Meinung

Die lange Spur tödlicher Gewalt

Marina Chernivsky Foto: Rolf Walter

Vor einer Woche, am Donnerstagmorgen deutscher Zeit, wurden zwei junge Menschen, Yaron und Sarah, am Rande einer Veranstaltung im Capitol Jewish Museum in Washington D.C. ermordet: kaltblütig, aus Überzeugung. Aus den Vernehmungen geht derzeit hervor: Der Täter handelte bewusst –« für Gaza«. Kurz darauf hat die Beratungsstelle Ofek am vergangenen Freitag den Anschlag auf das Jüdische Museum von Belgien 2014 in Brüssel erinnert.

Solche Überlagerungen wirken beinahe zufällig – und werden doch mit jedem weiteren Terroranschlag wahrscheinlicher. Anschläge in Kopenhagen, in Paris, in Halle – eine lange Spur tödlicher Gewalt, die sich gezielt gegen Jüdinnen und Juden richtet. Es sind Angriffe auf die jüdische Gemeinschaft, die ihre vermeintliche Legitimation aus dem Verhalten eines Staates ableiten – oder allein aus der jüdischen (oder israelischen) Identität Einzelner. Letztlich speisen sie sich aus antisemitischer Projektion, aus zutiefst antisemitischem Verschwörungsglauben. 

Am Freitag wurde in direkter Nähe der Humboldt-Universität in Berlin ein Plakat entdeckt – mit dem Bild Yarons und zwei roten Dreiecken, einem von der Hamas verwendeten Symbol zur Markierung von Zielpersonen – eines zeigt auf Yaron, das zweite weiter unten bei seinem Sterbejahr. Ein Aufruf zur Gewalt gegen »Zionists«.

Ein größeres Konglomerat unterschwelliger und zunehmend offener Bedrohung

Ein Fall, noch einer – eine Vielzahl von Fällen, die auf tiefere Struktur verweisen: Straßen, Schulen, Campusflächen – unsichere, riskante Räume. Parolen, die selten verstanden, aber dennoch verteidigt werden. Botschaften, die verstören und Auslöschung propagieren. Sie stehen nicht für sich allein, sondern fügen sich in ein größeres Konglomerat unterschwelliger – und zunehmend offener – Bedrohung.

Die Frage, ob etwas als Gewalt erkannt und verurteilt wird, scheint nun von ideologischen Positionen abzuhängen. Es fällt vielen offenbar schwer, sich in die Lage der betroffenen Jüdinnen und Juden zu versetzen – besonders dann, wenn die Gewalt gegen die Juden und nun der Tod von zwei Menschen in das eigene ideologische Narrativ zu passen scheint. 

Nicht jede Handlung, die Jüdinnen und Juden widerfährt, sei per se objektiv antisemitisch. Doch um als verstörend zu wirken, braucht es keine Definitionen. Antisemitismus greift jüdische Existenzen an. Antisemitische Ideologie verhöhnt Vergangenheit und unterbricht Zukunft. Nicht nur der Exzess, sondern die Teilnahmslosigkeit erinnert die jüdische Gemeinschaft an die Fragilität des kollektiven und individuellen Lebens.

Gerade dort, wo auf dem Campus kaum studentische Stimmen hörbar sind, die sich an die Seite jüdischer Studentinnen und Studenten stellen würden, wenden sich jüdische Studierende nicht mehr an ihre Mitstudierenden, sondern an Beauftragte, Rektorate, an Regierungen – weil das Vertrauen bereits erschüttert ist.

Warum müssen es die dezidiert israelsolidarischen Gruppen sein, die gegen die Gewalt an Jüdinnen und Juden protestieren? Warum setzen sich nicht auch andere Studierende – auch ohne Aufforderung – gegen diese Gewalt ein? Gibt es womöglich eine leise Überzeugung, dass dieser Hass, diese Gewalt, in irgendeiner Weise doch berechtigt sein könnten? Hetzende Sprache und gesellschaftliche Gleichgültigkeit waren historisch stets Vorboten von Pogromen. Es darf nicht den geringsten Spielraum für die Vorstellung geben, dass die Gewalt gegen jüdische oder israelische Zivilistinnen und Zivilisten durch die Politik Israels berechtigt und legitimiert sei.

Die jüdischen Studierenden sollen an deutschen Universitäten keine Vertreterinnen und Vertreter des israelischen Staates sein. Und doch lastet dieser unausgesprochene Anspruch auf vielen. Seit ihrer Schulzeit wissen jüdische Kinder, dass sie für diese großen Themen einstehen müssen – für das Judentum, für die Erinnerung an die Schoa, auch für Israel.

Wie erzählen – wenn niemand zuhört? Wenn die Glaswand keinen klaren Ton durchlässt? Wie hinter einer unsichtbaren Scheibe leben Jüdinnen und Juden heute hier: vielleicht gesehen, vielleicht gehört – aber nicht verstanden.

Die Autorin ist Vorständin und Geschäftsführerin der Beratungsstelle OFEK e.V.

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