Daniel Zylbersztajn

Mein England heißt London

Weil ich ein großes Paket schleppte, wurde ich auf dem Weg zur Post neulich von einer Frau angesprochen, was denn da drin sei. »Mein Antrag zur britischen Staatsbürgerschaft«, sagte ich ihr. Sie erwiderte: »Brexit wäre unter Labour nicht passiert.« Ich widersprach, verwies auf den fehlenden EU-Enthusiasmus von Labour-Chef Jeremy Corbyn und erwähnte auch das Antisemitismusproblem der Partei. Was ich mir dann anhören musste, war ein Kurzvortrag über ultrakonservative Verschwörungen und dass Israel keinerlei Existenzrecht habe.

Will ich wirklich Staatsbürger eines Landes werden, in dem derartige Meinungen zunehmend salonfähig werden, fragte ich mich. Seit 1991 lebe ich in London. Ein englischer Freund, auch er Jude, riet mir nach dem Brexit-Votum, ich solle die britische Staatsbürgerschaft beantragen. »Unsere Geschichte lehrt, dass unsere Sicherheit und Zukunft stets ungewiss sind.«

REFERENDUM Viele Menschen, nicht nur Juden, haben in den letzten 18 Monaten den britischen Pass beantragt. Hätten sie es vor dem Referendum getan, wäre es mit ihren Stimmen vielleicht nicht zum Brexit gekommen. Aber wir vertrauten darauf, dass die ausländerfeindlichen und antisemitischen Fackeln im Lichte der EU nicht mehr aufleuchten würden. Wir lagen falsch.

Brexit gehört zur Politik der Abgrenzung, die unsere Gegenwart zunehmend definiert. Auch die EU selbst ist nach außen ein Block, und einzelne Mitgliedstaaten verschreiben sich zunehmend nationalistischen Parteien.

Doch ich lebe ja in London: Ein Drittel der Menschen in der Achtmillionenstadt wurde im Ausland geboren, über die Hälfte aller Londoner hat einen Migrationshintergrund. Hier herrschen gegenseitige Anerkennung und Toleranz, und es gibt gleiche Chancen. Da überrascht es nicht, dass in dieser Megapolis auch die größte jüdische Community in Europa lebt. Mit meiner baldigen zweiten Staatsbürgerschaft werde ich immer Mitglied dieser global orientierten Stadt bleiben dürfen.

Der Autor ist Journalist in London.

Meinung

Die Namen in die Welt schreien

24 junge Männer in der Gewalt der Hamas sind wahrscheinlich noch am Leben - sie können und müssen durch ein Abkommen gerettet werden

von Sabine Brandes  28.04.2025

Meinung

Die UN, der Holocaust und die Palästinenser

Bei den Vereinten Nationen wird die Erinnerung an den Holocaust mit der »Palästina-Frage« verbunden. Das ist obszön, findet unser Autor

von Jacques Abramowicz  25.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025

Essay

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  24.04.2025

Meinung

Ich habe versagt

Damit sich ein Ereignis wie die Schoa nicht wiederholt, kommt es darauf an, wie wir erinnern. Doch wir sind offenbar dabei, genau das den Falschen zu überlassen

von Sophie Albers Ben Chamo  23.04.2025

Jom Haschoa

Zwei Minuten Stillstand?

Sollte in Deutschland in derselben Art und Weise wie in Israel an die Opfer der Schoa erinnert werden? Ein Gastbeitrag von Felix Klein

von Felix Klein  22.04.2025

Kommentar

Bezalel Smotrich, die Geiseln in Gaza und der moralische Teufelskreis

Zum Gesellschaftsvertrag in Israel gehört es, dass kein Soldat und kein Opfer von Terror zurückgelassen wird. Niemand! Niemals! Koste es, was es wolle. Was es bedeutet, dies nun in Frage zu stellen

von Daniel Neumann  22.04.2025

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025

Volker Beck

Den Kampf gegen Antisemitismus nicht vereinnahmen

US-Präsident Trump nimmt den Antisemitismus an der Harvard University zum Anlass für einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit und die Rechtsgleichheit für alle

von Volker Beck  16.04.2025