Meinung

Warum ich Angst vor der politischen Linken habe

Politisch sozialisiert wurde ich links, bei der Juso, der Jungpartei der Sozialdemokratischen Partei (SP) der Schweiz, und in der SP Aargau. Damals hieß »links« noch, für die Schwachen einzutreten, Politik mit sozialem Gewissen zu machen. Von Identitätspolitik, Cancel Culture und einem beinahe religiösen Hass auf die westliche Kultur war kaum die Rede.

Heute jedoch wirken SP und Grüne wie Gefangene ihrer eigenen Ideologie. Die jüngsten Ausschreitungen in Bern, nichts anderes als eine Gewaltorgie, sprechen eine deutliche Sprache. Selbstverständlich ist das Demonstrationsrecht zentral. Doch eine Stadt in Schutt zu legen und die Polizei zu attackieren, ist kein Freiheitskampf, sondern blanker Vandalismus. Die SP distanzierte sich zwar pflichtschuldig, aber nur halbherzig, und einige SP-Politiker kritisierten im gleichen Atemzug die Polizei.

Teils legt die Partei mit solchen Relativierungen den politischen Nährboden für Radikalisierung in den eigenen Reihen und trägt damit zumindest teilweise eine Mitverantwortung dafür, dass ihre linken Ränder sich radikalisiert und extremistisch mit inkludiert fühlen. Das ist eine verheerende Entwicklung. Fehlende Abgrenzung von linkem Extremismus ist eine große Unterlassung. Denn diese Form macht gemäß Nachrichtendienst mittlerweile die Mehrheit der extremistischen Taten aus.

Heute wirken SP und Grüne wie Gefangene ihrer eigenen Ideologie.

Während im Sudan Bürgerkrieg herrscht, in Syrien noch immer Menschen sterben, im Jemen eine humanitäre Katastrophe tobt und in Europa Krieg geführt wird, richtet die SP ihre moralische Empörung fast ausschließlich gegen Israel. Mit den Grünen lanciert sie sogar eine Volksinitiative zu diesem Thema. Wer mit gleichen Ellen messen wollte, müsste den Fokus breiter setzen. Aber gleiche Ellen sind in der linken Politik wohl Mangelware. Die Überheblichkeit, aus der Ferne zu beurteilen, ob etwas als Genozid zu bewerten sei, ist hierbei noch nicht einmal mitgerechnet.

Wäre ein wirkliches Interesse an der Lage vor Ort gegeben, würde die SP auf die gerichtlichen Untersuchungen warten, anstatt sich auf den »Menschenrechtsrat«, bestehend aus mehrheitlich autoritären Staaten und umstrittene UN-Experten zu berufen. Dies mutet mehr nach einer bewussten geistigen Brandstiftung an, um sich bei neuen Wähler anzubiedern, als nach einem ernsthaften Einsatz für die Menschen vor Ort und das humanitäre Völkerrecht.

Besonders frappant ist die Brille des Postkolonialismus, durch welche die Linke heute die Welt betrachtet: Israel erscheint als weißer Kolonisator, die Palästinenser als entrechtete Ureinwohner. Eine hübsche Theorie, nur dass Juden seit Jahrtausenden in dieser Region leben, lange bevor Christentum und Islam entstanden sind. Doch was zählen historische Tatsachen in einer postfaktischen Zeit, in der Narrative wichtiger sind als Geschichte? Das heißt nicht, dass Israel im Recht wäre und alles verhältnismäßig war.

Viele SP-Politikerinnen und -Politiker sind durchaus klug und integer, sehen die Probleme, handeln aber nicht.

Selbstverständlich haben auch Palästinenser und Palästinenserinnen ein legitimes Recht auf Selbstbestimmung. Aber die Realität lässt sich nicht in das plumpe Schema »Besatzer gegen Unterdrückte« pressen. Die Hamas wiederum verübt weiterhin Massaker an ihren Gegnern, speziell nach dem Teilrückzug israelischer Truppen. Frauenrechte? LGBTQ-Rechte? Alles Fehlanzeige in Gaza. Und wie steht es um die Menschenrechtslage im Westjordanland? Doch darüber verliert die Linke kein Wort. Der Antisemitismus, getarnt als Israelkritik, der in Teilen von SP und Grünen mittlerweile unverhohlen auftritt, ist nichts anderes als Rassismus, nur hübsch in Menschenrechtsvokabular verpackt.

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Es ist erschreckend, wie stark die Linke inzwischen von Kategorisierungen lebt: Besatzer versus Unterdrückte, Frauen versus Männer, non-binär versus heteronormativ, Schwarz versus Weiß und eben Israelis beziehungsweise Juden versus die »Guten«. Dieses ständige Labeln ist kein Fortschritt, sondern wirkt wie ein Rückfall in den ältesten Rassismus der Menschheitsgeschichte. Wir sind alle Menschen, aber diese einfache Wahrheit passt nicht in das komplexe Weltbild der »Intersectional Studies«.

Auch die innere Sicherheit bereitet mir Sorge. In Bern die Gewaltexzesse, in Lausanne die Unruhen nach dem Tod des Jugendlichen Marvin und in Zürich das Sicherheitsgefühl. In den Schweizer Großstädten tragen die Linken die politische Verantwortung. Viele SP-Politikerinnen und -Politiker sind durchaus klug und integer, sehen die Probleme, handeln aber nicht. Für jüdische Menschen ist diese Entwicklung besonders bedrohlich. Doch sie betrifft die ganze Gesellschaft. Das Bild der sauberen, sicheren Schweiz droht zu zerbrechen. Stattdessen müssen wir uns wohl auf französische Verhältnisse einrichten und das ist alles andere als ein beruhigender Gedanke.

Der Autor ist Co-Präsident der Jüdischen Gemeinde Bern.

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