Rozette Kats

»Alles war viel zu schrecklich für ein Kind«

Erstmals hat der Bundestag am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust queere NS-Opfer in den Mittelpunkt gestellt. Queer ist ein Sammelbegriff für nicht-heterosexuelle Menschen, etwa für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT).

Die niederländische Schoa-Überlebende Rozette Kats berichtete in bewegenden Worten von ihrem Schicksal. »Ich habe als jüdisches Kind in Amsterdam überlebt«, sagte die 80-Jährige. Sie selbst gehöre keiner sexuellen Minderheit an, doch es gebe wichtige Gemeinsamkeiten bezüglich der Verfolgung durch die Nazis.

AUSCHWITZ »Im Februar 1943 war ich acht Monate alt, als mich meine Eltern einem humanistischen, niederländischen Ehepaar gaben.« Ihre Mutter sei mit ihrem kleinen Bruder schwanger gewesen und bald darauf in einem überfüllten Viehwaggon nach Auschwitz gebracht worden. »Kurz nach ihrer Ankunft wurden die meisten im Gas umgebracht.« Ihr Vater musste vor seiner Ermordung noch vier Monate Schwerstarbeit leisten.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Um sie zu schützen, hätten ihr die Pflegeeltern den Namen Rita gegeben, so Rozette Kats. Der Vater hätte sie eines Tages auf seinen Schoß gesetzt und ihr gesagt: »Dein richtiger Name ist Rozette. Wir sind nicht wirklich deine Eltern. Sie wurden in Auschwitz ermordet, weil sie Juden waren. Du brauchst aber keine Angst zu haben.«

»Aber ich hatte Angst. Was bedeutete ›jüdisch‹? Ich verstand nur, dass ich dann wohl auch jüdisch war. Alles war viel zu schrecklich für ein Kind von sechs Jahren.« Später hatte Rozette Kats das Gefühl, ein Doppelleben zu führen. »Es machte mich krank.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Als sie dann bereits 50 Jahre alt gewesen sei, habe in Amsterdam eine Konferenz »für Menschen wie mich« stattgefunden. »Das war meine Befreiung. Ich war nicht mehr die einzige. Mein Leben hat sich damals verbessert.«

Rozette Kats erklärte vor Hunderten Abgeordneten und Gästen, das Versprechen »Nie wieder« habe über einen langen Zeitraum hinweg nicht alle Opfergruppen mit eingeschlossen. »Roma und Sinti mussten noch lange um Anerkennung kämpfen.« Auch sagte Kats, sie wisse sehr wohl, dass es bei verschiedenen Opfergruppen gegenseitige Vorbehalte gab.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Wenn Menschen in Kategorien aufgeteilt würden, »dann bedeutet das nur eins: dass die nationalsozialistische Ideologie weiterlebt«. Jeder Mensch, der heute verfolgt werde, habe »Anspruch auf Anerkennung und unseren Schutz«. Rozette Kats dankte ihren deutschen Gastgebern, dass sie auch sexueller und geschlechtlicher Minderheiten gedächten.

ENTRECHTUNG Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sagte, es dürfe kein Ende des Erinnerns geben - es müsse auf Ewigkeit an alle Opfer, die von den Nationalsozialisten verfolgt, bedroht, entrechtet und ermordet wurden, erinnert werden. Wenn die Zeitzeugen nun nach und nach stürben, müssten andere ihre Geschichte erzählen.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Es sei ihr sehr wichtig, »dass wir heute der Menschen gedenken, die wegen ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität verfolgt wurden«, sagte Bas. Denn das Ende des Nationalsozialismus sei noch kein Ende der staatlichen Verfolgung für diese Opfergruppe gewesen. Paragraf 175 des Strafgesetzbuches, der homosexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte, wurde erst 1994, im wiedervereinigten Deutschland, abgeschafft.

Es sei gefährlich zu glauben, wir hätten »ausgelernt«, warnte Bas, die sich strikt gegen einen »Schlussstrich« unter der deutschen Geschichte wandte. »Wir müssen uns weiterhin mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen.« Eine freiheitliche, offene Gesellschaft sei keine Selbstverständlichkeit. Das zeigten rassistische, antisemitische, antiziganistische und queerfeindliche Taten in der jüngeren Vergangenheit. » ›Nie wieder‹ - das ist ein Auftrag. Für uns alle. Jeden Tag. Wo Hass um sich greift, ist niemand sicher«, sagte Bas.

Anlass des Holocaust-Gedenktags ist die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945. Bundespräsident Roman Herzog hatte 1996 den 27. Januar zum Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Millionen Menschen wurden während der Naziherrschaft entrechtet, verfolgt und ermordet.

ZENTRALRAT Traditionell nahmen an der Gedenkstunde im Bundestag auch die Spitzen der anderen Verfassungsorgane teil. Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz waren das Bundesratspräsident Peter Tschentscher und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Auf der Besuchertribüne saßen Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, sowie Holocaustüberlebende wie Margot Friedländer, Charlotte Knobloch und Albrecht Weinberg.

Lesung Die Schauspielerin Maren Kroymann las einen Text über Mary Pünjer vor, die als »kesse Lesbierin« von den Nazis verfolgt und ermordet wurde. Kroymanns Kollege Jannik Schümann gab dem Überlebenden Karl Gorath seine Stimme, der im Jahr 2003 starb. Auch er war als Homosexueller in KZs deportiert worden.

Der nach dem Krieg geborene Klaus Schirdewahn sprach über seine Geschichte als Homosexueller in der noch jungen Bundesrepublik.

Im Vorfeld der Gedenkstätte hatte Olaf Scholz in einem Tweet erklärt, das Leid von sechs Millionen unschuldig ermordeten Jüdinnen und Juden sei unvergessen - genauso wie das Leid der Überlebenden. »Damit unser #NieWieder auch in Zukunft Bestand hat, erinnern wir am #HolocaustGedenktag an unsere historische Verantwortung.«

Mit #WeRemember fügte der Bundeskanzler den Hashtag der gleichnamigen Initiative des World Jewish Congress hinzu. ja (mit Agenturen)

Belgien

»Ruf unseres Landes beschmutzt«: Premier rügt Gent-Festival

Premier Bart de Wever kritisiert die Leiter eines belgischen Festivals dafür, die Münchner Philharmoniker und ihren Dirigent Lahav Shani ausgeladen zu haben

 12.09.2025

Berlin

Humboldt-Universität will gegen Antisemitismus vorgehen

Präsidentin Julia von Blumenthal sieht ihre Hochschule für künftige Auseinandersetzungen rund um den Nahost-Konflikt gut vorbereitet

von Lukas Philippi  12.09.2025

Gaza

Die Genozid-Lüge

Wie die Hamas nach dem 7. Oktober vom Täter zum Opfer wurde – und Israel zur Verkörperung des Bösen schlechthin

von Stephan Lehnstaedt  12.09.2025

Nachkriegsjustiz

Verhandlung über Massenmord: Vor 80 Jahren begann der Belsen-Prozess

Fünf Monate nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen erhob ein britisches Militärgericht in Lüneburg Anklage gegen die Täter. In einer Turnhalle begann damit vor 80 Jahren der erste große NS-Kriegsverbrecherprozess in Deutschland

von Karen Miether  12.09.2025

Belgien

Deutsche Botschaft beendet Partnerschaft mit Gent-Festival

Die Deutsche Botschaft in Brüssel hat nach der Ausladung der Münchner Philharmoniker ihre Zusammenarbeit mit dem Flandern-Festival in Gent eingestellt

von Michael Thaidigsmann  11.09.2025

Debatte

Zentralrat nennt Ausladung Shanis »fatales Signal«

Wer einen Künstler aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seiner jüdischen Religion ausgrenzt und diskreditiert, trete die Demokratie mit Füßen

 11.09.2025

Berlin

Soziale Medien: »TikTok-Intifada« und andere Probleme

Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich auf einer Fachtagung mit Hass im Netz: »Digitale Brücken, digitale Brüche: Dialog in Krisenzeiten«

 11.09.2025

Urteil

Bundesgerichtshof bestätigt Geldstrafen gegen Höcke

Das Landgericht Halle habe in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der AfD-Politiker die verbotene SA-Parole »Alles für Deutschland« und »Alles für« gerufen hat

 11.09.2025

Antisemitismus

Gesetze der Ausgrenzung - Vor 90 Jahren wurden die antijüdischen Nürnberger Gesetze erlassen

Die menschenverachtenden Nürnberger Gesetze bildeten die juristische Legitimation für Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland. Erlassen wurden sie vor 90 Jahren

von Jutta Olschewski  11.09.2025