Samuel Salzborn

Es gibt keine rechten Einzeltäter

Samuel Salzborn Foto: Anja Thiele

Samuel Salzborn

Es gibt keine rechten Einzeltäter

Auch nach Halle gilt: Prägend für Attentäter ist ihr Weltbild. Und das wird im Austausch entwickelt

von Samuel Salzborn  24.10.2019 09:40 Uhr

Nach dem antisemitischen Terroranschlag von Halle ist vielerorts der verwirrende Begriff des »Einzeltäters« zu hören. Sicher, juristisch ist es relevant, ob eine Straftat von einem Einzelnen oder von mehreren ausgeübt wird. Politisch ist der Begriff aber irreführend – und falsch. Denn es gibt im rechtsextremen Milieu keine Einzeltäter. Wer das behauptet, geht von einem anachronistischen Rechtsextremismusverständnis aus und begreift nicht, wie politische Sozialisationsprozesse im 21. Jahrhundert verlaufen.

ZUGEHÖRIGKEIT Bis heute kursiert der Irrglaube, Rechtsextremisten müssten über einen Mitgliedsausweis verfügen oder würden sich zweimal pro Woche zum Stammtisch treffen, um als organisiert zu gelten. Man muss nicht allein an die Diversifizierungsprozesse der rechten Szene in autonome, klandestine Kleinstgruppen erinnern, auch nicht daran, dass der deutsche Rechtsextremismus seit Jahrzehnten ein fluides Organisierungsverständnis hat, in dem es oft keine formalisierten Mitgliedschaften gibt. Prägend für das Zugehörigkeitsgefühl ist das Weltbild.

Wer von Einzeltätern redet, begreift
nicht, wie politische Sozialisationsprozesse im 21. Jahrhundert verlaufen.

Es genügte ein Blick auf die politischen Sozialisationsbedingungen der Gegenwart. Es mag irritieren, dass soziale Interaktion seit Jahren neben dem realen auch im virtuellen Leben stattfindet, in vielen Fällen die virtuelle Realität zu einer zweiten Natur geworden ist. Dennoch: Information, Austausch, Vernetzung findet oft im virtuellen Raum statt, Menschen glauben, dass ihre »Freunde« in sozialen Medien wirklich ihre Freunde sind – und manchmal werden sie es auch, virtuelle Vernetzung ist Teil der Realität.

VERSCHWÖRUNG Das gilt auch und besonders für die rechte Szene, gerade für Verschwörungsgläubige: Der virtuelle Raum bestärkt die Ideologie, schafft soziale Sicherheitsgefühle, bestärkt im Denken und motiviert zum Handeln. Und: Kein Rechtsextremist agiert als Einzeltäter – er entwickelt sein Weltbild im Austausch, er erfährt logistische und finanzielle Unterstützung, er schafft sich ein Netzwerk, das ihn unterstützt.

Der Autor ist Antisemitismus- und Rechtsextremismusforscher und lehrt Politikwissenschaft an der Universität Gießen.

Meinung

Einseitig, fehlerhaft, selbstgerecht

Die »International Association of Genocide Scholars« bezichtigt Israel des Völkermords. Die Hamas spricht sie von jeder Verantwortung für die Lage in Gaza frei. Eine Erwiderung

von Menachem Z. Rosensaft  05.09.2025

Meinung

Vuelta-Radrennen: Israelhasser ohne Sportsgeist

Bei der spanischen Radtour ist der israelische Rennstall Ziel von Störaktionen. Nun forderte der Rennleiter das Team auf, nicht mehr anzutreten. Wenigen Fanatiker gelingt es, Israel vom Sport auszuschließen - wie so oft in der Geschichte

von Martin Krauss  04.09.2025

Kommentar

Gaza: Das falsche Spiel der Vereinten Nationen

Die UN ist kein neutraler Akteur im Gazakrieg. Ihre Vertreter scheuen sich nicht, irreführende Zahlen in Umlauf zu bringen und die Hamas als legitime politische Kraft zu präsentieren

von Jacques Abramowicz  03.09.2025

Meinung

Marlene Engelhorn, die Gaza-Flottille und deutsche Schuldabwehr

Die Familie der BASF-Erbin hat an der Ermordung von Juden mitverdient. Nun diffamiert sie den jüdischen Staat, um sich selbst im Gespräch zu halten

von Antonia Sternberger  03.09.2025

Meinung

Schlechte Zeiten für Frankfurts Juden

Durch die Radikalisierung der israelfeindlichen Szene ist die jüdische Gemeinschaft der Mainmetropole zunehmend verunsichert. In der Stadtgesellschaft interessiert das jedoch nur wenige

von Eugen El  01.09.2025

Essay

Das Gerücht über Israel

Die Geschichte des Antisemitismus ist eine Geschichte der Lüge. Was früher dem Juden als Individuum unterstellt wurde, wird nun Israel als Nation vorgeworfen

von Daniel Neumann  03.09.2025 Aktualisiert

Einspruch

Wenn Urlaub zum Risiko wird

Sabine Brandes ist schockiert, dass Israelis im Ausland ständig Angst vor Beleidigungen und Angriffen haben müssen

von Sabine Brandes  31.08.2025

Meinung

Muss erst ein australischer Jude sterben?

Wie nun bekannt wurde, steckt der Iran hinter zwei Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in Australien. Doch auch ohne Hilfe aus dem Ausland wächst der Antisemitismus im Land ins Unermessliche

von Amie Liebowitz  27.08.2025

Meinung

Warum Leon de Winter in Osnabrück lesen soll

Die Positionen des Schriftstellers zur AfD sind streitwürdig. Canceln hingegen ist langweilig und kontraproduktiv, findet unsere Redakteurin

von Ayala Goldmann  27.08.2025