Eva Umlauf

Gefühlserbschaften bearbeiten

Eva Umlauf ist Zeitzeugin. Sie hat den Holocaust als Kleinkind überlebt. Foto: Uwe Steinert

Eva Umlauf

Gefühlserbschaften bearbeiten

Wir müssen über das Erlebte sprechen und es bewusst weitergeben – damit die jungen Menschen es heute verarbeiten können

von Eva Umlauf  23.01.2020 09:01 Uhr

Mir wurde 1944 – da war ich knapp zwei Jahre alt – als einer der Jüngsten in Auschwitz die Nummer eingebrannt. Diese Nummer ist ein Zeichen. Ein Zeichen der Entmenschlichung. Aber auch: ein Zeichen der Erinnerung. Daran, dass ich in Auschwitz war, dass ich überlebt habe, dass die ganze Familie ermordet wurde.

Alles ist mit dieser Nummer verknüpft. Sie gehört zu mir wie eine Runzel, eine Narbe, ein Muttermal. Sie oberflächlich zu entfernen, würde nichts nützen: Denn was bleibt, ist in die Seele eingeschrieben.

TODESANGST Meine ersten Lebensjahre erinnere ich nicht bewusst. Die tiefe unbewusste Körper- und Seelen-Erinnerung hingegen hat sich mir einverleibt. Was meiner Seele an menschlicher Entwertung, Todesangst und Horror aufgezwungen wurde, hat sich unbewusst abgespeichert. Und es kann jederzeit wieder »aufgerufen« werden. Noch etwas bekam ich mit: die Gefühlserbschaft meiner Mutter.

Ich bin noch heute damit beschäftigt – wie auch meine Kinder und Enkel. Denn ich hatte keine unbelastete Mutter: Ihre Todesängste und bangen Sorgen um meine Schwester und mich, die Trauer um meinen ermordeten Vater und die Verwandten blieben mir als fühlendem Kind nicht verborgen.

70 Jahre dauerte es, bis ich öffentlich darüber sprach, nach einem Herzinfarkt 2014. Ich begriff: Es gibt nichts mehr aufzuschieben. Es ist die letzte Möglichkeit, Zeugnis abzulegen.

Was passiert ist, verblasst mit der Zeit. So wie die Nummer auf meinem Unterarm.

Wir müssen über das Erlebte sprechen und es bewusst weitergeben – damit die jungen Menschen es heute verarbeiten können. Damit wir der Jugend glaubhaft vermitteln, was ihre wichtigste Aufgabe ist: alles zu tun, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.

JUGEND Die Jugend muss wissen, dass es nur Menschen gibt und keine »Untermenschen«. Gerade in der heutigen Zeit. Denn was passiert ist, verblasst mit der Zeit. So wie die Nummer auf meinem Unterarm.

Umso wichtiger ist es, uns die Gefühlserbschaften bewusst zu machen – auf beiden Seiten! Täter wie Opfer geben sie an ihre Nachkommen weiter – solange, bis sie mutig und bewusst bearbeitet werden. Nur dann lassen sich persönliches Leid, gesellschaftliche Zivilisationsbrüche und unmenschliche Gewaltsysteme verhindern.

Die Autorin ist Psychotherapeutin in München.

Meinung

Die Ukrainer brauchen unsere Hilfe

Die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten in Deutschland nimmt ab. Aus einer jüdischen Perspektive bleibt es jedoch wichtig, auch weiterhin nicht von ihrer Seite abzuweichen

von Rabbinerin Rebecca Blady  16.11.2025

Meinung

Israel: Keine Demokratie ohne Pressefreiheit

Den Armeesender abschalten? Warum auch jüdische Journalisten in der Diaspora gegen den Plan von Verteidigungsminister Katz protestieren sollten

von Ayala Goldmann  14.11.2025

Meinung

Jason Stanley und der eigentliche Skandal

Ohne mit allen Beteiligten gesprochen zu haben und ohne zu wissen, was wirklich passiert ist, schrieb die deutsche Presse das Ende des jüdisch-liberalen Diskurses herbei. Dabei offenbart sich, wie leichtfüßig Stereotype gefüttert werden

von Daniel Neumann  14.11.2025

Gastbeitrag

Kein Ende in Sicht

Der Antisemitismus ist in den vergangenen zwei Jahren eskaliert. Wer jetzt glaubt, dass es eine Rückkehr zum Status vor dem 7. Oktober 2023 gibt, macht es sich zu leicht. Denn auch vor dem »Schwarzen Schabbat« trat der Antisemitismus zunehmend gewaltvoller und offener zutage

von Katrin Göring-Eckardt, Marlene Schönberger, Omid Nouripour  13.11.2025

Sabine Brandes

Wie Donald Trump Israels Demokratie angreift

Der US-Präsident hat angekündigt, in den Korruptionsprozess gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu eingreifen zu wollen. Damit geht der Amerikaner eindeutig zu weit

von Sabine Brandes  12.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Wahlen in Ostdeutschland: Es gibt keine Zeit zu verlieren

In Mecklenburg-Vorpommer und Sachsen-Anhalt wird im September gewählt. Es steht viel auf dem Spiel: Eine AfD-Regierung könnte großen Schaden anrichten. Leidtragende wären nicht zuletzt die jüdischen Gemeinden

von Joshua Schultheis  10.11.2025

Meinung

Wieder ein Blankoscheck für Palästina?

Europa will Gazas Wiederaufbau finanziell fördern. Glaubt man in Brüssel wirklich, Millionen an Hilfsgeldern würden etwas zum Besseren verändern, fragt unser Autor

von Jacques Abramowicz  10.11.2025 Aktualisiert

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025