Analyse

In Österreich schlägt die Stunde des Bundespräsidenten

Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen hielt nach der Nationalratswahl eine Rede Foto: picture alliance / FLORIAN WIESER / APA / picturedesk.com

Nach dem historischen Wahlsieg der rechtsextremen FPÖ hat die Suche nach Mehrheiten begonnen. Fazit zunächst: Die FPÖ steht recht isoliert da. Eine tragende Rolle kommt jetzt dem Bundespräsidenten zu – dem ehemaligen Grünen-Politiker Alexander Van der Bellen. Konflikte sind also programmiert.

Knapp 30 Prozent für die rechtsextreme FPÖ – das ist die wohl wichtigste Zahl, die die Nationalratswahl am Sonntag in Österreich gebracht hat. Dahinter kullern sie dahin, die anderen Parteien – zum Teil schwer abgeschlagen: Die ÖVP bei 26 Prozent (minus 11 Prozentpunkte), die SPÖ mit 21 Prozent (minus 0,1), die Grünen mit 8 Prozent (minus 5,8) und die NEOS mit 9 Prozent (plus 0,8).

Es ist das erste Mal seit 1945, dass die FPÖ bei einer Nationalratswahl Erste wird. Für die ÖVP ist es der größte Verlust bei einer Wahl in der Parteigeschichte. Für die SPÖ das schlechteste Ergebnis ihrer Historie. Am Sonntagabend wurden also Wunden geleckt und Zweckoptimismus beschworen, während bei der FPÖ die Korken knallten – unter Beisein Identitärer.

Und all das nach einem Stakkato an rechtsextremen Vorfällen und Skandalen. Zuletzt am Freitag vor der Wahl: Da sangen Listenkandidaten der FPÖ beim Begräbnis eines verstorbenen FPÖ-Mannes das SS-Treuelied. Wegen des Vorfalls wurde seitens jüdischer Vertreter Anzeige eingebracht. Und zur Seite sprang der FPÖ gleich Identitären-Mann Martin Sellner in Person: Man solle doch davon Abstand nehmen, Begräbnisse Fremder zu filmen.

Kickl will Kanzler werden

Am Tag nach der Wahl sieht es also so aus: Die FPÖ stellt den Kanzleranspruch. Alleine: Kickl steht damit recht isoliert da. Die SPÖ hat eine Koalition mit der rechtsextremen FPÖ ausgeschlossen, ebenso die Grünen und die NEOS. Die ÖVP wiederum hat eine Koalition mit Kickl ausgeschlossen.

Dass die FPÖ also den Kanzler stellen wird, ist alles andere als ausgemacht. Denn es ist laut österreichischer Verfassung keinesfalls so, dass die stärkste Partei zwingend Anspruch auf den Kanzler hat. Andere Optionen sind also möglich.

Am Montag wurden die Konturen solcher anderer möglicher Zusammenarbeiten deutlicher. Und eines war da bereits klar: Es wird dauern, bis sich da eine Koalition zusammenfügt – wie auch immer sie aussehen wird. Zunächst beraten jetzt einmal die Parteien intern – ab Mittwoch sind Gespräche der Parteien mit dem Bundespräsidenten geplant. Danach wird weiter sondiert.

Hauchdünne Mehrheit für eine GroKo

Rein rechnerisch sind folgende Varianten möglich: Eine Koalition aus FPÖ und ÖVP – wobei eine solche zumindest unter dem aktuellen ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer wohl nicht käme. Dazu hat sich Nehammer zu explizit positioniert, keinesfalls mit Kickl koalieren zu wollen. Allerdings: Nehammer ist angeschlagen. Er hat der Partei ein Minus von 11 Prozentpunkten beschert. Zugleich hat die ÖVP wohl wenig Appetit darauf, als Juniorpartner unter der FPÖ in eine Koalition zu gehen.

Eine hauchdünne Mehrheit von einem Mandat hätte eine Koalition aus ÖVP und SPÖ. Das ist zwar eine fast schon traditionelle Koalition für das Land – allerdings eine, die bei beiden Parteien schon fast physisch sichtbare Aversionen erregt. Eine solche Variante wäre mit dem gegenwärtigen Personal an den jeweiligen Parteispitzen wohl kaum möglich.

Rechnerisch möglich, aber in Österreichs politischer Tradition ein Novum, wäre eine Ampel: Also ÖVP, SPÖ unter Einbindung der liberalen NEOS oder den Grünen. Eine solche Variante setzt allerdings inhaltliche Auseinandersetzung miteinander aus – was in Österreich eher wenig Tradition hat.

Van der Bellen will Rechtsstaatlichkeit schützen

Am Zug ist jetzt der Bundespräsident. Van der Bellen sagte noch am Sonntag demonstrativ vor einer EU-Fahne: Er werde darauf achten, dass die Grundpfeiler der liberalen Demokratie geachtet werden. Und er zählte explizit auf: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft – diese seien die »Fundamente, auf denen wir unseren Wohlstand und unsere Sicherheit aufgebaut haben.«

Van der Bellen – ehemals Grüner und deren Parteichef – und die FPÖ verbindet eine innige Feindschaft. 2019 hat Van der Bellen Kickl als Innenminister entlassen. Aber diese Feindschaft geht noch tiefer: Bei der Bundespräsidentenwahl 2016 gab es eine Stichwahl mit dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer.

Die FPÖ hatte damals Wahlfälschungen reklamiert. Die Wahl musste wiederholt werden. Und auch jetzt moniert die FPÖ die Parteilichkeit des Bundespräsidenten und spricht von Verfassungsbruch, sollte dieser eine Mehrheit ohne die Rechtsaußen-Partei bevorzugen.

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