Schleswig-Holstein

Beauftragter für Antisemitismus in der Kritik

Antisemitismusbeauftragter und ehemaliger Landesbischof: Gerhard Ulrich Foto: picture alliance/dpa

Erst seit einem Monat ist Gerhard Ulrich der neue Antisemitismusbeauftrage des Landes Schleswig-Holstein. Nun steht der ehemalige Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland wegen Aussagen über Israel in der Kritik, die er zwischen 2014 und 2018 getätigt hat.

Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), Volker Beck, spricht davon, dass Ulrich »eine rote Linie überschritten« habe. Ulrich selbst sieht in seinen Aussagen »keineswegs eine anti-israelische Haltung«, würde viele davon heute aber nicht mehr so tätigen. Unterstützung bekommt Ulrich von den jüdischen Landesverbänden Schleswig-Holsteins.

Vorurteil Der Vorwurf gegen den evangelischen Theologen: Er soll in mehreren Predigten zu Ungunsten Israels ein einseitiges Bild vom Nahostkonflikt gezeichnet und sich dabei auch antijüdischer Vorurteile bedient haben. So beschrieb Ulrich in einer Weihnachtsbotschaft aus dem Jahr 2017 einen Israel-Besuch. Dabei habe er erfahren können, »wie die Zeit der Okkupation auf den Menschen lastet, die Seelen deformiert, die Freiheit einschränkt; wie Grenzkontrollen die Menschen entwürdigen und wie dies alles neue Gewalt verursacht«. Im Fokus der Kritiker steht vor allem eine Predigt Ulrichs, die er am 24. August zum »Israel-Tag« in seiner Funktion als Landesbischof im Schweriner Dom gehalten hat.

Ulrich sagte damals: »Der Name ›Israel‹ ist mit dem Schrecken und Elend dieses Nahostkrieges belastet.« Dann legte er aus, dass Israel ein »theologischer Name, ein Verheißungsname« sei, der nicht »von einem Staat desselben Namens einfach gedeckt« werde. Weiter: »Darum können wir es nicht hinnehmen, wenn ein moderner Staat sich auf diesen Gott und seine Verheißungen beruft, wenn Krieg geführt wird. Es gibt keinen Heiligen Krieg!« Das Prinzip »des ‚Auge um Auge – Zahn um Zahn‘ führt in immer neue Gewalt, nicht zum Frieden«, so Ulrich. Daher brauche es »Menschen, die anfangen, aufzuhören mit der Gewalt«.

»Wer so wenig über 2000 Jahre Antijudaismus nachgedacht hat, kann doch nicht Antisemitismusbeauftragter sein.«

volker beck, präsident der deutsch-israelischen gesellschaft

Marion Gardei, die Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, erläuterte auf Anfrage dieser Zeitung, dass das Gebot »Auge um Auge, Zahn um Zahn« gerade »der Eindämmung der Blutrache« diene. Das wisse »inzwischen wohl jeder und jede Christin«. Das Gebot als Aufforderung zur Gewalt misszuverstehen, sei »ein typisch antijüdisches Vorurteil«, so Gardei.

Volker Beck sagte gegenüber der Jüdischen Allgemeinen: »Ich halte jemanden für untragbar, der als Theologe von der Brutalität des Prinzips ›Auge um Auge – Zahn um Zahn‹ predigt«. Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete sprach Ulrich die Eignung für sein Amt ab: »Wer so wenig über 2000 Jahre Antijudaismus nachgedacht hat, kann doch nicht Antisemitismusbeauftragter sein.«

Ulrichs Aussagen stehen auch im Widerspruch zu einer Broschüre über Antisemitismus, die die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 2017, einige Jahre nach Ulrichs Aussage, herausgebracht hat. Im Kapitel »Antijüdischen Klischees in der Kirche begegnen« heißt es, der biblische Satz werde »fälschlicherweise als ›Rachegebot‹ bezeichnet«. Es sei »daher nicht sachgemäß, wenn in der Berichterstattung der Medien über militärische Aktionen im Nahen Osten immer wieder auf den genannten Bibeltext verwiesen wird.« Auch Ulrich war bis 2019 als Landesbischof Mitglied der Kirchenkonferenz der EKD.

Aussagen In einer Pressemitteilung des Kultusministeriums von Schleswig-Holstein, in dem der Antisemitismusbeauftragte angesiedelt ist, äußert sich Ulrich mit diesen Worten zu den Vorwürfen: »Ich würde viele dieser Aussagen heute nicht mehr so machen, das muss ich ganz eindeutig feststellen.« Dennoch besteht er darauf, dass er in den ihm vorgehaltenen Zitaten »keineswegs eine anti-israelische Haltung« finden könne. Er bekenne sich zum Existenzrecht Israels und zu seinem Recht, sich auch mit militärischen Mitteln zu verteidigen. Er bitte »ausdrücklich um Entschuldigung für Formulierungen vergangener Predigten, die nicht den Ansprüchen entsprechen, die ich heute an sie hätte«.

Auf seine problematisierte Verwendung des Auge-um-Auge-Motivs ging Ulrich allerdings nicht explizit ein. Eine entsprechende Anfrage dieser Zeitung ließ er bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Auch zu einem weiteren Vorgang bezog Ulrich bisher nicht ausführlicher Stellung: Bereits vorvergangenen Mittwoch war er mit seinen Aussagen über Israel von Mitgliedern der DIG Schleswig-Holstein in einem persönlichen Gespräch konfrontiert worden.

Deren stellvertretender Vorsitzender, Felix Hillenkamp, war bei dem Gespräch dabei. Auf Anfrage dieser Zeitung berichtete Hillenkamp, dass sich Ulrich damals nicht deutlich von seinen Aussagen distanziert habe. »Er wirkte nicht erfreut, dass wir das ansprechen, und warf uns vor, die Zitate aus dem Zusammenhang zu reißen.« Wortwörtlich habe Ulrich von »alten Kamellen« gesprochen. Auch Ulrich erwähnt, dass das Gespräch stattgefunden habe, Fragen zu inhaltlichen Details beantwortete er bisher jedoch nicht.

Walter Blender vom liberalen Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein nennt Ulrich einen »glaubhaften Kämpfer gegen Antisemitismus«.

Hillenkamp sieht in den Predigten Ulrichs »eine einseitige und entkontextualisierte Betrachtung des Nahostkonflikts«. Israel reagiere auf äußere Bedrohungen und könne »nicht einfach seine Waffen niederlegen«. Außerdem benutze Ulrich das biblische Auge-um-Auge-Motiv missbräuchlich. »Als Theologe und ehemaliger Landesbischof hätte er das besser wissen müssen«, so Hillenkamp.

Die jüdischen Landesverbände Schleswig-Holsteins stützen derweil Ulrich in seinem Amt als Antisemitismusbeauftragter. Igor Wolodarski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein, sagte: »Wir wissen um das aufrichtige Engagement von Gerhard Ulrich und seinem persönlichen Willen, dem Antisemitismus in Schleswig-Holstein die Stirn zu bieten.« Auch Walter Blender vom liberalen Landesverband der jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein hält zu Ulrich und sagt, dieser sei »ein glaubhafter Kämpfer gegen Antisemitismus«.

Hintergrund Gerhard Ulrich ist seit 1. November dieses Jahres Antisemitismusbeauftragter des Landes. Die Kulturministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien (CDU), erklärte bei seiner Amtseinführung: »Mit dem ehemaligen Landesbischof Gerhard Ulrich konnten wir eine anerkannte Persönlichkeit für diese Aufgabe gewinnen.«

Ulrich sagte damals, er freue sich »auf diesen wichtigen Dienst als Vermittler für die Stärkung des jüdischen Lebens«. Der 71-jährige Theologe war von 2013 bis 2019 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland und von 2011 bis 2018 Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschland. 2019 wurde er in den Ruhestand verabschiedet.

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