Meinung

Israel hat eine historische Chance auf Frieden

Das zuvor Unvorstellbare wird dieser Tage plötzlich vorstellbar: Ein Israel, nicht mehr umringt von Feinden, sondern von Partnern einerseits und Länder, die den jüdischen Staat zumindest nicht mehr bekämpfen wollen oder können, andererseits. In den vergangenen 20 Monaten wurde die Hamas zwar nicht besiegt, aber so weit geschwächt, dass sie keine relevante Bedrohung mehr darstellt. Der Hisbollah brachten die Israelis im Herbst eine Demütigung sondergleichen bei, nun muss die Terrormiliz ihre Entwaffnung durch die libanesische Zentralregierung fürchten.

Derweil kommen aus Syrien Signale der Annäherung an Israel, nachdem dort der Iran-Verbündete Baschar al-Assad gestürzt worden ist. Ägypten und Jordanien äußern sich öffentlich zwar meist nicht gerade Israel-freundlich, sind aber seit Jahrzehnten im Zustand des Friedens mit dem jüdischen Staat und arbeiten gut mit ihm zusammen, auch nach dem 7. Oktober 2023. Hinzu kommen neue Verbündete am Golf, weitere könnten folgen.

Nun hat sich auch der »Kopf der Schlange«, die Islamische Republik Iran, als viel schwächer erwiesen, als lange angenommen. Israelische Kampfjets fliegen unbehelligt ihre Angriffe, schalten die militärische Führungsriege der Mullahs aus, versetzen das Regime in Angst und Schrecken. Und keiner kommt dem Iran zur Hilfe, seine Proxies nicht, weil sie nicht können, Russland nicht, weil es dem Verbündeten keine Priorität einräumt. Die Gegenschläge Teherans sind für die betroffenen Israelis furchterregend, für einige tödlich. Dennoch erlebt der Iran eine militärische Blamage: Seine Armee hat israelischer Technik, Aufklärung und Kampfkraft nichts entgegenzusetzen.

Nach seinen militärischen Erfolgen strotzt Israel nur so vor Kraft. Ist es jetzt auch zu Kompromissen bereit?

77 Jahre nach seiner Gründung ist der jüdische Staat so unangefochten wie nie zuvor. Es ist kein Gegner mehr übrig, der ihm wirklich gefährlich werden könnte. Ein historischer Augenblick, in dem sich die Israelis eine Frage stellen müssen: Wie lässt sich die eigene Dominanz in der Region für eine Neuordnung des Nahen Ostens nutzen, die Israels Dasein in Frieden ein für alle Mal garantiert?

Die Antwort finden die Israelis in ihrer eigenen Geschichte: Wenig dürfte langfristig mehr zur Sicherheit des Landes beigetragen haben als der Friedensschluss mit seinem bis dahin mächtigsten Feind Ägypten im Jahr 1979. Israel verhandelte damals aus einer Position der Stärke heraus, nachdem es mehrere Kriege gegen den Nachbarn gewonnen hatte, und machte zugleich weitreichende Zugeständnisse.

Heute strotzt Israel nur so vor Kraft, hat eine Reihe militärischer Siege eingefahren. Ist es jetzt auch zu Kompromissen bereit?

Welche Folgen Kompromisslosigkeit hat, kann man in Gaza beobachten: Auch nach fast zwei Jahren ist ein Ende des Krieges kaum absehbar. Tod und Zerstörung gehen weiter, werden durch eine dauerhafte israelische Besetzung Gazas womöglich auf unbestimmte Zeit verlängert. Doch unbeirrt halten Benjamin Netanjahu und seine Regierung an dem Kriegsziel fest, die Hamas bis zum letzten Rest zu vernichten.

Den Preis für diesen Maximalismus zahlen vor allem, aber nicht nur die Palästinenser, sondern auch die Israelis. Statt dass für sie die Fortführung des Krieges gegen die Hamas mehr Sicherheit bringt, gefährdet er diese. Kurzfristig, weil in ihm fast täglich Soldaten in Gaza sterben und der Tod weiterer Geiseln droht. Langfristig, weil durch ihn die Chancen für eine neue Friedensordnung in Nahost sinken, die jeden weiteren Krieg überflüssig machen könnte.

Ein Regime Change in Teheran wäre zwar wünschenswert, einfach herbeiführen lässt sich ein solches Ereignis aber nicht.

Israel sollte im Konflikt mit dem Iran nicht denselben Fehler begehen. Trotz der zusammen mit den Amerikanern erzielten militärischen Erfolge kann die Gefahr einer iranischen Bombe immer nur auf Zeit gebannt werden. Ein Regime Change in Teheran wäre zwar wünschenswert, einfach herbeiführen lässt sich ein solches Ereignis aber nicht. Die Stabilität der Mullah-Herrschaft wurde, bedauerlicherweise, auch zuvor schon unterschätzt.

Die beste Chance, die iranische Gefahr nachhaltig abzuwenden, besteht jetzt darin, aus einer Position der Stärke in, zumindest indirekte, Verhandlungen mit dem Teheraner Regime zu treten. Der Waffenstillstand ist ein erster Schritt in diese Richtung. Die Alternative wäre, wie in Gaza, ein Krieg ohne absehbares Ende und ohne einen echten Plan für die Zeit danach. Leider gibt es derzeit wenig Hinweise auf große Weitsicht in der israelischen Regierung. Aussagen wie »Teheran wird brennen« von Außenminister Katz helfen der israelischen Sache jedenfalls nicht.

Gleichzeitig wäre es zu einfach, den Fehler nur bei der aktuellen israelischen Regierung zu suchen. Damit die historische Chance, die sich für Israel gerade auftut, be- und ergriffen werden kann, müssten nicht nur Netanjahu und seine Minister umdenken. Ein zentraler Teil des israelischen Selbstverständnisses müsste auf den Kopf – oder besser: vom Kopf auf die Füße – gestellt werden: Die Vorstellung, dass der jüdische Staat existenziell bedroht sei. Was als Lehre historisch richtig ist, untermauert durch 2500 Jahre Juden- und jahrzehntelangen Israelhass, ist realpolitisch zum Hindernis geworden.

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Denn wer seine Existenz bedroht sieht, neigt nicht zu Verhandlungen und Zugeständnissen. Diese bräuchte es aber jetzt, damit Israel seine Existenz ein für alle Mal sichern kann. Mehr noch als für den Krieg mit dem Iran gilt das für die Palästina-Frage. Ein eigener palästinensischer Staat wird von israelischer Seite nicht zuletzt mit dem Argument abgelehnt, dieser sei eine existenzielle Bedrohung für den Nachbarn. Im Lichte der neuen nahöstlichen Realität ist das jedoch zunehmend unglaubwürdig.

Ob die Israelis ihre militärischen Erfolge auch in politische ummünzen können, hängt nun von ihrer Bereitschaft ab, dieser neuen Realität entsprechend zu handeln. Andersherum müssen Israels Feinde ihre Realitätsverweigerung endlich aufgeben: Sie können den jüdischen Staat nicht vernichten. Sie sollten aufhören, es zu versuchen.

schultheis@juedische-allgemeine.de

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