Es kam am Wochenende, wie es kommen musste: Der US-amerikanische Rapper Macklemore bezeichnete vor 60.000 Menschen auf dem Deichbrand-Festival Israel als Kolonialstaat und bezichtigte das Land, einen Genozid in Gaza durchzuführen. Alle vorherigen Warnungen – auch die des Zentralrates der Juden – wurden von den Veranstaltern in den Wind geschlagen. Deren Krisenmanagement in den vergangenen zwei Wochen diente einzig dem Zweck, das Event so geräuschlos wie möglich über die Bühne zu bringen.
Aus diesem Grund bestellten die Betreiber des Festivals eine halbgare, entlastende Antisemitismus-Analyse bei der Bildungsstätte Anne Frank. Deren Leiter Meron Mendel lieferte bereitwillig. Er sprach sich öffentlich für den Auftritt des Sprechgesangsinterpreten aus. Verbote würden laut dem Pädagogen nur den Antisemiten in die Hände spielen, da es den betroffenen Künstlern ermögliche, »sich als Opfer einer vermeintlichen Cancel-Culture« darzustellen. Wie falsch man doch liegen kann.
Macklemore inszenierte sich als verfolgte Unschuld – die moralische Zugabe zur musikalischen Darbietung.
Am vergangenen Sonntag erklärte Macklemore lauthals auf der Bühne, dass Sponsoren und deutsche Behörden versucht hätten, ihm den Mund zu verbieten. Das Publikum applaudierte dem Schauspiel. Routiniert spulte der Agitator die perfekt eingeübte Opferrolle ab, gerahmt von Palästina-Fahnen und Kufijas im Publikum. Die Inszenierung als verfolgte Unschuld war von vornherein geplant – als moralische Zugabe zur musikalischen Darbietung.
Als weiteren Grund, dieser Show keinen Riegel vorzuschieben, gab Mendel an, dass dies nun mal der Preis sei, »den wir dafür zahlen, dass wir in einer freien Gesellschaft leben dürfen«. Auftrittsverbote seinen nicht mit den Prinzipien einer liberalen Demokratie vereinbar. Was Mendel aber dabei geflissentlich unter den Tisch fallen lässt: Den Preis dieser Freiheit zahlen allein die Juden. Das bedeutungsschwanger vorgetragene »Wir« duckt sich in den entscheidenden Momenten vor dieser Einsicht geschickt weg. So wie am vergangenen Sonntag auf dem Deichbrand-Festival.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.