Meinung

Letzte Ruhe muss unangetastet bleiben

Nicole Dreyfus Foto: Claudia Reinert

Meinung

Letzte Ruhe muss unangetastet bleiben

Die Schweizer Stadt Freiburg will die ewige Grabesruhe aufheben - und schränkt damit die Religionsfreiheit der jüdischen Minderheit ein

von Nicole Dreyfus  25.09.2024 10:39 Uhr

Es ist ein unrühmlicher Schritt, mit dem die Stadt Freiburg in der Schweiz von sich reden macht. Wird das vor wenigen Tagen verabschiedete neue städtische Friedhofsreglement in Kraft treten, bedeutet das de facto das Aus für den jüdischen Friedhof in der kleinen Schweizer Stadt und letztlich auch für die dortige jüdische Gemeinde. Damit wäre Freiburg wohl eine der ersten Städte auf dem europäischen Kontinent in der Nachkriegszeit, die den städtischen jüdischen Friedhof aufheben will.

Heißt: Weil die Stadt Freiburg für jeden Bürger der Stadt ein kostenloses Grab garantieren möchte, dass auf 20 Jahre befristet ist, muss die Totenruhe von Jüdinnen und Juden gestört werden – dabei ist die halachisch unantastbar.

Es ist ein gutes Beispiel, wie aus falsch verstandener Gleichbehandlung neue Diskriminierung entsteht. Es trifft die älteste religiöse Minderheit der Schweiz, die schon vor Gründung des Schweizerischen Bundesstaates ansässig war. Mangelnde Sensibilität für religiöse Praxis, übertriebener Laizismus, Säkularismus und falsch verstandene Toleranz treffen mehr oder weniger zufällig (oder eben auch nicht) die jüdische Minderheit – erst noch in einer Zeit, in der diese zunehmend unter Druck steht.

Ewige Grabesruhe gefährdet

Es lässt sich beim besten Willen nicht erklären, welche Not ausgerechnet jetzt darin bestand, einen 112 Jahre währenden Pachtvertrag der jüdischen Gemeinde mit der Stadt aufzuheben und den jüdischen Friedhof in den allgemeinen Teil des Friedhofs einzuverleiben. Die Verantwortlichen im zweisprachigen Freiburg verweisen darauf, dass überlegt werden, ob die ganz alten Gräber nicht sofort der Gebühr unterstellt werden, sondern erst in 30 Jahren. Was wie ein Entgegenkommen klingen mag, ist in Wahrheit ein Trugschluss. Spätestens dann müsste die kleine Gemeinde, die aktuell aus 65 älteren jüdischen Personen besteht, über eine Viertelmillion Schweizer Franken bezahlen, damit die Gräber weitere 50 Jahre erhalten bleiben würden. Spätestens nach 80 Jahren ist dann aber Schluss. Außer es gebe dann eine neue Bewilligung. Eine Neuverhandlung der Verträge ist theoretisch möglich, aber nicht gesichert. Genau diese Garantie braucht es jedoch, um das Prinzip der ewigen Grabesruhe im Judentum nicht zu gefährden oder zu verletzen.

Umbetten der Toten nicht erlaubt

Es klingt wie ein Hohn, dass die Stadt darauf verweist, dass die lokale jüdische Gemeinde wie andere jüdische Gemeinden auch ein eigenes Grundstück erwerben könnte. Selbst wenn sie das finanziell stemmen könnte, wäre die Zukunft des alten jüdischen Friedhofs noch immer nicht geklärt. Die jüdische Religionspraxis erlaubt das Umbetten der Toten nicht. Hätte die Stadt die jüdische Gemeinde im Prozess miteinbezogen oder zumindest angehört, hätte man sie auf die jüdischen Religionsgesetze hinweisen können. Aber mangelnde Sensibilität geht hier offenbar Hand in Hand mit Ignoranz.

Freiburg ist leider kein Einzelfall. Auch anderenorts spüren jüdische Gemeinden immer weniger Rückhalt und Verständnis von Seiten der Behörden. Mit dem Zeitgeist alleine lässt sich das nicht mehr erklären. Bleibt nur zu hoffen, dass es den verantwortlichen Behörden in Freiburg dämmert, was sie angerichtet haben. Es lässt sich kaum vorstellen, dass sie Vorreiter in der Zerstörung eines jüdischen Friedhofs in Europa sein wollen. Freiburg könnte den Schaden noch in Grenzen halten, wenn sie den jüdischen Friedhofsteil von dieser neuen Regelung ausnimmt. Das letzte Wort hat der Kanton, in der Hoffnung, dass wenigstens dieser ein Bekenntnis zu religiöser Toleranz und jüdischem Leben abgeben wird. Sonst könnte der Dammbruch von Freiburg in der Schweiz eine Flut auslösen, die auch andere jüdische Gemeinden und ihre Friedhöfe in Europa erfassen könnte.

dreyfus@juedische-allgemeine.de

Meinung

Die Ukrainer brauchen unsere Hilfe

Die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten in Deutschland nimmt ab. Aus einer jüdischen Perspektive bleibt es jedoch wichtig, auch weiterhin nicht von ihrer Seite abzuweichen

von Rabbinerin Rebecca Blady  16.11.2025

Meinung

Israel: Keine Demokratie ohne Pressefreiheit

Den Armeesender abschalten? Warum auch jüdische Journalisten in der Diaspora gegen den Plan von Verteidigungsminister Katz protestieren sollten

von Ayala Goldmann  14.11.2025

Meinung

Jason Stanley und der eigentliche Skandal

Ohne mit allen Beteiligten gesprochen zu haben und ohne zu wissen, was wirklich passiert ist, schrieb die deutsche Presse das Ende des jüdisch-liberalen Diskurses herbei. Dabei offenbart sich, wie leichtfüßig Stereotype gefüttert werden

von Daniel Neumann  14.11.2025

Gastbeitrag

Kein Ende in Sicht

Der Antisemitismus ist in den vergangenen zwei Jahren eskaliert. Wer jetzt glaubt, dass es eine Rückkehr zum Status vor dem 7. Oktober 2023 gibt, macht es sich zu leicht. Denn auch vor dem »Schwarzen Schabbat« trat der Antisemitismus zunehmend gewaltvoller und offener zutage

von Katrin Göring-Eckardt, Marlene Schönberger, Omid Nouripour  13.11.2025

Sabine Brandes

Wie Donald Trump Israels Demokratie angreift

Der US-Präsident hat angekündigt, in den Korruptionsprozess gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu eingreifen zu wollen. Damit geht der Amerikaner eindeutig zu weit

von Sabine Brandes  12.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Wahlen in Ostdeutschland: Es gibt keine Zeit zu verlieren

In Mecklenburg-Vorpommer und Sachsen-Anhalt wird im September gewählt. Es steht viel auf dem Spiel: Eine AfD-Regierung könnte großen Schaden anrichten. Leidtragende wären nicht zuletzt die jüdischen Gemeinden

von Joshua Schultheis  10.11.2025

Meinung

Wieder ein Blankoscheck für Palästina?

Europa will Gazas Wiederaufbau finanziell fördern. Glaubt man in Brüssel wirklich, Millionen an Hilfsgeldern würden etwas zum Besseren verändern, fragt unser Autor

von Jacques Abramowicz  10.11.2025 Aktualisiert

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025