Rabbiner Andreas Nachama

NS-Aufarbeitung: Spät, aber nicht zu spät

Rabbiner Andreas Nachama Foto: Chris Hartung

Rabbiner Andreas Nachama

NS-Aufarbeitung: Spät, aber nicht zu spät

76 Jahre nach Ende der NS-Zeit erteilt die evangelische Kirche einen Forschungsauftrag, um das Wirken eines antisemitischen Pfarrers und Mörders aufzuklären

von Rabbiner Andreas Nachama  06.05.2021 08:50 Uhr

Elie Wiesel fragt in seinem Buch One Generation After: Was hat im nationalsozialistischen Deutschland »so viele gut ausgebildete und engagierte Personen dazu motiviert, so schreckliche Taten zu begehen?« Wer waren diese Mörder? Rauf- und Trunkenbolde, wie die »braunen Bataillone der SA« es in der Machtergreifungsphase der NSDAP nahelegen?

Der amerikanische Historiker Christopher Browning gibt am Beispiel des Hamburger Polizeireservebataillons eine frappierende Antwort: »ganz normale Männer«. Und doch bleibt die Frage, was die vielen studierten Täter zu den grausamen Taten motiviert hat.

SA-STANDARTENPFARRER Dass selbst gut ausgebildete Theologen sich von ihrem Glauben unendlich weit entfernten, belegt ein verstörendes Dokument, das in der 2020 erschienenen Quellenedition Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden enthalten ist. Der renommierte Berliner Historiker Manfred Gailus hatte es schon 2002 kommentiert. Er wurde jetzt von der evangelischen Kirche beauftragt, diese Geschichte umfänglich zu dokumentieren.

Der Fall Hoff ist ein Beispiel dafür, wie sich theologischer Antijudaismus zu Hass und Mord steigern kann.

Der evangelische Pfarrer Georg Walter Hoff, seines Zeichens Propst und Pastor der St.-Petri-Gemeinde in Berlin-Mitte und während der NS-Zeit SA-Standartenpfarrer, rühmte sich in einem Brief von 1943, »viele Hunderte Juden« mitliquidiert zu haben. Marion Gardei, Beauftragte für Erinnerungskultur in der Evangelischen Kirche, sagt: »Der Fall Hoff ist ein Beispiel dafür, wie sich theologischer Antijudaismus zu Hass und Mord steigern kann, aber auch dafür, wie dies von der Kirche in den Nachkriegsjahren verdrängt und verdeckt wurde.«

76 Jahre nach Ende der NS-Zeit erteilt die evangelische Kirche einen Forschungsauftrag, um das Wirken eines antisemitischen Pfarrers und Mörders aufzuklären. Spät, aber nicht zu spät, um auf von der Kirche geklärten historischen Fundamenten nun ein »House of One« zu errichten, in dem Synagoge, Kirche und Moschee in getrennten Räumlichkeiten, aber unter einem Dach vereint sein werden. So wird ein Miteinander von Juden, Christen und Muslimen in Stein gesetzte und im interreligiösen Tri-Dialog lebende Heilung des Ortes.

Der Autor ist Historiker und im Stiftungsrat des interreligiösen Projekts House of One.

Meinung

Kein Mensch interessiert sich für den AStA, aber vielleicht sollte man es

An der FU Berlin berieten Studenten darüber, wie man die Intifada globalisieren könnte. Darüber kann man lachen, doch den radikalen Israelfeinden steht der Marsch durch die Institutionen noch bevor

von Noam Petri  18.07.2025

Analyse

Inszenierung des angeblich Unpolitischen

Im Prozess von Lahav Shapira gegen Burak Y. versuchte die Verteidigung, so zu tun, als hätte die Nötigung des jüdischen Studenten nichts mit dem Nahost-Konflikt zu tun. Doch Burak Y. selbst unterlief diese Strategie

von Ruben Gerczikow  18.07.2025

Meinung

Es ist an der Zeit, endlich gegenzusteuern

Deutschland sollte lernen, seine Werte selbstbewusst zu vertreten. Plädoyer für eine andere Zuwanderungspolitik

von Jacques Abramowicz  17.07.2025

Meinung

Fereidoonis Leitfaden: Gut gemeint, schlecht gemacht

Der Didaktikprofessor Karim Fereidooni hat Empfehlungen für den Umgang mit dem Gazakrieg in Schulen vorgelegt. Trotz guter Absichten weist das Papier erhebliche Schwächen auf, wie ein Forschungsverbund zurecht kritisiert

von Marc Jacobsen, Patrick Viol  17.07.2025

Meinung

Die AfD schreckt vor nichts mehr zurück

Im Bundestag bagatellisiert die AfD sogar den Völkermord an bosnischen Muslimen 1995, um gegen Muslime in Deutschland zu hetzen

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025

Meinung

Die Kirche schafft sich ab

Jetzt soll ausgerechnet der Antizionismus helfen, den gesellschaftlichen Niedergang der Kirche zu stoppen

von Josias Terschüren  10.07.2025

Meinung

BSW und AfD: Zwei Ausprägungen desselben autoritären Denkens

Sahra Wagenknecht und ihre Partei nähern sich den Rechtsextremen immer weiter an. Spätestens jetzt ist klar: Am BSW gibt es nichts Progressives

von Igor Matviyets  09.07.2025

Meinung

»Demokratie leben« braucht eine Inventur

Die Idee hinter dem Förderprogramm des Bundes mag gut sein, die Umsetzung ist es nicht. Viel zu oft profitieren Extremisten und Israelhasser von den öffentlichen Geldern

von Lennart Pfahler  08.07.2025

Michael Roth

Warum Jean Asselborn nicht mehr mein Freund ist

Luxemburgs langjähriger Außenminister verbreitet bei Tilo Jung Verschwörungstheorien über Israel. Nun kündigt ihm ein sozialdemokratischer Weggefährte die Freundschaft

von Michael Roth  07.07.2025 Aktualisiert