Meinung

Dieser Weg führt zu einer Koalition mit der AfD

Joshua Schultheis, Redakteur bei der Jüdischen Allgemeinen Foto: Charlotte Bolwin

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Dieser Weg führt zu einer Koalition mit der AfD

Die Union und ihr Kanzlerkandidat haben sich verrannt. Wird eine Mehrheit im Bundestag mithilfe der AfD zur Regel, kommt die rechtsextreme Partei früher oder später an die Macht

von Joshua Schultheis  01.02.2025 18:23 Uhr

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Zu jubeln hat in diesen Tagen nur eine Partei – die AfD. Das Ende der »rot-grünen Dominanz« sei da, triumphierte am Mittwochabend der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann. Seine Partei hatte gerade einen bedeutenden Erfolg erzielt. Zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte fand ein Antrag mithilfe der Stimmen einer rechtsextremen Kraft eine Mehrheit im Bundestag.

Am Freitag wäre auf die Premiere beinahe die Wiederholung gefolgt: Ein Gesetz zur Begrenzung der Migration scheiterte nur knapp, weil einige Abgeordnete von CDU/CSU und FDP der Abstimmung ferngeblieben waren. An den Stimmen der AfD hatte es nicht gelegen.

Antrag und Gesetz für eine schärfere Asylpolitik hatte die Unionsfraktion eingebracht. Doch in ihren Rängen herrschte am Mittwoch im Bundestag betretenes Schweigen. »Jetzt beginnt etwas Neues«, rief ihnen AfD-Politiker Baumann zu. »Sie können folgen, Herr Merz, wenn Sie noch die Kraft dazu haben.«

Besagter Herr Merz, Kanzlerkandidat der Union, trat ziemlich kleinlaut ans Mikrofon. »Ich suche in diesem Bundestag keine anderen Mehrheiten als die in der demokratischen Mitte unseres Parlaments«, sagte Friedrich Merz entschuldigend. »Und wenn es hier heute eine solche Mehrheit gegeben hat, dann bedaure ich das.«

Nach der Abstimmung trat Kanzlerkandidat Friedrich Merz ziemlich kleinlaut ans Mikrofon.

Wahrlich, es ist bedauerlich, was Merz mit seinem politischen Vabanque-Spiel angerichtet hat. Die AfD hat nämlich allen Grund zu frohlocken: Nicht nur hat die – auch von Merz selbst viel beschworene – Brandmauer der Union nach rechtsaußen einen Riss bekommen. Die Ereignisse dieser parlamentarischen Woche könnten das Drehbuch werden, nach dem die AfD in der Zukunft einmal an die Macht gelangt.  

Wie konnte es so weit kommen? Noch im November versprach Merz, nach dem Ende der Ampel-Koalition bis zur nächsten Wahl nur Anträge in den Bundestag einzubringen, über die sich die Union zuvor mit SPD und Grünen geeinigt hätte. Er wolle verhindern, dass »auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da zustande kommt«, sagte Merz, mit dem Finger auf die AfD-Fraktion zeigend. Wer hätte zu diesem Zeitpunkt am Wort des Kanzlerkandidaten zweifeln wollen?

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Dann kam die schreckliche Tat von Aschaffenburg. Der willkürliche Mord an zwei unschuldigen Menschen, darunter ein Kleinkind, schockiert das Land. Der Täter, ein Afghane, hätte eigentlich nicht mehr in Deutschland sein dürfen, zumindest unter strenger Beobachtung stehen müssen. Der Impuls von Friedrich Merz ist in dieser Situation nachvollziehbar: Die Bürgerinnen und Bürger dürften nicht länger das Gefühl haben, nur die AfD biete eine echte Veränderung in der Migrations- und Sicherheitspolitik. Es müsse sich sofort etwas ändern.

Doch von da aus ist der Weg ins Desaster schon vorgezeichnet: Es sei ihm »egal«, mit wem er seinen Plan für eine Politikwende durch den Bundestag bringe, sagte Merz. Seinen Vorsatz, vor jeder Abstimmung eine Mehrheit mit SPD und Grünen zu suchen, schlug er in den Wind. Der Mann, der sich anschickt, Kanzler zu werden, zog in einem entscheidenden Moment populistische Kompromisslosigkeit der staatstragenden Vernunft vor. Und so kam es, wie es kommen musste.

Der Einwand, die Mehrheit mit der AfD sei deshalb kein Bruch mit der Brandmauer, da es zuvor keine Absprachen mit der Rechtsaußen-Partei gegeben habe, überzeugt nicht. Nach wie vielen Anträgen und Gesetzen, die auf diese Weise zustande kommen, wäre es denn so weit mit dem Ende der Brandmauer? Nach fünf? Nach 50?

Möglicherweise hat die Union vergessen, wozu es die Abgrenzung zur AfD überhaupt braucht.

Der AfD kann es vorerst herzlich egal sein, was genau für die Konservativen eine politische Zusammenarbeit konstituiert und was (noch) nicht. Sie wird de facto an der Macht in der Bundesrepublik beteiligt, wenn sie im Bundestag zur Mehrheitsbeschafferin der Union wird. »So können wir gerne weitermachen«, sagte die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch genüsslich ihrem CDU-Kollegen Thorsten Frei im Gespräch bei Markus Lanz.

Von Storch hat das Schlupfloch in der Brandmauer der Union erkannt: Die Logik, nach der CDU/CSU in den vergangenen Tagen agiert hat, würde selbst eine de facto von der AfD tolerierte Minderheitenregierung unter einem Kanzler Merz erlauben. Solange keine Absprachen mit der AfD erfolgen, stünde die Brandmauer formal ja noch. Doch dem Geiste nach – und das ist das Entscheidende – erodiert sie gerade gefährlich.

Möglicherweise hat die Union vergessen, wozu es die Abgrenzung zur AfD überhaupt braucht: Die Beteiligung von Rechtsextremen an einer deutschen Regierung muss unbedingt verhindert werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Konservativen auf diese Maxime besinnen. Ansonsten droht die Brandmauer Stück für Stück abgetragen zu werden – bis irgendwann eine Koalition mit der AfD gar nicht mehr so undenkbar erscheint. Käme es tatsächlich so weit, diesen Mittwoch hätte das Übel seinen Anfang genommen.

Dieser Text ist Teil eines Pro-und-Contras. Die Gegenmeinung vertritt Philipp Peyman Engel.

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