Interview

»Außenpolitik geht nicht mit Belehrungen«

Armin Laschet im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen im Jakob-Kaiser-Haus gegenüber dem Reichstagsgebäude Foto: Chris Hartung

Herr Laschet, was sollte die neue Bundesregierung im Umgang mit Israel anders machen als die alte?
Es gibt in der Außenpolitik auch immer Kontinuität. Dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson ist, galt für die alte genauso wie es für die neue Bundesregierung gilt. Dasselbe trifft auf die Solidarität mit Israel nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober 2023 zu. Aber im Stil ist jeder anders. So hat der neue Außenminister Johann Wadephul bei seinem Besuch vergangenes Wochenende in Israel seine eigenen Prioritäten gesetzt. Sein erster Termin war ein Treffen mit den Geiselfamilien. Hier ist vielleicht bereits ein Unterschied zur Vorgängerregierung zu spüren: Wir haben immer noch auch Deutsche unter den Geiseln in Gaza, aber man hatte bisher nicht den Eindruck, dass sich die Bundesregierung sehr intensiv um die eigenen Staatsbürger gekümmert hat. Da sind die USA anders, die gerade wieder eine amerikanische Geisel aus Gaza frei bekommen haben. Ich finde, neben der Solidarität mit Israel sollte man auch den Einsatz für deutsche Staatsbürger besser im Blick haben.

Was kann die neue Bundesregierung für die deutschen Geiseln tun, das die alte versäumt hat?
Das muss man jetzt sehen. Von der alten Regierung habe ich jedenfalls nicht so viel dazu gehört. Hierzulande ist kaum jemandem bewusst, dass Deutsche unter den Geiseln sind. Es ist eine Aufgabe der Bundesregierung, das in die deutsche Öffentlichkeit zu tragen. Das wünschen sich auch die Geiselfamilien. Zudem kann die Bundesregierung auf Katar und potenzielle Mittler einwirken, dass die sich ebenfalls stärker engagieren als bisher.

Müsste Deutschland nicht auch auf Netanjahu einwirken? Der israelische Premierminister hat unlängst deutlich gemacht, dass für ihn der Sieg über die Hamas noch wichtiger ist als die Rückkehr der Geiseln.
Israel entscheidet selbst, welche Schwerpunkte es im Kampf gegen die Hamas setzt. Für die Freilassung der Geiseln ist Netanjahu der falsche Ansprechpartner. Verantwortlich für die Geiselnahme sind die Terroristen der Hamas.

JA-Redakteur Joshua Schultheis im Gespräch mit Armin LaschetFoto: Chris Hartung

Friedrich Merz ermahnte noch am Tag seiner Wahl zum Bundeskanzler Israel zur Einhaltung des Völkerrechts in Gaza und sprach von »erheblicher Besorgnis«, die er habe. Ist das die Kontinuität in der Außenpolitik, von der Sie sprachen?
Ich werde nicht jede Bemerkung des Bundeskanzlers bewerten. Ich kenne seine Haltung zu Israel. Wir haben sie beim Besuch des israelischen Staatspräsidenten Herzog Anfang der Woche in Berlin erlebt. Im Übrigen gilt: Belehrungen sind möglichst überall in der Welt nicht mehr die Art der deutschen Außenpolitik. Die Welt wartet nicht darauf, dass die Deutschen ihr sagen, was sie zu tun hat, sondern man muss in der Außenpolitik Konflikte abbauen, Lösungen finden. Das geht nicht mit Belehrungen.

Dennoch übte Außenminister Wadephul in Jerusalem vorsichtig Kritik an dem Plan Netanjahus, den Krieg zu intensivieren und den Gazastreifen zu besetzen. Was halten Sie persönlich von der israelischen Militärstrategie?
Unter Freunden kann man erörtern, was für Israel das Richtige ist. Im Zweifel weiß Israel das selbst am besten. Aber was ich nie verstanden habe: Die große Zustimmung der Deutschen zur Westbindung und zu den USA ist durch die humanitäre Hilfe nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, durch die Carepakete und die Rosinenbomber, die das bedrohte Berlin versorgt haben. Israel wird seine Gründe haben, und doch frage ich mich: Warum fahren nicht jeden Tag hunderte LKWs mit Hilfsmitteln in den Gazastreifen, deutlich als Geschenk der Regierung Israels ausgewiesen, und werden dort unter israelischer Kontrolle verteilt? Die Bevölkerung in Gaza würde merken, dass die Hamas-Propaganda nicht stimmt. Sie würden sich von der Hamas lösen und Sympathie für den empfinden, der Nahrungsmittel bringt. Israel könnte selbstbewusst sagen: Wir bekämpfen die Hamas, aber wir helfen der Bevölkerung. Ich höre, dass diese Debatte in Israel schwierig ist, weil man nach dem 7. Oktober auch gegen die Bewohner Gazas eine gewisse Wut hat, was verständlich ist. Eine kluge Strategie wäre es trotzdem.

Stattdessen lässt Israel seit über zwei Monaten gar keine Hilfslieferungen mehr nach Gaza. Der deutsche Außenminister sagte in Jerusalem, darin keinen Verstoß gegen das Völkerrecht zu sehen. Sie auch nicht?
Die Güter, die nach Gaza gebracht wurden, sind von der Hamas gekapert und auf dem Schwarzmarkt verkauft worden. Das hat mehr die Hamas stabilisiert, als der Bevölkerung geholfen. Man muss hier einen Mittelweg finden, und dieser besteht womöglich in dem nun vorliegenden Plan, die Verteilung der Hilfslieferungen amerikanischen Stiftungen zu überlassen, die das dann in eigener Verantwortung machen. Die Menschen in Gaza darf man nicht verhungern lassen. Aber wie gesagt: Für Israel wäre es wahrscheinlich die größte Sympathiewerbung in der Welt, wenn es die Verteilung selbst proaktiv gestalten würde.

»Die UNRWA hat immer wieder bewiesen, dass sie keine klare Trennung zur Hamas hat.«

armin laschet

Mit dem Plan, NGOs die Versorgung zu überlassen, will Israel auch das UN-Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser (UNRWA) als Akteur in Gaza umgehen. Halten Sie das für richtig?
Ja. Die UNRWA hat in diesem Konflikt und rund um den 7. Oktober immer wieder bewiesen, dass sie keine klare Trennung zur Hamas hat, dass sogar einige ihrer Mitarbeiter an den Verschleppungen von Israelis beteiligt waren. Insofern ist jede Hilfe ohne UNRWA eine gute Hilfe.

Im schwarz-roten Koalitionsvertrag steht, man wolle den Umfang der zukünftigen deutschen Unterstützung der UNRWA »von umfassenden Reformen abhängig« machen. Glauben Sie, solche Reformen der UNRWA sind absehbar?
Im Moment sehe ich sie nicht.

Müsste dann nicht irgendwann die Streichung der deutschen Gelder an die UNRWA folgen?
Ich würde die Mittel nicht streichen, sondern diese an andere UN-Hilfswerke geben. Die humanitäre Hilfe für die Palästinenser sollte von UNHCR, UNICEF, World Food Programm und anderen Organisationen übernommen werden, um von der alten UNWRA-Konstruktion wegzukommen. Aber das passiert nicht von heute auf morgen, das ist ein längerer Weg.

Eine Streichung der Gelder an die UNRWA steht zeitnah also nicht bevor?
Kurzfristig nicht.

Friedrich Merz hatte vor seiner Wahl zum Bundeskanzler angekündigt, einen Besuch Netanjahus möglich machen zu wollen, ohne dass dieser verhaftet würde. Gegen den israelischen Premier liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) vor. Von einer Reise Netanjahus nach Deutschland ist jedoch seitdem nicht mehr die Rede gewesen. Ist diese vom Tisch?
Das hat Herrn Merz auch nicht gesagt. Er hat gesagt, wenn Netanjahu kommt, wird er nicht auf deutschem Boden verhaftet. Jetzt war gerade erst der israelische Staatspräsident da. Deshalb sehe ich nicht, weshalb der Regierungschef kurzfristig kommen sollte. Mit ihm hat Außenminister Wadephul gerade vor wenigen Tagen in Jerusalem gesprochen. Den Dialog mit Netanjahu gibt es also.

»Ich sehe nicht, warum Herr Netanjahu dringend nach Berlin kommen muss.«

armin laschet

Der Kanzler könnte eine explizite Einladung an Netanjahu aussprechen.
Warum sollte er? Der Bundeskanzler hat im Moment eine Menge zu tun und die Gesprächskontakte zwischen Deutschland und Israel sind derzeit so intensiv wie selten. Ich sehe nicht, warum Herr Netanjahu dringend nach Berlin kommen muss. Wenn er kommt, wird er nicht verhaftet, sondern normal wie ein Regierungschef behandelt. Völkerrechtlich ist das, was der Internationale Strafgerichtshof mit seinem Haftbefehl gegen Netanjahu gemacht hat, höchst zweifelhaft und auch nicht eindeutig im Einklang mit seinem Auftrag.

Trotzdem ist Deutschland als ICC-Mitgliedsstaat daran gebunden.
Zu dem Thema habe ich alles gesagt.

Sie sind Vorsitzender des Abraham Accords Institute, das sich für »eine dauerhafte arabisch-israelisch Annäherung« einsetzt. Sehen Sie Ihre Arbeit gerade durch den Krieg in Gaza zunichtegemacht?
Nein, zunichtegemacht ist gar nichts, da die vier Staaten der Abraham Accords – Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Marokko – dabeibleiben und die Kontakte weiter pflegen. Eine neue Dynamik ist entstanden, weil Saudi-Arabien vorerst dem Abkommen doch nicht beitreten wird. US-Präsident Trump war in diesen Tagen in Saudi-Arabien, und er wird sicher auf das Land einwirken, damit es sich dem Verständigungsprozess mit Israel wieder annähert. Dazu müssen die Israelis aber substanzielle Schritte auf die Palästinenser zugehen, damit Saudi-Arabien das rechtfertigen kann. Wenn die Saudis den Abraham Accords beiträten, wäre das eine solche Veränderung der gesamten Lage im Nahen Osten, dass ich anstelle von Ministerpräsident Netanjahu alles tun würde, damit das gelingt.

Dafür müsste der Krieg in Gaza vermutlich beendet werden.
Dass die Hamas bekämpft wird, ist auch im Interesse Saudi-Arabiens. Den Palästinensern muss eine Perspektive auf Selbstverwaltung im Gazastreifen und eine Verbesserung ihrer Lage gegeben werden. Das müssen die Signale sein, die ich aber im Moment nicht erkenne. Die Annäherung an die Saudis hängt daher fest und eine riesige Chance wird verspielt. Selbst in Syrien unter der islamistischen Regierung gibt es Interesse, den Abraham Accords beizutreten. Im Libanon gibt es nach dem Zerschlagen der Hisbollah ebenfalls eine Chance. In diesem großen Rahmen müsste eine israelische Regierung eigentlich denken.

Der Ball liegt gerade also bei den Israelis?
Ja, die Chance ist riesig und man muss sie einfach nutzen. Und Ministerpräsident Netanjahu hat sie 2020 schon einmal genutzt, als er die Abraham Accords unterzeichnete.

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Der Nahe Osten verändert sich rasant. Welchen Einfluss hat Deutschland auf diese Entwicklung?
Es ist völlig irreal zu glauben, dass die Europäische Union oder Deutschland derzeit irgendeine Rolle in Nahost spielen. Das war vielleicht mal in den 90er-Jahren so. Doch heute ist die EU völlig zersplittert und hat die extremsten Gegensätze in der Bewertung der Lage vor Ort. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Region ein Schwerpunkt der EU-Außenbeauftragten Kallas ist, die sich nur um die Ukraine kümmert. Im Moment sehe ich weder deutschen noch europäischen Einfluss im Nahen Osten.

Wie könnte sich das ändern?
Indem Europa einmal aus seiner Einseitigkeit herauskommt und wieder sachgerecht in die Nahostpolitik zurückkehrt. Die Chance ist eigentlich da. Die schwierigsten Typen für die europäische Außenpolitik, Kallas‹ Vorgänger Josep Borrel und der ehemalige EU-Ratspräsident Charles Michel, sind weg. António Costa hat als neue Ratsvorsitzender eine realistischere Herangehensweise. Kommissionspräsidentin von der Leyen sowieso. Im Parlament gibt es auch Kräfte, die das stärken würden, und Frau Kallas müsste einfach mal ein bisschen Interesse für die Region entwickeln.

Welche Rolle kann die neue Bundesregierung dabei übernehmen?
Sie wird sich bei dem Thema noch stärker einbringen. Aber an der deutschen Regierung ist das auch in der Vergangenheit nicht gescheitert.

Mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten sprach Joshua Schultheis.

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