Kriegsende

180 weiße Zeichen auf grauem Asphalt

Zeichen setzen in Hamburg Foto: E.M. Urbitsch

Kriegsende

180 weiße Zeichen auf grauem Asphalt

In Hamburg will das Graffiti-Projekt Fußnote* an Alltag und Schrecken im Nationalsozialismus erinnern

von Nina Schulz  10.05.2010 16:03 Uhr

Sie sind auf dem Rathausmarkt. Auf den Landungsbrücken vor dem Museumsschiff Rickmer Rickmers. Auf der Reeperbahn vor dem Penny Markt und der Polizeistation Davidwache. 180 Zeichen weißer Sprühfarbe besetzen seit Anfang Mai den Asphalt der Hansestadt Hamburg. 1,50 mal einen Meter sind die Graffitis groß. An 33 Orten soll so die Komplexität des Alltags im Nationalsozialismus vermittelt werden. Das ist Ziel des Projekts Fußnote* und sein zeitlicher Bezugspunkt der 8. Mai 1945, Tag des Kriegsendes.

»Uns geht es darum, noch nicht gekennzeichnete Orte in der Stadt zu markieren und die vielschichtigen Dimensionen der NS-Geschichte sichtbar zu machen«, sagt Christiane Hess. Die Doktorandin der Geschichtswissenschaften ist eine von sieben Personen, die das Projekt Fußnote* initiiert haben. »Wenn wir über die vielschichtigen Dimensionen von Täterschaft, Beteiligung, Widerstand, Gewalt und Ausgrenzung reden, geht es uns darum zu personalisieren und individuelle Geschichten zu erzählen.« So schildert die Fußnote* vor dem Pennymarkt auf der Reeperbahn den Selbstmord des Antifaschisten Albert Bennies. Vor dem Lokal »Alkazar« hatte er sich vor einen Bus geworfen, um der Gestapo zu entgehen.

dreiecke Das Projekt konzentriert sich nicht nur auf Verfolgungsgeschichten, sondern berücksichtigt zudem die Gleichzeitigkeit von Realitäten: der Heraufbeschwörung der Volksgemeinschaft ebenso wie der Situation von Zwangsarbeitern. So lassen die Fußnoten* Erinnerungsdreiecke wie dieses entstehen: In der Nähe des Schanzenviertels wird an das Zwangsarbeiterlager in der Schilleroper erinnert, in dem von 1943 bis Anfang 1945 italienische Kriegsgefangene interniert waren. 650 Meter weiter südlich findet sich ein Hinweis auf das ehemalige Freizeitheim der Hitlerjugend am Neuen Pferdemarkt. Diese Fußnote soll darauf aufmerksam machen, dass zahlreiche Jugendliche bis zuletzt an die Nazi-Ideologie glaubten. Zwei Minuten östlich wird über den ehemaligen Gefechtsturm an der Feldstraße informiert. Der Bunker für 18.000 Menschen wurde von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen errichtet, nutzen durften sie ihn nicht.

Das Konzept, temporäre Zeichen im öffentlichen Raum zu setzen, stammt vom Projekt IN SITU aus Linz in Österreich. Dort wurden im vergangenen Jahr 65 Orte des nationalsozialistischen Terrors markiert. Auch die Fußnoten konzentrieren sich auf das »Prinzip der leisen Wirksamkeit«. Es gehe darum, relativ stille Geschichten zu erzählen, die aber in ihrer Dichte und in ihrem Zusammenhang funktionieren, sagt Andreas Ehresmann, einer der Initiatoren der Fußnoten*. Gleichzeitig betont der Architekt und Doktorand der Geschichtswissenschaft: »Das Temporäre ist uns wichtig. Gedenktafeln haben eher den Charakter eines Denkmals, und Denkmäler verschwinden aus der öffentlichen Wahrnehmung. Dieses Verschwinden wollten wir zum Prinzip erheben. Deshalb die Graffitischablonen als Markierungen.

Präzedenzfall Der Pauschalpreis pro Folie beträgt 80 Euro. Unterstützt wird das Projekt von «Paten» wie dem linken Stadtteilzentrum Rote Flora, dem Club Übel&Gefährlich im Bunker an der Feldstraße, antifaschistischen und linken Gruppen aus Hamburg und Einzelpersonen. Für das Sprühen der Fußnoten* hat man offizielle Genehmigungen der Hansestadt eingeholt. «Die Mitarbeiter in den Bezirksämtern hatten schon ihr Interesse bekundet, bevor sie den genauen Inhalt der Schablonen kannten», sagt Christiane Hess. «Wir haben einen Präzedenzfall geschaffen. Auf diese städtische Legitimation können sich auch diejenigen beziehen, die das Projekt in ihrer Stadt umsetzen wollen», fügt sie hinzu. Vielleicht finden sich ja bald 180 Zeichen auf dem Asphalt anderer deutscher Städte.

Deutschland

Rechtsextremismus beunruhigt Deutsche stärker als Zuwanderer

Antisemitische Vorurteile nehmen bei Türkeistämmigen zu, während die Angst vor Rechtsextremismus bei Deutschen ohne Migrationshintergrund besonders hoch ist. Was verrät die neue KAS-Studie noch?

 09.12.2025

Medien

Äußerst ungewöhnlicher Schritt: Irans Staatssender gesteht Fehler bei Kriegsberichterstattung ein

Nach dem Krieg gegen Israel gesteht der Präsident des iranischen Staatssenders eine Falschmeldung ein. Die Hintergründe

 09.12.2025

Umfrage

KAS-Studie: Antisemitische Vorurteile nehmen bei Türkeistämmigen zu

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat eine neue Studie zum Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft vorgelegt. Dabei wurden auch Einstellungen zu Juden abgefragt

 09.12.2025

Naher Osten

Bericht: Keine Rolle für Tony Blair bei Gaza-Friedensrat

Anstelle Blairs ist der bulgarische Diplomat und ehemalige Nahostgesandte Nickolay Mladenov im Gespräch, wie die »Financial Times« vermeldete

 09.12.2025

Frankfurt am Main

Lufthansa Cargo stoppt Militärtransporte nach Israel

Während die politischen Beziehungen zwischen Berlin und Jerusalem eine Annäherung erleben, ist dies im Luftfahrt-Bereich nicht der Fall. Warum?

 08.12.2025

Berlin

Presseschau zum Israel-Besuch von Kanzler Friedrich Merz

Wie bewerten deutsche Leit- und Regionalmedien Merz‘ Antrittsbesuch bei Ministerpräsident Benjamin Netanjahu?

 08.12.2025

Toronto

Miriam Mattova aus Uber geworfen, weil sie Jüdin ist

»Was passiert ist, ist nicht nur ein unangenehmer Moment. Es ist eine Erinnerung daran, warum es wichtig ist, sich zu äußern«, sagt das Model

 08.12.2025

Gaza

Wie die Hamas Hilfsorganisationen gefügig machte

Einer Auswertung von »NGO Monitor« zufolge konnten ausländische Organisationen in Gaza nur Hilsprojekte durchführen, wenn sie sich der Kontrolle durch die Hamas unterwarfen

von Michael Thaidigsmann  08.12.2025

Jerusalem

Ein neuer Sound?

Unterwegs mit Bundeskanzler Friedrich Merz bei seiner Antrittsreise in Israel

von Philipp Peyman Engel  07.12.2025