Dervis Hizarci

»Du Jude« – Belastungsprobe Schule

Dervis Hizarci Foto: privat

Dervis Hizarci

»Du Jude« – Belastungsprobe Schule

Neben Pädagogik und Fach-Curricula müssen Lehrer auch Handlungssicherheit im Umgang mit Diskriminierung und Mobbing erlernen

von Dervis Hizarci  01.10.2020 07:54 Uhr

»Eh, er läuft wie ein Jude.« Alle Kinder lachen. Der beleidigende Schüler fühlt sich wie »der King«. Der betroffene Schüler – kein Jude! – hat das nicht zum ersten Mal gehört. Die Lehrerin guckt hilflos in den Raum. Ist diese Stunde gelaufen?

Solche Situationen sind keine Seltenheit in unseren Schulen. Beleidigungen werden unter Schülern so inflationär verwendet, dass ihnen keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt wird. Es ist bequemer, sie zu ignorieren und schnell zum Unterrichtsstoff zu finden. Besser wäre es, die Situation zu nutzen, um mit den Schülern zu sprechen – über Sprache, Gewalt und Antisemitismus.

HERKULESAUFGABE Als Lehrer war ich häufig mit Unterrichtsstörungen konfrontiert, und es war selten einfach, konstruktiv darauf zu reagieren: die Klasse beruhigen, die Grenzüberschreitung des Beleidigers deutlich machen, dem Betroffenen zur Seite stehen, das Ganze inhaltlich aufarbeiten – und auch noch zum Differentialrechnen, dem Stundenthema, übergehen. Eine pädagogische Herkulesaufgabe!

Um auf diesen Schulalltag vorbereitet zu sein, muss neben den Grundbausteinen der Pädagogik und Fach-Curricula auch Handlungssicherheit im Umgang mit Diskriminierung und Mobbing erlernt werden. Dies muss im Studium vermittelt und darf nicht mit freiwilligen Zusatzkursen abgetan werden.

Wir dürfen nicht zulassen, dass das Wort »Jude« zum Schimpfwort und der Holocaust zu einem Fremdwort wird.

Antisemitismus muss auch außerhalb des Geschichtsunterrichts oder der Gedenkstättenfahrt Thema sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass das Wort »Jude« zum Schimpfwort und der Holocaust zu einem Fremdwort wird. Die Vermittlung aktueller Erscheinungsformen von Antisemitismus wie auch eines Bewusstseins für deutsche Geschichte und NS-Verbrechen muss genauso deutsche Bildungsraison sein, wie die Verbundenheit mit Israel deutsche Staatsraison ist.

NACHFRAGEN Die Lehrerin in unserem Fall fand ihren Faden wieder. Durch hartnäckiges Nachfragen machte sie es dem Schüler ungemütlich: »Was heißt das – er läuft wie ein Jude? Was willst du damit sagen? Und kennst du überhaupt Juden?« Er wird es sich beim nächsten Mal zweimal überlegen, so etwas zu wiederholen.

Mit dem betroffenen Jungen gibt es nach der Stunde noch ein pädagogisches Gespräch. Die ganze Klasse wird sich in einem Workshop – vielleicht »Meet a Jew« – zusätzlich mit dem Thema auseinandersetzen. So wird aus der Belastungsprobe ein »teachable moment«: ein echtes Lehrstück.

Der Autor ist Programmdirektor der Alfred Landecker Foundation.

Meinung

Die Linkspartei, ihr Bundesparteitag und der Abschied vom Eintreten gegen Judenhass

Wer sich als vorgeblich sozialistische Partei mit einer Bewegung solidarisiert, die Frauen steinigt, Homosexuelle verbrennt und den Judenmord als oberstes Ziel ihrer Bemühungen proklamiert, hat keine Ehre. Ein Kommentar von Andrej Hermlin

von Andrej Hermlin  11.05.2025

Meinung

Codewort: Heuchelei

Nemo fordert den Ausschluss Israels beim ESC in Basel. Damit schadet der Sieger des vergangenen Jahres der Schweiz und der eigenen Community

von Nicole Dreyfus  11.05.2025

Julia Bernstein

»Nichts ist mehr wie zuvor«: Wie junge jüdische Münchner den 7. Oktober erleben

»Jüdisch oder gar israelisch zu sein, ist heute in Deutschland eine äußerst politische Angelegenheit oder gar für manche eine Provokation«, schreibt unsere Autorin

von Julia Bernstein  09.05.2025

Meinung

Der 8. Mai und die falschen Schlüsse

Es ist schwer, Menschen zu kritisieren, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, aber auch Schoa-Überlebende können irren. Denn einen Bogen von der industriellen Vernichtung der Juden zum Verteidigungskrieg Israels in Gaza zu ziehen, ist falsch

von Daniel Neumann  09.05.2025

Kommentar

Die Menschen in Gaza brauchen schnell Hilfe

Eine Demokratie wie Israel sollte sich nicht auf schmutzige Kriegstaktiken wie die Blockade von Hilfsgütern einlassen, auch wenn es sich bei der Hamas um skrupellose, abgrundtief böse Terroristen handelt

von Nils Kottmann  08.05.2025

Kommentar

Ulrike Eifler, die Linkspartei und die Auslöschung Israels

Ein hochrangiges Mitglied der Partei delegitimiert auf X Israel. Die Linke muss sich klar davon distanzieren, wenn sie glaubwürdig für Menschenrechte eintreten will

von Andreas Büttner  08.05.2025

Kommentar

Der Ukraine-Krieg überlagert die Pluralität der Erinnerungen

Die Auffassung, dass jeder nach seiner Fasson dem Zweiten Weltkrieg gedenkt, wurde durch Russlands Einmarsch in die Ukraine zerstört. Lenin- und Roter Stern-Orden jüdischer Veteranen und Veteraninnen und ihre »hundert Gramm« in Erinnerung an die gefallenen Kameraden wirken deplatziert

von Dmitrij Belkin  08.05.2025

Kommentar

Mit aller gebotenen Härte

Ein AfD-Verbotsverfahren ist nach der Verfassungsschutz-Einschätzung der Partei als rechtsextremistisch dringlicher denn je

von Philipp Peyman Engel  07.05.2025

Meinung

Null Toleranz für Gewaltaufrufe

Ein Großereignis wie der Eurovision Song Contest darf keine Sicherheitslöcher zulassen, findet unsere Schweiz-Redakteurin Nicole Dreyfus

von Nicole Dreyfus  07.05.2025