Ostdeutschland

AfD-Regierung als »Schreckensszenario«

Will in Mecklenburg-Vorpommern regieren: AfD-Landesvorsitzender Leif-Erik Holm (2.v.l.) beim AfD-Bürgerdialog zum Auftakt des Wahlkampfes der AfD in Mecklenburg-Vorpommern Foto: picture alliance/dpa

An ihrem Willen, in Ostdeutschland die Staatskanzleien zu übernehmen, lässt die AfD keinen Zweifel. »Klar stärkste Kraft und Regierungsverantwortung«, gibt Leif-Erik Holm, Co-Vorsitzender der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, als Ziel für seine Partei aus. Der Vorsitzende der AfD in Sachsen-Anhalt, Martin Reichardt, spricht gar von »45 Prozent plus X, um ohne Kompromisse allein regieren zu können«.

In beiden Bundesländern wird nächstes Jahr im September gewählt, und die AfD ist aus ihrer Sicht klar auf Kurs: Bis zu 40 Prozent wollen laut Umfragen ihr Kreuz bei der Rechtsaußenpartei machen.

Eine AfD-Alleinregierung auf Landesebene ist damit zumindest in den Bereich des Möglichen gerückt. Es ist eine Vorstellung, die die AfD und ihre Anhänger frohlocken, ihre politischen Gegner, weite Teile der Zivilgesellschaft und Vertreter der jüdischen Gemeinden dagegen schaudern lässt.

»Ich betrachte diese Entwicklung mit großer Sorge«, sagt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der Jüdischen Allgemeinen. Die Umfragewerte der AfD in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt müssten »für jeden Demokraten ein Weckruf sein«. Für den Zentralratspräsidenten wäre eine AfD-Regierung in diesen Ländern »eine echte Gefahr für jüdisches Leben«.

Antisemitismus-Vorwurf gegen die AfD

Schuster erneuert damit eine Kritik an der AfD, die der Zentralrat und zahlreiche weitere jüdische Organisationen bereits 2018 in einer gemeinsamen Erklärung formuliert haben. In dem Papier wird die AfD als Partei gezeichnet, »in der Judenhass und die Relativierung bis zur Leugnung der Schoa ein Zuhause haben«. Die skeptische bis ablehnende Haltung der AfD gegenüber dem koscheren Schächten sowie der Beschneidung wird als Infragestellung jüdischen Lebens gewertet.

Das Fazit der Erklärung: »Die Partei ist ein Fall für den Verfassungsschutz, keinesfalls aber für Juden in Deutschland.« Ebenjener Verfassungsschutz stufte im Mai dieses Jahres die gesamte AfD als »gesichert rechtsex­trem« und damit als verfassungsfeindlich ein. Die Partei klagt derzeit gegen diese Einstufung.

In der AfD weist man den Vorwurf des Antisemitismus weit von sich. Dieser sei »völlig absurd«, sagt Ulrich Siegmund, Spitzenkandidat der AfD in Sachsen-Anhalt, auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen. Seine Partei begegne den Juden »mit Respekt und Wertschätzung«.

»Immer weniger Gemeindemitglieder fallen auf die Erzählung der AfD herein.«

Juri rosov, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Rostock

Leif-Erik Holm aus Mecklenburg-Vorpommern betrachtet die AfD als »Verteidiger des jüdischen Lebens in Deutschland«. Er spricht von einem »importierten Antisemitismus-Problem« durch muslimische Immigranten, zu dessen Lösung die res­triktive Position der AfD beim Thema Migration beitragen werde. Holm glaubt, der Antisemitismusvorwurf gegen die AfD verfange immer weniger, »denn auch die Bürger jüdischen Glaubens erkennen zunehmend, wo die tatsächlichen Gefahren herkommen«.

Juri Rosov widerspricht Holms Darstellung der AfD als Garant jüdischen Lebens in Deutschland. »Immer weniger Gemeindemitglieder fallen auf diese Erzählung herein«, sagt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Rostock im Gespräch mit dieser Zeitung. »Viele stört, dass die AfD sehr pro‑Putin und anti‑israelisch eingestellt ist.«

Zwar gebe es insbesondere in der älteren Generation auch Juden mit Sympathien für die AfD, so Rosov, doch diese seien »eine Minderheit« in der Gemeinde. Eine AfD-Regierung in seinem Bundesland nennt er ein »Schreckensszenario«. Wie die Zusammenarbeit mit einem Ministerpräsidenten der Rechtsaußenpartei aussehen könne, sei »derzeit schwer vorstellbar«.

Max Privorozki ist Vorstandsmitglied des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt und Vorsitzender der Gemeinde Halle (Saale). Er sagt, die AfD sei »keine gute Wahl« für die Juden, doch die größere Gefahr für die jüdischen Gemeinden sieht er im Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Privorozki kritisiert die »israelfeindliche Ausrichtung« der linkspopulistischen Partei, die in Sachsen-Anhalt derzeit bei knapp über fünf Prozent steht.

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»Am schlimmsten wäre eine Koalition aus AfD und BSW«, so der Gemeindevorsitzende. Er glaubt, dass eine AfD-Regierung die Finanzierung der jüdischen Gemeinden und das Schoa-Gedenken nicht infrage stellen würde. »Das würden sie nicht wagen«, sagt Privorozki, und schränkt ein: »Zumindest nicht von Anfang an.«

Deutlich besorgter äußert sich Igor Matviyets, Gemeindemitglied und SPD-Lokalpolitiker in Halle. Die AfD in Sachsen-Anhalt lasse »keinen Zweifel daran, wie sehr sie das Zusammenleben verändern will«. Die Partei strebe »eine Rückkehr zu nationalsozialistischem Denken an«, so Matviyets, der für das Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt arbeitet.

Er glaubt, eine AfD-Regierung wäre für die jüdischen Gemeinden »ein tiefer Einschnitt, denn sie sind unmittelbar von der Landesregierung abhängig«. Matviyets nennt die aktuelle Lage »düster«, und doch: Er wolle sich »weiterhin auf zivilgesellschaftlicher Ebene engagieren«.

Schuster fordert »konstruktive Zusammenarbeit« der anderen Parteien

Bis zu den Landtagswahlen in Ostdeutschland sind es noch knapp zehn Monate. Zentralratspräsident Josef Schuster erwartet nun, »dass die demokratischen Parteien endlich die konstruktive Zusammenarbeit zur Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme in den Fokus nehmen«. Statt ständig über die AfD zu reden, müssten sie »konkrete Antworten auf die drängenden gesellschaftlichen Probleme finden«.

Max Privorozki sieht es ähnlich. Er setzt seine Hoffnung auf »die bürgerlichen Parteien von CDU und FDP«. Wenn diese »gute Politik betreiben, hat die AfD keine Chance, denn die nutzt vor allem die Fehler der anderen Parteien aus«.

Juri Rosov verweist darauf, dass die regierenden Mitteparteien in den ostdeutschen Bundesländern in der Vergangenheit wiederholt die AfD kurz vor der Wahl doch noch in der Wählergunst überholen konnten. »Vielleicht gelingt das diesmal wieder«, sagt er. »Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.«

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