Interview

»Ein Signal an die jüdischen Studierenden«

Ist Professor für Empirische Sozialstrukturanalyse an der FU Berlin und setzt sich gegen Antisemitismus ein: Stefan Liebig Foto: Stefan Liebig

Herr Liebig, Sie haben einen offenen Brief initiiert, der sich »ohne Wenn und Aber« gegen Antisemitismus an Hochschulen ausspricht. Sollte das nicht eine Selbstverständlichkeit sein?
Ja, das sollte es. Aber leider ist das nicht mehr so. Zwar ist der Antisemitismus unter Studierenden insgesamt deutlich niedriger als in der Gesamtbevölkerung. Aber insbesondere für Studierende mit muslimischem Hintergrund und solche, die aus dem Konfliktraum stammen, gilt das nicht, wie eine jüngere Umfrage der Universität Konstanz gezeigt hat. Das ist ein Problem, um das wir uns bisher nicht ausreichend gekümmert haben.

Woran machen Sie den Antisemitismus dieser Studierenden fest?
In dieser Studie wurden die gängigen Fragen verwendet, mit denen man antisemitische Einstellungen in der empirischen Sozialforschung erhebt. Es sind dies einmal Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden und zum anderen der israelbezogene Antisemitismus, der Israel als »Staat der Juden« delegitimiert und nach doppelten Standards bewertet.

In dem Brief drücken Sie auch Ihre Sorge über den zunehmenden Boykott israelischer Wissenschaftler aus. Ist das auch ein Problem an deutschen Universitäten?
Die Demonstranten an den Hochschulen fordern ein Ende der Zusammenarbeit mit israelischen Forschungseinrichtungen. Zudem erzählen mir viele Kolleginnen und Kollegen aus Israel, dass sie Angst vor Anfeindungen und Störungen haben, wenn sie hier an wissenschaftlichen Konferenzen teilnehmen. Solche Vorfälle gab es ja auch hier in Deutschland schon mehrfach. Das ist unglaublich und war auch ein Anlass für unsere Initiative.  

Lesen Sie auch

Wie wird der Brief bisher in der wissenschaftlichen Community angenommen?
Sehr gut – auch wenn offene Briefe mittlerweile auch kritisch angesehen werden. Es gibt über 70 Erstunterzeichnende, obwohl wir den Brief erst einmal nur in einem kleinen Kreis geteilt haben. Uns ging es darum, ein Signal an die jüdischen Studierenden zu senden: Wir stehen hinter euch.

Trügt also der Eindruck, dass andere Anliegen mehr Unterstützung erhalten? Zum Beispiel haben im Mai 1.000 Hochschullehrende ein Statement unterzeichnet, in dem ein israelfeindliches Protestcamp verteidigt wurde.
Ich denke eher, dass die meisten sich dazu nicht positionieren wollen. Viele Studierende haben für die Proteste an den Unis nicht viel übrig. Sie sind auch genervt. Das Problem ist, dass diese »schweigende Mehrheit« eben schweigt. Dies gilt sicherlich auch für viele Professorinnen und Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Sie lehren an der FU, das Statement haben Sie aber nicht unterschrieben. Warum?
Weil es Aussagen enthält, die ich nicht mittragen kann. Ich bin selbstverständlich dafür, dass an Universitäten über gesellschaftliche Entwicklungen und Konflikte diskutiert wird. Dafür müssen aber auch bestimmte Regeln eingehalten werden. Wenn diese verletzt werden, ist ein Austausch der Argumente nicht möglich. Wichtig ist dabei auch zu sehen, dass diese Proteste an den Universitäten ganz wesentlich von Personen getragen und initiiert werden, die eben nicht Studierende sind und denen es nicht darum geht, Diskurse zu führen.

Seit dem 7. Oktober gab es zahlreiche Proteste dieser Art an deutschen Universitäten. Wie bewerten Sie den bisherigen hochschulinternen Umgang mit diesen?
Die Universitätsleitungen waren am Anfang sehr zögerlich, weil sie noch zu wenig Erfahrungen mit diesen Protesten hatten. Es setzt sich meiner Wahrnehmung nach aber die Erkenntnis durch, dass bestimmte rote Linien nötig sind und deren Überschreitung auch geahndet wird.

Mit dem Professor der Freien Universität Berlin sprach Joshua Schultheis.

Berlin

Gericht vertagt Verhandlung über Lahav Shapiras Klage gegen Freie Universität

Warum die Anwältin des jüdischen Studenten die Entscheidung der Richter trotzdem als großen Erfolg wertet. Die Hintergründe

 15.07.2025 Aktualisiert

Berlin

Vor 90 Jahren: Antisemitische Ausschreitungen am Kudamm

Am 15. Juli 1935 griff bei diesem Pogrom ein Nazi-Mob jüdische Passanten an. Zahlreiche Menschen wurden verletzt

 15.07.2025

Andenken

Berliner SPD: Straße oder Platz nach Margot Friedländer benennen

Margot Friedländer gehörte zu den bekanntesten Zeitzeugen der Verbrechen der Nationalsozialisten. Für ihr unermüdliches Wirken will die Berliner SPD die im Mai gestorbene Holocaust-Überlebende nun sichtbar ehren

 15.07.2025

Menlo Park

Zuckerberg kündigt riesige KI-Rechenzentren an

Der Facebook-Gründer will bei Künstlicher Intelligenz vorn liegen. Dafür nimmt er hunderte Milliarden Dollar in die Hand

 15.07.2025

München

Angriff auf Juden: Marokkaner muss ins Gefängnis

Das Verbrechen ereignete sich vor einem Jahr in der Münchner Innenstadt

 15.07.2025

Berlin

Organisationen unterstützen Lahav Shapiras Klage gegen die Freie Universität

Die Klage sei von »grundsätzlicher Bedeutung für alle Studierenden«, sagt etwa der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

 15.07.2025

Untersuchung

BBC verletzte Sorgfaltspflicht mit Gaza-Doku

Wie sich herausstellt, ist der jugendliche Erzähler in einer BBC-Doku der Sohn eines Hamas-Vertreters. Das sorgt für heftige Kritik. Es ist nicht der einzige Fall, bei dem Sender schlecht aussieht

 15.07.2025

Judenhass

AJC Berlin: »Pro-palästinensische« Demos erinnern an Querdenker

Israelfeindliche Demonstranten und Querdenker? Aus Sicht des Direktors des American Jewish Committee gibt es da durchaus Gemeinsamkeiten. Was er jetzt von der deutschen Zivilgesellschaft erwartet

von Johannes Peter Senk  14.07.2025

Medien

Die Deutsche Welle und Israel: Mitarbeiter werfen ihrem Sender journalistisches Versagen vor

Die Hintergründe

von Edgar S. Hasse  14.07.2025