Man kann verzweifeln beim Blick auf die aktuellen Umfrageergebnisse in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. In den ostdeutschen Bundesländern wird im kommenden September gewählt, und in beiden steht die AfD unangefochten auf Platz eins der Wählergunst. Bis zu 40 Prozent wollen, Stand jetzt, ihr Kreuz bei der rechtsextremen Partei machen.
Hinter vorgehaltener Hand sollen Politiker anderer Parteien schon die Hoffnung äußern, dass die AfD eine absolute Mehrheit erringt. Sonst käme man in die Verlegenheit, entweder mit den Rechtsextremen oder mit allen übrigen Parteien zu koalieren – in Sachsen-Anhalt würde das eine Koalition aus CDU, SPD, Linke und BSW bedeuten. Immer öfter hört man im Land den Satz: Dann lasst die AfD halt regieren!
Wie sähe das Schoa-Gedenken mit einem Ministerpräsidenten einer geschichtsrevisionistischen Partei aus?
Doch »einfach« wäre an einer AfD-Regierung wenig. Fünf Jahre, in denen Rechtsextreme an der Macht sind, können in einem Bundesland großen Schaden anrichten. Über den Landeshaushalt hätten sie einen enormen Hebel auf Museen, Bibliotheken und den gesamten Bildungssektor. Es wäre naiv zu glauben, dass die AfD diesen nicht nutzen würde, um ihr reaktionäres Weltbild in diesen und durch diese Institutionen zu propagieren. Zudem könnte die Partei nach und nach ihre Leute auf die wichtigsten Posten in Justiz, Verwaltung, Polizei und Verfassungsschutz setzen.
Leidtragende wären zunächst und vor allem die Minderheiten. Homosexuelle, Muslime, Juden. Gelder für Präventionsmaßnahmen gegen Extremismus und Hilfsangebote für Betroffene von Diskriminierung könnten gestrichen, Orte der Selbstorganisation unter Druck gesetzt werden. Auch die jüdischen Gemeinden haben Grund zur Sorge: Würde ihre Finanzierung durch das Land von einer AfD-Regierung irgendwann an Bedingungen geknüpft? Wie sähe künftig das Schoa-Gedenken mit einem Ministerpräsidenten einer geschichtsrevisionistischen Partei aus?
Jüdische Repräsentanten in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern machen sich zu Recht Sorgen. Aber sie sagen auch: Noch ist es für die demokratischen Parteien nicht zu spät, einen AfD-Wahlsieg zu verhindern – mit guter Politik und einem Angebot, das mehr ist als nur ein Abarbeiten an den Positionen der AfD. Wenn die Juden vor Ort die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, sollte es die Politik schon gar nicht tun. Zehn Monate hat sie noch, das Schlimmste abzuwenden. Es gibt keine Zeit zu verlieren.
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