RIAS

Brauchtum mit antisemitischen Wurzeln

Der Brauch der sogenannten Judasfeuer ist nicht zu verwechseln mit Osterfeuern. Foto: imago/teutopress

Eine menschenähnliche Puppe durch die Straßen zu schleifen, sie zu schlagen, zu köpfen und dann zu verbrennen – das klingt als solches schon befremdlich.

Nicht besser wird es, wenn die Puppe dann noch eine Hakennase, eine Kopfbedeckung und Haartracht nach orthodox-jüdischer Art sowie die Aufschrift »Judas 2019« trägt. So geschehen ist es der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern zufolge an Karfreitag 2019 im polnischen Pruchnik im Rahmen eines »Judasfeuers«.

Pruchnik Dieses vorösterliche Brauchtum, so RIAS, sei auch im Freistaat verbreitet – wenn auch längst nicht in so offen judenfeindlicher Weise wie in Pruchnik.

Das Ereignis in Polen hat laut RIAS weltweit Empörung ausgelöst. Das sei der Anstoß für die Recherche in Bayern gewesen. Herausgekommen ist eine 60-seitige Broschüre, die am Donnerstag in München veröffentlicht wurde.

Das Dokument erklärt zunächst, was es mit den »Judasfeuern« – auch »Jaudus« oder »Jaudas« genannt – auf sich hat: Sie dienten der symbolisch-rituellen »Bestrafung« der biblischen Figur Judas Iskariot für seinen Verrat an Jesus Christus. Judas Iskariot werde in antijudaistischer Tradition christlicher Prägung mit »den Juden« identifiziert. Der Brauch sei nicht zu verwechseln mit Osterfeuern.

Tradition Für den Zeitraum 2010 bis 2019 listet RIAS rund 150 Orte im Freistaat auf, in denen mindestens einmal ein solches Feuer entfacht wurde – allerdings nicht zwingend mit Puppe, schon gar nicht in offenkundig antisemitischer Darstellung. Entsprechende Wurzeln habe die Tradition gleichwohl.

Schwerpunkte seien die Gegend zwischen Donauwörth, Ingolstadt, Augsburg, Landsberg am Lech und München sowie Teile Unterfrankens.

Ein Großteil der Feuer werde von christlichen Laien, oft Jugendlichen, entzündet, so RIAS, »seltener« handele es sich um kirchliche Veranstaltungen. Organisatoren seien katholische Landjugendgruppen, Burschenvereine, Pfarrgemeinden und Ministranten sowie Freiwillige Feuerwehren und Dorfgemeinschaften.

Reaktion Die Katholische Landjugendbewegung Bayern (KLJB) reagierte umgehend auf die Recherche. Diese, so die Landesseelsorgerin Julia Mokry, »enthält auch für uns neue Erkenntnisse zu einem völlig vernachlässigten Thema, das uns als kirchliche Jugendverbände in unserer Bildungsarbeit für Demokratie und Toleranz herausfordert«.

Jens Hausdörfer, Geistlicher Verbandsleiter des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) Bayern, empfiehlt eine kritische Aufarbeitung dieser Tradition. Um Ostern sollten dann nur noch Feuer stattfinden, die zum wertschätzenden Dialog der Religionen passen.

Auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußerten sich auch Diözesen, auf deren Gebiet in der Vergangenheit »Judasfeuer« brannten.

Ursprung Das Erzbistum München und Freising zeigte sich dankbar für den RIAS-Bericht. »Wir müssen und werden den dort enthaltenen Hinweisen auf Bräuche antisemitischen Ursprungs im Einzelnen nachgehen und dafür Sorgen tragen, dass christliches Brauchtum in unserem Erzbistum in keiner Weise Wertschätzung und Respekt gegenüber anderen Religionen, Weltanschauungsgemeinschaften oder der Menschenwürde widerspricht.«

Das Thema soll grundlegend bearbeitet werden auch mithilfe des Kompetenzzentrums für Demokratie und Menschenwürde, das die bayerischen Bischöfe erst vor wenigen Jahren gegründet haben.

Aus Augsburg hieß es: »Zwar steht der überwiegend von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gepflegte Brauch des ‚Jaudasfeuers‘ in einem inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den Ereignissen des Osterfestes. Doch davon hat er sich in der Praxis schon seit sehr langer Zeit gelöst. Element der kirchlichen Osterfeier war er zu keinem Zeitpunkt.«

Einrichtungen Die Organisation des Brauchs sei weder fest mit kirchlichen Einrichtungen noch kirchlichen Verbänden verbunden.

Nach Einschätzung der Diözese Würzburg »kann dieser problematische Osterbrauch nicht im Namen der katholischen Kirche und Jugendarbeit stattfinden«. Man habe die Verantwortlichen auf Pfarrebene informiert. »Wichtig ist es jetzt, in kirchlichen Gruppen, Verbänden und Gemeinden ins Gespräch zu kommen, zu sensibilisieren und über die problematischen Hintergründe zu informieren.«

Essay

All die potenziellen Schüsse

In diesem Herbst liest man fast täglich von vereitelten Anschlägen auf Juden. Was die ständige Bedrohung mit uns macht

von Mascha Malburg  20.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  19.11.2025

Stuttgart

Polizei plant Großeinsatz bei Maccabi-Spiel

Vor den Europa-League-Auftritten gegen Maccabi Tel Aviv sind der VfB Stuttgart und der SC Freiburg alarmiert. Ein Fan-Ausschluss wie zuletzt in Birmingham ist momentan nicht geplant

 19.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Kommentar

Danke, Berlin!

Die Entscheidung der Behörden, einem Hamas-Fanboy die Staatsbürgerschaft zu entziehen, sendet ein unmissverständliches und notwendiges Signal an alle Israelhasser. Mit Mahnwachen allein können wir die Demokratie nicht verteidigen

von Imanuel Marcus  19.11.2025

München

LMU sagt Veranstaltung zu palästinensischer Wissenschaft ab

Die Universität verwies in ihrer Stellungnahme darauf, dass es erhebliche Zweifel gegeben habe, »ob es sich um eine wissenschaftliche Veranstaltung auf dem erforderlichen Niveau gehandelt hätte«

 19.11.2025

Internet

Expertin: Islamisten ködern Jugendliche über Lifestyle

Durch weibliche Stimmen werden auch Mädchen von Islamistinnen verstärkt angesprochen. Worauf Eltern achten sollten

 19.11.2025

Portrait

Die Frau, die das Grauen dokumentieren will

Kurz nach dem 7. Oktober 2023 gründete die israelische Juristin Cochav Elkayam-Levy eine Organisation, die die Verbrechen der Hamas an Frauen und Familien dokumentiert. Unser Redakteur sprach mit ihr über ihre Arbeit und ihren Frust über die Vereinten Nationen

von Michael Thaidigsmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025