Karolina Szykier Koszucka

Polen: Rückfall ins Mittelalter

Karolina Szykier-Koszucka Foto: privat

Karolina Szykier Koszucka

Polen: Rückfall ins Mittelalter

Das strikte Abtreibungsverbot verstößt eindeutig gegen den verfassungsmäßigen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Frauen

von Karolina Szykier Koszucka  05.11.2020 08:14 Uhr

Wir leben im 21. Jahrhundert. Wir haben Zugang zu pränatalen Untersuchungen, Operationen im Mutterleib, medizinischem Wissen. Dennoch beschließt der polnische Staat, Frauen das Recht auf eine Abtreibung auch dann zu verweigern, wenn »eine hohe Wahrscheinlichkeit einer schweren und irreversiblen Beeinträchtigung des Fötus oder einer unheilbaren, lebensbedrohenden Krankheit besteht«.

Die in dem Urteil des Verfassungsgerichts vorgetragene These verstößt eindeutig gegen den verfassungsmäßigen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Frauen und führt unser Land ins Mittelalter zurück.

FREIHEIT Als Jüdin und Mutter wünsche ich den Kampf mit der polnischen Wirklichkeit niemandem. Wie können wir das verstehen, wenn nicht als einen Anschlag auf unser Leben und unsere Freiheit? Ja, wir Frauen beten seit den Tagen von Sarah und Rachel, das Leben in uns zu tragen, aber Privileg und Freude für die einen kann für andere Schmerz und Last sein.

Vor einigen Jahren habe auch ich an Rachels Grab für eine gesund ausgetragene Schwangerschaft gebetet, einige Tage später hatte ich zum fünften Mal eine Fehlgeburt. Ich weiß, dass der Defekt so schwerwiegend war, dass der Körper für mich entschieden hatte.

Es ist unser Recht, zu entscheiden, ob wir die Kraft haben, Leben in uns zu tragen. Das Judentum versteht das.

Es ist unser Recht, zu entscheiden, ob wir die Kraft haben, Leben in uns zu tragen. Das Judentum versteht das, das Judentum erlaubt das, fragt die Frau, ob sie es schaffen wird.

Katholische Frauen stehen vor den Kirchen mit Vorwürfen. Aber was soll ich meiner jüdischen Tochter sagen? Dass im Judentum der Fötus als Teil der Frau gesehen wird, solange die Schwangerschaft andauert, und bis zum Zeitpunkt der Geburt nicht als eigenständige Person betrachtet wird? Dass die Mutter, ihre Gesundheit und ihre Bedürfnisse das Wichtigste sind?

SELBSTBESTIMMUNG Als Jüdin in Polen kann ich mich nicht auf rabbinische Interpretationen berufen, weil ich durch das aus der Theologie der katholischen Kirche abgeleitete Gesetz eingeschränkt bin. Ich fühle mich von meinem säkularen Staat betrogen und im Stich gelassen.

Deshalb verlassen wir, jüdische Mütter, Töchter, Ehemänner, am Schabbat trotz der Pandemie unsere Häuser und gehen, Tag für Tag, durch die Straßen Warschaus und Polens – für Wahlfreiheit und Selbstbestimmung. Ohne patriarchalische Herrschaft.

Die Autorin ist Direktorin für Jüdische Erziehung an der Lauder-Schule in Warschau.

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  20.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Meinung

Unsere Antwort ist Leben!

Chanukka ist das beharrliche Bestehen darauf, dass Mord und Terror nicht das letzte Wort haben. Ein Kommentar zum Terroranschlag von Sydney

von Jan Feldmann  18.12.2025

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  18.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  17.12.2025

Meinung

Warum ich Sydney nicht verlassen werde

Der Terroranschlag von Bondi Beach wurde auch möglich, weil die Mehrheitsgesellschaft den Antisemitismus im Land ignoriert hat. Unsere Autorin sagt trotzdem: Ihre Heimat als Jüdin ist und bleibt Australien

von Amie Liebowitz  17.12.2025

Meinung

Die Empörung über Antisemitismus muss lauter werden

Der Anschlag von Sydney war in einem weltweiten Klima des Juden- und Israelhasses erwartbar. Nun ist es an der Zeit, endlich Haltung zu zeigen

von Claire Schaub-Moore  17.12.2025