freut ist, dass wir auf eine jahrelange sehr erfolgreiche Arbeit des deutschen Freundeskreises aufbauen können.

Kürzlich veröffentlichte die Körber-Stiftung eine Umfrage, nach der vier von zehn der über 14-jährigen Schüler nichts mit dem Begriff »Auschwitz« anfangen können. Wie kann das Wissen über die Vergangenheit besser vermittelt werden?
Schlimmer noch: Wenn ich lese, dass »Jude« auf manchen Schulhöfen wieder ein Schimpfwort ist, macht mich das schlichtweg fassungslos. Oder wenn es heißt: So langsam muss auch mal Schluss sein mit dem ständigen Erinnern. Möglicherweise fehlt es an Erziehung, an geschichtlichem Hintergrund, im Zweifel auch an Herzensbildung. Auschwitz ist sicherlich das Synonym für das mörderische System der Nazis. Und damit alle Konzentrationslager. Ich würde mir deshalb wünschen, dass der Besuch eines Konzentrationslagers für jeden deutschen Schüler verpflichtend ist. Denn nichts wirkt so sehr wie die physische Präsenz – und diese muss eingebettet sein in Erziehung und Wissen.

Das Interview mit dem ehemaligen »Bild«-Herausgeber führte Detlef David Kauschke.

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025

Antisemitismus

Berliner Treitschkestraße wird am 1. Oktober umbenannt

Der Straßenname erinnert künftig an die im KZ Theresienstadt gestorbene ehemalige Direktorin des früheren jüdischen Blindenheims von Steglitz, Betty Katz (1872-1944)

 17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Ahmetovic: Berlin muss Weg für Israel-Sanktionen freimachen

Der SPD-Politiker fordert, dass die schwarz-rote Koalition ihre »Blockadehaltung« beendet und die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für konkrete Maßnahmen gegen den jüdischen Staat unterstützt

 17.09.2025