Meinung

Doppelte Entgleisung

Warum es kein Zufall ist, dass ausgerechnet die linke »taz« eine den Holocaust relativierende Karikatur veröffentlicht hat

von Martin Krauss  30.03.2023 14:21 Uhr

Martin Krauß Foto: Chris Hartung

Warum es kein Zufall ist, dass ausgerechnet die linke »taz« eine den Holocaust relativierende Karikatur veröffentlicht hat

von Martin Krauss  30.03.2023 14:21 Uhr

Leicht ist es nicht gerade, die ganze Sache kurz darzustellen. In der taz, eine Zeitung, für die ich oft arbeite, ist eine Karikatur erschienen, die sich mit den Klebeprotesten der Klimaaktivisten und der Haltung der FDP und ihres Verkehrsministers Volker Wissing dazu beschäftigt. »Wir sind die allerletzte Generation«, wird da der FDP sozusagen in den Mund gelegt, »wir kleben an jeder Autobahn fest!« Soweit so, hm, naja, wer’s lustig findet.

Daneben aber wurde Wissing gezeichnet, er trägt einen schwarz-grauen Mantel und eine Armbinde. Beides erinnert mehr als nur ein bisschen an Nazi-Outfit. Dass die Binde blau ist, ändert daran nichts, die SS-Assoziation ist da. Manche taz-Leser und auch User in Social Media erkannten Züge des Nazipropagandisten Joseph Goebbels in der Darstellung Wissings.

Distanzierung Wie das zu beurteilen ist, fällt mir keineswegs schwer zu formulieren: Es ist eine Verharmlosung der NS-Verbrechen, die übel ist und in keiner Weise toleriert werden darf. Kürzer gesagt, es ist eine Entgleisung. Die taz-Chefredaktion hat recht bald eine Entschuldigung und Distanzierung formuliert.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Aber warum entgleist jemand ausgerechnet beim doch argumentativ wirklich nicht allzu schweren Versuch, die FDP in Sachen Klimaschutz zu kritisieren? Hier fällt mir die Antwort deutlich schwerer. Für den in der Zeichnung entwickelten Witz hat es definitiv keiner NS-Analogie bedurft. Nicht einmal ein Hinweis auf die Autobahnen, die die Nazis gebaut haben, passt in die Witzstruktur. Der gezeichnete Witz wäre von einigen Lesern für gut, von anderen für schlecht befunden worden und hätte folglich das übliche Schicksal politischer Karikaturen genommen.

Wenn ich mich bemühe, es doch zu verstehen, kommen mir andere, tiefer liegende Aspekte in den Sinn. Die Weltuntergangsapologetik, die in der Klimakampagne herrscht, bringt es vielleicht immanent mit sich, NS-Vergleiche zu produzieren. Ähnliches fand sich in der alten Bundesrepublik Anfang der achtziger Jahre, als friedensbewegte Proteste gegen Atomraketen mit Szenarien eines »nuklearen Holocaust« unterlegt wurden. Neu ist das also nicht, aber besser wird es dadurch kein bisschen. Schon die Selbstdarstellung als »letzte Generation« nimmt ja eine unangenehme begriffliche Anleihe an dem Namen, der oft für Schoa-Überlebende benutzt wird.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

MILIEU Klimaproteste und Friedensdemonstrationen sind soziale Bewegungen von links. Und ich fürchte, es ist kein Zufall, dass in diesem Milieu, das sich antifaschistisch verortet, häufig solche Entgleisungen geschehen. Ich will nicht ungerecht sein: Die dort anzutreffende engagierte Haltung gegen die alten und neuen Formen des Rechtsextremismus ist mir mehr als sympathisch. Und dass die Wachsamkeit, sich gegen die kleinsten und frühesten Ansätze einer Wiederkehr des NS-Terrors zu stellen, ganz zwangsläufig die ständige Bereitschaft zum Vergleich mit sich bringt, liegt auf der Hand.

Aber mein Gedanke lautet: In der Linken glaubt man sich derart immun gegen all solche Erscheinungsformen, dass man dazu neigt, sich eine neue Unbefangenheit erlauben zu dürfen. Gerade in schlechten Witzen wird dann über »Blockwarte« schwadroniert«, werden »Judensterne« vergeben oder, wie aktuell, klimafeindlicher Autobahnbau durch die aktuelle Koalitionsregierung als Wiederkehr der NS-Herrschaft bezeichnet.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Die Entgleisung der taz war eine doppelte: Jemand hat die Karikatur gezeichnet und sie der Zeitung angeboten. Sodann hat die Redaktion sie für gut befunden und veröffentlicht. Wenn die Reaktion auf diese Entgleisung nun lautete »Oh, solche Themen dürfen wir nicht drucken«, wäre damit jedoch niemandem geholfen. Wichtig ist, dass sich Redaktion und Mitarbeiter darauf verständigen, was genau das beleidigende, das den NS verharmlosende an diesem und an anderen Witzen ist. Das gilt im engeren Sinne für die taz, in einem etwas weiteren Sinne für die hiesige Linke und, noch etwas weiter gefasst, für die gesamte politische Öffentlichkeit in diesem Land.

Der Autor ist redaktioneller Mitarbeiter bei der taz und war zuvor Politik-Redakteur der Jüdischen Allgemeinen.

Meinung

Die Siedlerfantasten in der israelischen Regierung

Ein Ex-Verteidigungsminister spricht von »ethnischer Säuberung« in Gaza. Premierminister Benjamin Netanjahu tut zu wenig, um den Vorwurf auszuräumen

von Joshua Schultheis  07.12.2024

Andreas Nachama

Gesine Schwan rechnet die Schoa gegen Israels Politik auf

Die SPD-Politikerin sollte die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit würdigen, doch ihre Rede geriet zur Anklage gegen Israel

von Rabbiner Andreas Nachama  07.12.2024

Chris Schinke

Die Universität Leipzig kuscht vor BDS-Anhängern

Die Absage eines Vortrags des Historikers Benny Morris legitimiert die Erpresserlogik israelfeindlicher Gruppen

von Chris Schinke  02.12.2024

Awi Blumenfeld

Staatstragende Zersetzung

Demokratisches Verständnis vortäuschen, um die Demokratie als Sprungbrett zu nutzen: das Beispiel Walter Rosenkranz

von Awi Blumenfeld  27.11.2024

Waffenstillstand

Echter Frieden herrscht erst, wenn die Hisbollah entwaffnet ist

Der Krieg ist vorerst gestoppt. Jetzt muss der iranische Einfluss im Libanon zurückgedrängt und die UN-Sicherheitsratsresolution 1701 umgesetzt werden

von Michael Thaidigsmann  27.11.2024

Meinung

Schluss mit dem Lamentieren - es ist Zeit zu handeln

Nach den Haftbefehlen gegen Netanjahu und Gallant reicht es nicht, den Lautstärkeregler hochzufahren. Konstruktive Vorschläge wären im Interesse Israels

von Michael Thaidigsmann  26.11.2024

Meinung

Wie rechtfertigt ihr euer Schweigen?

Am Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen erwähnen die meisten feministischen Organisationen die Jüdinnen in Hamas-Geiselhaft mit keinem Wort. Ein Kommentar von Sharon Adler

von Sharon Adler  25.11.2024

Meinung

Der Rubikon ist längst überschritten

Eine »globale Intifida« breitet sich auch im Westen aus. Es wäre an der Zeit, dass Regierungen klare rote Linien einziehen

von Jacques Abramowicz  25.11.2024

Meinung

Slowik muss sich an Golda Meir ein Vorbild nehmen

Die Polizeipräsidentin hat Juden zur Vorsicht vor arabischstämmigen Menschen gemahnt. Das ist das falsche Signal

von Sigmount A. Königsberg  25.11.2024