Das Bundesarchiv und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma haben am Montag in Heidelberg eine Kooperationsvereinbarung zur Nutzung von NS-Akten unterzeichnet. »Damit soll in Zeiten eines wachsenden Antiziganismus in der Gesellschaft ein Zeichen gesetzt und gleichzeitig die Aufklärung über die nationalsozialistische ›Rassenforschung‹ weiter verbessert werden«, heißt es in einer Mitteilung des Bundesarchivs.
Die Vereinbarung bezieht sich auf einen spektakulären historischen Vorgang: Am 1. September 1981 hatten 18 Sinti - darunter auch Holocaust-Überlebende - das Tübinger Universitätsarchiv besetzt. Sie forderten die sofortige Überführung der NS-Akten der einstigen »Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle« (RHF) on der Universität Tübingen in das Bundesarchiv - was dann binnen weniger Stunden geschah: Sie werden im »Bestand R 165« verwahrt.
Planungsunterlagen für den Holocaust
Die Unterlagen hatten als Planungsgrundlage für den Völkermord an den Angehörigen der Minderheit gedient, darunter Familienstammbäume und Zehntausende Fotos. Die NS-Akten seien jedoch auch in der Nachkriegszeit für rassistische Forschungen missbraucht worden, hieß es weiter.
Mit der Kooperationsvereinbarung werde »die Nutzung des RHF-Bestandes erstmals vertraglich geregelt«, so der Zentralrat. Dessen Vorsitzender Romani Rose - der den Angaben zufolge 1981 an der Besetzung des Tübinger Universitätsarchivs beteiligt war - und Michael Hollmann, der Präsident des Bundesarchivs, unterschrieben nun das Papier, im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma.
Gegen Missbrauch der NS-Dokumente
Die Vereinbarung soll einerseits der Wissenschaft Quellen bereitstellen. Gleichzeitig werde es für einen Teil des Bestands, der sensible Unterlagen und Fotos enthält, »Auflagen für deren Weiterverbreitung und Reproduktion geben können«. Damit solle einem erneuten Missbrauch der NS-Dokumente wie in der Tübinger Zeit entgegengewirkt und die Wahrung der Würde der erfassten und ermordeten Personen sichergestellt werden.
Abschreckendes Beispiel sei Sophie Erhardt, die bis 1968 als Anthropologin der Universität Tübingen tätig war. Sie habe »unbehelligt die NS-Rasseakten für ihre antiziganistischen Forschungen über Sinti und Roma« genutzt. Erhardt sei während der NS-Zeit Robert Ritter unterstellt gewesen, dem Leiter der Rassenhygienischen Forschungsstelle.
Systematisch erfasst und deportiert
Ritter habe auf Anweisung von SS-Chef Heinrich Himmler die vermeintliche »Rassenzugehörigkeit« von Sinti und Roma bestimmt - vermeintlich nach »wissenschaftlichen« Kriterien. Dadurch sei deren systematische Erfassung und Deportation in die Konzentrationslager vorangetrieben worden. Im nationalsozialistisch besetzten Europa wurden rund 500.000 Sinti und Roma ermordet.