Die Vorgänge im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) rund um einen offenen Brief von Hochschullehrern, der sich Anfang Mai nachdrücklich gegen die Räumung eines antisemitischen Protest-Camps an der Freien Universität Berlin aussprach, sorgen weiter für Diskussionen.
Am 11. Juni hatte das ARD-Magazin »Panorama« ministeriumsinterne E-Mails veröffentlicht, die den Verdacht nahelegten, dass Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) selbst oder ihr Leitungsteam zumindest zeitweise erwogen hatten, einzelnen Unterzeichnern des offenen Briefes Fördermittel des BMBF zu entziehen.
Später gab Stark-Watzinger bekannt, ihre beamtete Staatssekretärin Sabine Döring habe für den Prüfauftrag verantwortlich gezeichnet. Sie ließ Döring, eine Philosophieprofessorin aus Tübingen, die erst seit Anfang 2023 als Staatssekretärin amtierte, kurzerhand in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Zwar sei der Prüfauftrag nie ausgeführt worden, ein personeller Neuanfang sei aber trotzdem notwendig, so Stark-Watzinger. Sie selbst habe erst durch den »Panorama«-Bericht von dem Prüfauftrag erfahren.
Döring wurde ein Maulkorb auferlegt
Jetzt gab die Geschasste in einem Interview mit der Wochenzeitung »Die Zeit« ihre Sicht der Dinge zu Protokoll. Teilweise zumindest. Denn das BMBF hat Döring untersagt, öffentlich Stellung zu beziehen zu den hausinternen Abläufen rund um den offenen Brief. Gegen diesen Maulkorb hat die politische Beamtin Klage eingelegt.
Im Interview mit der »Zeit« sagte Döring, sie sei zur Verschwiegenheit verpflichtet und könne deswegen lediglich auf die offiziellen Verlautbarungen des Ministeriums verweisen. Andernfalls drohten ihr Disziplinarmaßnahmen. Einige der ihr gestellten Fragen wollte sie nicht beantworten, andere nur »rein hypothetisch«.
Sie kritisierte aber, dass in dem offenen Brief der Berliner Hochschullehrer gefordert worden sei, die Protestierenden »in keinem Fall (der) Polizeigewalt ausgeliefert werden sollten« und der »Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen Öffentlichkeit« als unvereinbar »mit Polizeieinsätzen auf dem Campus« angesehen worden sei. Eine solche Haltung stelle das Gewaltmonopol des Staates infrage, so Döring.
Der Begriff »Polizeigewalt« stelle die Ordnungshüter als per se gewalttätig dar, und der offene Brief beziehe seine Forderungen auch nicht nur auf den Einzelfall, sondern suggeriere, dass die Unterzeichner generell von Polizeieinsätzen gegen Studierende absehen wollten.
Es sei dennoch schnell klar geworden, dass der offene Brief keine strafrechtliche Relevanz gehabt habe und von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen sei, sagte Döring.
Deshalb wäre die Streichung von Fördermitteln aus dem Etat des Bundes »eindeutig eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit« gewesen, so die Philosophieprofessorin. Das Grundgesetz weise der Wissenschaftsfreiheit einen besonderen Schutz zu. Doch es müsse zwischen Meinungsfreiheit einerseits und Wissenschaftsfreiheit andererseits unterschieden werden. Wissenschaft, so Döring mit Verweis auf das Bundesverfassungsgericht, sei allein das, »was nach Inhalt und Form als ernsthafter und planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist«.
Der Campus dürfe demnach nicht für eine politische Agenda missbraucht werden, weder durch den Staat noch durch Lehrende oder Studierende. Das entscheidende Kriterium für die Vergabe von Fördermitteln müsse »wissenschaftliche Exzellenz« sein, betonte sie. Andere Kriterien kämen nur dann in Betracht, »wenn jemand buchstäblich gegen die Verfassung verstößt«.
Döring weiter: »Aus meiner Sicht ist jedoch auch dann eine Grenze überschritten, wenn explizit das Existenzrecht Israels geleugnet wird oder antisemitische Äußerungen in einem Kontext getätigt werden, der geeignet ist, das Leben von Jüdinnen und Juden zu gefährden. Wenn es also zu geistiger Brandstiftung kommt. Das sage ich als Ethikerin, nicht als Juristin.« Die Grenze liege dort, wo jemand so agiere, dass er als Bedrohung für andere Universitätsangehörige wahrgenommen werde und so die Wissenschaftsfreiheit einschränke.
Sie selbst habe mit der Verwaltung im BMBF kein Problem gehabt, sagte sie der »Zeit«. »Aber vielleicht habe ich manchmal zu freigeistig drauflosgefragt als Philosophin. Manche fanden das gut, andere hat es gestört.« Gefragt, ob es ihr an Verwaltungserfahrung gemangelt habe, antwortete sie: »Natürlich fehlte mir als Quereinsteigerin die Verwaltungserfahrung. Das war von Anfang an klar.«
Vorwürfe gegen Döring-Nachfolger Philippi
Zu Dörings Nachfolger berief Bettina Stark-Watzinger nun Roland Philippi. Auch er kam erst mit Stark-Watzinger 2021 ins BMBF und leitete dort bislang die Grundsatzabteilung. Zuvor war Philippi unter anderem Büroleiter der hessischen Kultusministerin Nicola Beer (FDP) gewesen, die 2019 ins Europäische Parlament wechselte.
Doch gegen den neuen Spitzenbeamten im Ministerium gibt es in derselben Angelegenheit bereits Vorwürfe. Das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« zitierte aus Chats, in denen Philippi die Unterzeichner des offenen Briefes »verwirrte Gestalten« genannt und Sympathien für »eine Art informelle, ›freiwillige‹ und selbst auferlegte Antisemitismus-Klausel für unsere Förderung« gezeigt haben soll. Zuvor sei in dem Chat angedeutet worden, dass Wissenschaftler nach Stark-Watzingers öffentlicher Kritik ihre Unterschrift unter den offenen Brief wieder zurückgezogen hätten – aus Angst vor Kürzungen von Finanzmitteln für ihre Arbeit.
Auch die Bundesministerin selbst äußerte sich laut »Spiegel« in dem Chat – und versuchte, entsprechende Befürchtungen zu zerstreuen. Die seien, so Stark-Watzinger, »natürlich Quatsch«. Die Auswahl von der mit Zuwendungen des Bundes bedachten Projekte erfolge nach wissenschaftlichen Kriterien, die Entscheidung treffe nicht sie persönlich. Die Unterzeichner könnten aber »nicht erwarten, dass man selbst alles sagen kann und dann keinen Gegenwind ertragen«.
Auf diese Aussage soll Roland Philippi dann geantwortet haben: »Persönliche Meinung: Wenn sich dadurch eine Art informelle, ›freiwillige‹ und selbst auferlegte Antisemitismus-Klausel für unsere Förderung bei so manchen, verwirrten Gestalten etabliert (bspw so einen Aufruf nun mal eben nicht zu unterzeichnen wg Sorge um die Förderung), hätte ich jetzt ad hoc nix gegen.«
Die Affäre um den offenen Brief und die Verantwortlichkeiten innerhalb ihres Ministeriums ist für Bettina Stark-Watzinger längst nicht ausgestanden. mth