Berlin

Bessere Dokumentation antisemitischer Vorfälle

»Ich hätte mir nicht vorgestellt, dass wir 70 Jahre danach so etwas nötig haben«: Benjamin Bloch, Direktor der ZWST Foto: Rolf Walter

Antisemitische Vorfälle sollen künftig besser erfasst werden. Dazu wurde am Donnerstag eine Kooperationsvereinbarung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST) und des Vereins für demokratische Kultur (VDK) in Berlin unterzeichnet.

Konkret soll Betroffenen geholfen werden, über das Erlebte zu berichten und judenfeindliche Angriffe anzuzeigen. Zudem sind Schulungen von Fachpersonal innerhalb der jüdischen Gemeinden geplant. Und die Öffentlichkeit soll verstärkt auf antisemitische Vorfälle aufmerksam gemacht werden, weil »der Umgang mit Minderheiten ein Gradmesser für das Zusammenleben in Berlin ist«, sagte Bianca Klose, Geschäftsführerin des VDK.

Sorge Dass Jahrzehnte nach der Befreiung vom Nationalsozialismus Juden in Deutschland weiter antisemitischen Vorfällen ausgesetzt seien und Unterstützung dagegen bräuchten, sei Anlass zur Sorge, betonte Benjamin Bloch, Direktor der ZWST: »Ich hätte mir nicht vorgestellt, dass wir 70 Jahre danach so etwas nötig haben.«

Viele Vorfälle kämen nur durch Zufall ans Licht, sagte Bloch. So hätten Jugendliche während jüdischer Ferienlager von verschiedenen Schulen in Deutschland berichtet, an denen sie mit Judenwitzen konfrontiert würden. Zur Schulleitung gingen sie dennoch in den meisten Fällen nicht, weil sie nicht auffallen wollten, betonte Bloch: »Sie kehren es unter den Teppich.«

Marina Chernivsky, Leiterin des Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment der ZWST, bestätigte, dass antisemitische Vorfälle oft zum Selbstschutz kleingeredet oder als traurige Normalität begriffen werden. »Wir müssen selbst aktiver werden«, jüdische Gemeinden und Betroffene sollten sichtbar für die deutsche Zivilgesellschaft ihre Erfahrungen mitteilen.

Online-Meldestelle In Berlin ist vor gut einem Jahr eine Online-Meldestelle an den Start gegangen. Die von dem Demokratieverein gegründete Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) hat seitdem nach eigenen Angaben mehr als 200 antisemitische Vorfälle erfasst, darunter zwei Drittel in Berlin und ein Drittel in anderen Bundesländern.

Der religionspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Volker Beck, begrüßte die Zusammenarbeit und forderte ein bundesweites Erfassungssystem: »Die Zusammenarbeit von RIAS und der ZWST ist ein Modell für den Bund, um ein Gesamtbild des Antisemitismus in Deutschland zu bekommen. Nur so können wir auch besser dagegen vorgehen.« ja/epd

Lesen Sie mehr dazu in der kommenden Printausgabe

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  30.11.2025

Deutschland

Massive Proteste gegen neuen AfD-Nachwuchs 

Die AfD organisiert ihren Nachwuchs - Gießen erlebt den Ausnahmezustand. Zehntausende haben sich nach Mittelhessen aufgemacht, um die Gründung der Generation Deutschland zu verhindern

von Christian Schultz  30.11.2025

Rechtsextremismus

Fragezeichen nach skurriler Rede bei AfD-Jugendkongress 

Wer steckt hinter dem mysteriösen Auftritt des Mannes, der mit einer Rede im Hitler-Stil den Gründungskongress der AfD-Jugend aufmischte? Ihm droht der Parteiausschluss

von Jörg Ratzsch  30.11.2025

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Dokumentation

»Sie sind nicht alleine!«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hielt bei der Ratsversammlung des Zentralrats der Juden die traditionelle Gastrede

von Wolfram Weimer  30.11.2025

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in Frankfurt

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt einmal im Jahr zusammen

 30.11.2025 Aktualisiert

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025

Interview

»Weder die Verwaltung noch die Politik stehen an meiner Seite«

Stefan Hensel hat seinen Rücktritt als Antisemitismusbeauftragter Hamburgs angekündigt. Ein Gespräch über die Folgen des 7. Oktober, den Kampf gegen Windmühlen und kleine Gesten der Solidarität

von Joshua Schultheis  29.11.2025