Leonard Kaminski

Migrationshintergrund vs. Nazihintergrund?

Gäbe es in der deutschen Debatte über Rassismus, Diskriminierung, gesellschaftliche Veränderungen und den Umgang mit real existierender Vielfalt nur zwei Pole, fallen nach dem Verständnis einiger alle in genau nur zwei Kategorien: Menschen mit Migrationshintergrund einerseits und Menschen mit Nazihintergrund andererseits.

BEGRIFF Die beiden Schöpfer des Begriffs »Mensch mit Nazihintergrund« - die Künstlerin Moshtari Hilal und der Essayist und Aktivist Sinthujan Varatharajah - beschreiben damit alle in Deutschland lebende Personen, die keinen Migrationshintergrund haben. Dabei ist unerheblich, ob ihre Vorfahren tatsächlich Nazis waren. Es reicht vielmehr, »christliche« Verwandte in Nazideutschland gehabt zu haben, um so eine Person zu sein. Wichtig ist: Hilal und Varatharajah meinen das nicht etwa satirisch, sondern ganz im Ernst.

Ihr Begriff ist natürlich als Reaktion auf jenen der »Person mit Migrationshintergrund« gedacht. Mit dieser Vokabel reduziert die »Mehrheitsgesellschaft« Menschen oft auf ihre Herkunft. Unterschiedliche Herkünfte werden einfach in einen Topf geworfen. Hilal und Varatharajah drehen den Spieß einfach um und scheren nun ihrerseits alle »Biodeutschen« oder »Almans« über einen Kamm. Bildlich gesprochen ist das jener, mit dem Hitler einst seinen Scheitel zog.

Problematisch daran ist, dass Dinge gegenübergestellt werden, die nicht in einem Atemzug genannt werden sollten. Dabei ist der Begriff der »Menschen mit Nazihintergrund« auf den ersten Blick gar nicht so schlecht, denn er wirft ein Licht auf die bei vielen immer noch gepflegte Verdrängung der Nazivergangenheit. Und ja, es könnten ruhig mehr Leute in Deutschland wissen, dass etliche deutsche Unternehmen Millionen und Milliarden mit dem Leid jüdischer Unternehmer gemacht haben.

PROBLEME Aber sollte man gleich jede Deutsche und jeden Deutschen ohne Migrationshintergrund so bezeichnen? Das ist populistisch, unpräzise, pauschalisierend, antagonistisch - und es wird nicht helfen, den Weg hin zu einem inklusiven Deutschland zu erleichtern.

Der Begriff des Migrationshintergrunds war ursprünglich dazu gedacht, Personen zu beschreiben, deren Eltern oder Großeltern nicht mit deutschem Pass geboren wurden. Seit 2005 ist er offiziell eine statistische Größe.

Die Frage nach dem Migrationshintergrund dient dazu, Probleme bei der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Integration besser identifizieren zu können. Daran ist also erst einmal nichts auszusetzen, denn mangelnde Integration oder auch Diskriminierung durch die sogenannte Mehrheitsgesellschaft muss man ja erst beschreiben können, bevor man sie wirksam bekämpfen kann.

ZU PAUSCHAL Allerdings darf man sich schon die Frage stellen, ob und inwieweit der Begriff »Person mit Migrationshintergrund« immer gutmeinend verwendet wird. Hat irgendjemand die Menschen gefragt, ob sie so bezeichnet werden möchten?

Wenn ich als Mensch mit Migrationshintergrund kein Problem mit dem Begriff habe, zum Beispiel, weil ich auf der Straße optisch oder hinsichtlich meiner Sprache nicht so eingestuft werde und mir so kein Nachteil entsteht, sollte meine persönliche Erfahrung als »migrationshintergründiger« Leonard dann automatisch auf alle angewandt werden? Ist der Begriff nicht viel zu pauschalisierend? Kann er wirklich die mannigfaltigen Vorgeschichten von zirka 26 Millionen Menschen in Deutschland beschreiben?

Diese Fragen muss man ernsthaft diskutieren. Menschen mit Migrationshintergrund dürfen nicht zu Objekten gesellschaftlicher Debatten werden. Gerade, wenn es um Rassismus und Diskriminierung geht, müssen sie Definitionshoheit haben. Es ist aber fraglich, ob man diese damit erlangt, dass man alle anderen abschätzig als »Menschen mit Nazihintergrund« tituliert.

Gesellschaftlicher Fortschritt wird durch Austausch erreicht – aber nicht einem, der auf Grundschulhofniveau geführt wird. Denn damit erreicht man nur die Polarisierung der Debatte. Und das ist das Gegenteil des eigentlichen Ziels: der respektvolle, gleichberechtigte Umgang aller Teile der Gesellschaft miteinander.

Iman Sefati

Warum viele Exil-Iraner Israel dankbar sind

»Viele Exil-Iraner sehen in diesen Angriffen nicht Krieg, sondern Hoffnung«, schreibt der Autor

von Iman Sefati  15.06.2025

Carsten Ovens

Israel verteidigt sich – und schützt die Region

Warum der Angriff auf iranische Atomanlagen notwendig war – und was Europa daraus lernen muss

von Carsten Ovens  15.06.2025

Manifest zur Außenpolitik

Gilt das Versprechen der SPD auch für ukrainische Kinder?

Unser Gastautor wurde in der Ukraine geboren und ist Jude. Seit vielen Jahren ist er SPD-Mitglied. Das neue Manifest einiger Altvorderer zur Außenpolitik macht ihn wütend

von Igor Matviyets  13.06.2025

Meinung

Die Menschen im Iran sind Israel dankbar

Der jüdische Staat hat durch seine Luftangriffe den Iranern die Chance gegeben, die islamistische Diktatur in Teheran endlich loszuwerden. Das ist eine historische Gelegenheit

von Saba Farzan  13.06.2025

Schlag gegen Iran

Ein notwendiger Schritt

Israel hat alles Recht der Welt, sich gegen das iranische Atomprogramm zu wehren. Teheran darf niemals in den Besitz von Atomwaffen gelangen. Ein Kommentar von Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  13.06.2025

Meinung

Präventivschlag gegen eine existenzielle Bedrohung

Irans Atomprogramm verfolgt keine friedlichen Ziele. Nach dem Scheitern der diplomatischen Bemühungen ist Israels Angriff gerechtfertigt

von Ulrike Becker  13.06.2025

Meinung

Warum Israel die Ukraine jetzt offen militärisch unterstützt

Die Ukraine nutzt nun auch Waffensysteme aus israelischen Beständen. Der Hintergrund für die veränderte Politik Jerusalems ist eine Machtverschiebung in Nahost

von Saba Farzan  12.06.2025

Medien

Deutschlands Oberlehrer

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? In diesen Tagen scheint die Diffamierung Israels oberste Bürgerpflicht zu sein. Ein Kommentar

von Michael Thaidigsmann  11.06.2025 Aktualisiert

Kommentar

Der Unabhängige

Der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis ist nach Israel und ins Westjordanland gereist, um sich eine eigene Meinung über die humanitäre Hilfe in der Region zu bilden

von Nicole Dreyfus  11.06.2025