Meinung

Die drei fatalen Fehler Israels in Gaza

Israelische Panzer an der südlichen Grenze zu Gaza Foto: Copyright (c) Flash 90 2023

Die Welt lässt Israel fallen. Sie wendet sich gegen Israel. Und zwar nicht nur die üblichen Verdächtigen, die nach dem 7. Oktober 2023 noch nicht einmal die Schamfrist haben verstreichen lassen, bevor sie sich in gewohnter Manier gegen Israel in Stellung gebracht haben. Nein, selbst vormalige Unterstützer und Freunde wenden sich zunehmend ab. Bis auf wenige Ausnahmen, die sich dem Trend noch widersetzen.

Die USA und Deutschland zählen dazu und einige wenige andere. Doch auch dort wird der gesellschaftliche und politische Druck immer größer, Israel wegen der Kriegsführung in Gaza die Unterstützung zu entziehen.

Die Motive sind vielschichtig. Nicht uniform. Grundsätzliche Ablehnung militärischer Konflikte. Mitleid mit den Palästinensern als archetypischen Opfern. Abscheu vor den andauernden Bildern des Kriegs und des menschlichen Leids, die nun in einem medialen Dauerfeuer auf die Menschen hereinregnen. Verzerrte und einseitige Berichterstattung.

Israel macht es einem nicht leicht

Ignoranz gegenüber Israels lokaler, politischer und historischer Situation. Fehlendes Verständnis für die historischen Verletzungen und die Ängste des jüdischen Volkes. Leichtgläubigkeit und Ahnungslosigkeit. Die Unfähigkeit, die Herausforderung des Kampfes gegen religiösen Fundamentalismus und dessen mörderische Auswirkungen zu begreifen. Eine verquere postkoloniale Sicht auf Täter und Opfer, auf Unterdrücker und Unterdrückte. Israelhass, Antizionismus oder Antisemitismus. Und noch vieles mehr.

Umso anerkennenswerter ist es, dass es immer noch Länder und Unterstützer gibt, die Haltung zeigen. Die ihren Prinzipien treu bleiben. Deren moralischer Kompass noch immer funktioniert. Und die sich dem Druck der Massen nicht beugen. Denn eines muss man bei aller Freundschaft attestieren: Israel macht es einem nicht leicht. Und Israel begeht im Gaza-Krieg fatale Fehler.

Das auszusprechen kostet Überwindung. Und es ist nicht leicht. Ganz im Gegenteil. Erst recht, weil es einfach ist, aus der sicheren Entfernung zu urteilen. Bequem, weil man sich nicht im Auge des Sturms befindet. Weder Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen hat, noch mit den Konsequenzen leben muss. Aber als Jude, als Zionist und als Beobachter aus der Ferne, treibt einen manches um, was Israel und seiner Reputation schadet. Falls davon überhaupt noch etwas übrig ist.

Israel hat jedes Recht, diesen Krieg zu führen, bis die Hamas zerschlagen ist

Es sind vor allem drei Fehlentscheidungen, die dazu beigetragen haben, dass der Punkt erreicht wurde, an dem wir uns heute befinden. Bevor sich die Israelhasser, Antisemiten und moralischen Heckenschützen nun aber die Hände reiben, sollten grundsätzliche Positionen geklärt werden: Der Krieg gegen die Hamas in Gaza ist richtig und notwendig. Es gab wahrscheinlich nur wenige Kriege, die völkerrechtlich und moralisch so legitim, so gerechtfertigt waren, wie dieser.

Israels Kriegsführung ist verhältnismäßig, wenn man berücksichtigt, unter welchen Bedingungen Israels Armee in Gaza operiert. Keine Armee der Welt hat unter vergleichbaren Bedingungen jemals mehr getan, um eine feindliche Zivilbevölkerung zu schützen und sie zu versorgen. Und das Verhältnis von gefallenen Kämpfern der Hamas und zivilen Opfern ist im Vergleich zu anderen Kriegen und anderen Armeen historisch niedrig.

Israel hat jedes Recht, diesen Krieg zu führen, bis die Hamas zerschlagen ist oder sich ergeben hat und die Geiseln, die sich immer noch in Gefangenschaft befinden, zurückgekehrt sind. Und Israel hat jedes Recht, Pufferzonen in Gaza zu schaffen, um neue Angriffe auf sein Territorium und seine Zivilbevölkerung zu verhindern.

Es fehlt an einer Strategie, den Krieg zu beenden

Die Hamas hat diesen Krieg in der denkbar brutalsten Weise begonnen. Und sie haben die Konsequenzen zu tragen. Sie tragen die alleinige Verantwortung für diesen Krieg. Und sie tragen außerdem die moralische Verantwortung für die vielen zivilen Opfer und das Leid auf palästinensischer Seite. Damit dürften die Fronten geklärt sein.

Und doch: Israel hat Fehler gemacht und Israel macht Fehler. Strategisch, militärisch und medial. Und drei Fehler sind geradezu fatal.

Erster Fehler: Israel hat weder eine Strategie, um den Krieg zu beenden noch eine Strategie für den Tag danach. Oder genauer: Wahrscheinlich hat Israel diese Strategie schon, aber man kommuniziert sie nicht klar genug. Dieses Problem haben zahlreiche Kommentatoren schon zu einem frühen Zeitpunkt aufgezeigt. Denn es ist einfacher einen Krieg zu beginnen, als ihn zu beenden. Vor allem, wenn man es mit einem Gegenüber zu tun hat, dessen Kriegsstrategie darin besteht, Israel durch so viele zivile Opfer wie möglich in den Augen der Welt unmöglich zu machen.

Es muss Israel klar definiert werden, was in Gaza noch erreicht werden soll

Hamas ist das Wohl der eigenen Bevölkerung völlig egal. Sie braucht sie lediglich als Manövriermasse gegen Israel und als Teil ihres Propagandakrieges. Militärisch kann Hamas nicht gewinnen. Medial, propagandistisch, emotional schon. Deshalb muss Israel klar definieren, wie ein Sieg aussehen kann. Und was in Gaza noch erreicht werden soll. Das schulden sie den Soldaten, die seit bald zwei Jahren mutig und leidenschaftlich für die Verteidigung ihres Landes, für die Heimkehr der Geiseln und gegen die islamistischen Terroristen kämpfen. Und sie schulden es ihren Unterstützern, die ihnen treu und unbeirrt zur Seite stehen.

Vor allem aber sollte es in Israels eigenem Interesse sein, denn in dieser kommunikativen Leerstelle treiben sich rechtsextreme Irrlichter wie die Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir herum und verbreiten oft unwidersprochen menschenverachtende und krude Ideen für die Zukunft der Palästinenser in Gaza. Eine klare Kommunikation, die diese Ideen dorthin verbannt, wo sie hingehören und stattdessen eine Strategie für das Morgen und das Übermorgen präsentiert, ist elementar und sollte so schnell wie möglich umgesetzt werden.

Zweiter Fehler: Israel hat die Macht der Propaganda und die Macht der Bilder unterschätzt und hat zugelassen, dass die ganze Welt über das verhungernde Gaza spricht. Nur zur Klarstellung: Gaza verhungert nicht. Und es gibt auch kein Massensterben aufgrund einer Hungersnot. Was nicht heißt, dass es keinen Hunger in Gaza gibt. Aber Israel hat es zugelassen, dass sich dieses Thema zu einer weltweiten Medienkampagne ausgeweitet hat.

Gaza müsste mit Essen geflutet werden

Zurecht hat Israel argumentiert, dass es außerordentliches leistet, um eine feindliche Zivilbevölkerung mit Essen und Medikamenten zu versorgen. Dass die nach Gaza eingeführte durchschnittliche Kalorienmenge pro Kopf überdurchschnittlich hoch ist. Dass sie der Menge nach vollkommen ausreichend ist. Und dass die Hamas immer wieder humanitäre Hilfe abzweigt, hortet, kontrolliert und missbraucht, um ihre Kämpfer zu versorgen, ihre Handlanger zu bezahlen und ihre Organisationsstrukturen zu finanzieren.

All das ist richtig. Weshalb die Strategie, das Essen gemeinsam mit den Amerikanern an den bewährten Verteilstrukturen und Akteuren vorbei zu verteilen, im Grunde gut war. Die Idee war ebenso richtig, wie die Absicht. Und die beinahe 100 Millionen Mahlzeiten, die die Gaza Humanitarien Foundation bisher in Gaza verteilt hat, sind enorm. Aber erstens hat man nicht mit den logistischen Problemen gerechnet. Zweitens hat man die Abneigung und Torpedierung des Projekts durch die Hilfsorganisationen unterschätzt, denen es mehr darum ging, das Projekt scheitern zu lassen, als die Menschen in Gaza zu versorgen. Und drittens hat man die Angriffe der Hamas auf das Verteilsystem, die Mitarbeiter und die Hilfe suchenden Palästinenser unterschätzt, die immer wieder zu chaotischen Szenen mit vielen Toten geführt haben.

In jedem Fall haben alle Anstrengungen Israels nicht gereicht, um eine Welt in Lauerstellung zu überzeugen. Vor allem, weil es für die Beobachter und Zaungäste weder um Rationalität, noch um eine differenzierte Analyse, geschweige denn um Wahrheit geht. Sondern es geht um Bilder, um Stimmungen und um Emotionen. Hätte Israel das rechtzeitig begriffen, dann hätte das schlimmste vielleicht verhindert werden können. Will heißen: Israel hätte nie zulassen dürfen, dass auch nur ein einziges Bild eines hungrigen Kindes oder einer flehenden Mutter mit einer leeren Essensschale die sozialen oder traditionellen Medien erreicht. Nicht durch Zensur natürlich. Sondern, indem man Gaza mit Essen geflutet hätte.

Die Regierung müsste der Welt erklären, was es tut und warum

Indem man also so viel humanitäre Hilfe in den Gazastreifen geschickt hätte, dass die Hamas es nicht als Druckmittel oder Finanzierungsinstrument hätte nutzen können, weil die Preise kollabieren. Und weil niemand die Hamas braucht, um an Essen zu gelangen. Soviel also, dass jedes Bild eines hungernden Kindes sofort als das entlarvt hätte werden können, was es ist: pure und böswillige Propaganda.

Wenn man weiß, dass die Hamas das Essen abzweigt, hortet, kontrolliert und es den Menschen vorenthält, um es dann entweder teuer zu verkaufen oder es zu nutzen, um sich Gefolgschaft oder Komplizenschaft zu sichern. Und wenn man weiß, dass dadurch hier und da Hunger entstehen kann, auch wenn in der Summe genug Nahrung eingeführt wird. Und wenn man weiß, dass die Hamas Bilder von leidenden Palästinensern braucht, weil sie damit die weltweiten Emotionen manipuliert und den Hass auf Israel schürt, dann ist die Lösung einfach: nämlich die Einfuhr von endlosen Mengen an Nahrung. So viel, dass Gaza nicht mehr weiß, wohin mit dem ganzen Essen.

Ob man die Kritiker damit hätte überzeugen können? Wer weiß. Aber es wäre sicher nicht ganz so leicht gewesen, Israel zu verleumden und zu dämonisieren.

Und schließlich der dritte fatale Fehler: Israel erklärt der Welt nicht, was es tut, warum es etwas tut und was Wahrheit oder Lüge ist. In einer Welt, in der ein Informationskrieg tobt, in der Lügen über Israel so allgegenwärtig sind, in der nicht nur die Hamas, sondern die mannigfaltigen Feinde Israels nur darauf warten, den Judenstaat zu delegitimieren und zu dämonisieren. Und in der selbst vermeintlich seriöse Medien unaufhörlich in dem Meer der Propaganda und der Unwahrheiten fischen - ob aus Unkenntnis, aus Fahrlässigkeit oder gar vorsätzlich - ist es unabdingbar, dass man seine Position darstellt, sich erklärt, Fakten vermittelt, aufklärt, Lügen entlarvt, Fehlinformation entkräftet und der Unwahrheit einen Schritt voraus ist.

Die Freunde Israels müssen mitgenommne werden

Es hilft nicht, sich zurückzuziehen. Oder auf die Vernunft der Menschheit zu vertrauen. Oder darauf, dass sie schon selbst erkennen werden, was Wahrheit ist und was Lüge. Was Fakt und was Fake. Was seriöse Information und was Propaganda. Oder zu glauben, dass es sowieso nichts nützt, der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen. Nein! Der Kampf um die Information, um die die Wahrheit und um die Köpfe und Herzen der Menschen muss offensiv geführt werden! Unermüdlich. Leidenschaftlich. Mit vollem Einsatz!

Es ist bis zu einem gewissen Grad verständlich, warum Israel so handelt, wie es handelt. Warum es zu wenig erklärt, aufklärt und kommuniziert. Denn der Judenstaat ist auch unter der Prämisse entstanden, dass man sich endlich nicht mehr erklären muss. Dass Juden sich nicht mehr rechtfertigen müssen. Dass es einen Ort gibt, ein Land, eine uralte Heimat, wo Juden einfach nur sind. Ohne zu erklären, wie sie sind. Was sie sind. Warum sie sind. Und warum sie das tun, was sie tun.

Das Erklären und das Rechtfertigen sollten endlich ein Ende haben. Ein für alle Mal. Und ja, das ist verständlich. Es rührt an den ältesten und tiefsten Verletzungen des jüdischen Volkes. Es markiert den Moment, indem man aus den Jahrhunderten der Abwertung, der Zuschreibung und der Verfolgung ausbricht, um endlich selbstbestimmt zu leben. Aufrecht. Stolz. Selbstbewusst. Als Jude in seiner biblisch angestammten Heimat. Nicht aufgrund der Gnade anderer. Sondern, weil es ihr gutes Recht ist.

Es braucht Mut, Stärke, Resilienz und die Fähigkeit zur Selbstkritik

All das ist richtig. All das ist gerechtfertigt. All das ist verständlich. Aber dennoch resultiert daraus eine falsche Haltung zur falschen Zeit. Denn es geht nicht nur darum, die Planlosen aufzuklären. Und den Feinden Paroli zu bieten. Sondern es geht auch darum, die Freunde, die Befürworter und die Unterstützer Israels mitzunehmen, sie verstehen zu lassen, was und warum man tut, was man tut. Und sie mit Argumenten auszurüsten. Nur so wird man dem Informations- und Propagandakrieg gegen Israel etwas entgegensetzen können. Und nur so wird man eine Chance haben, ihn langfristig zu gewinnen.

Das schuldet Israel nicht nur sich selbst, nicht nur seinen Bürgern und nicht nur den Juden, überall auf der Welt. Sondern das schuldet es auch seinen Freunden, seinen Partnern und seinen Unterstützern. Und davon gibt es noch immer eine ganze Menge. Ja, Israel macht Fehler. Fatale Fehler. Aber es steht auf der richtigen Seite der Geschichte. Und es kämpft nicht nur um sein Überleben. Sondern für Ideale wie Sicherheit, Freiheit und Gerechtigkeit. In einem immer einsamer werdenden Kampf gegen islamistische Terroristen, gegen fundamentalistische und menschenverachtende Ideologien, gegen Barbarei und Hass, gegen Desinformation, Propaganda und Antisemitismus.

Dafür braucht es Mut, Stärke, Resilienz und die Fähigkeit zur Selbstkritik. Und es braucht unsere Unterstützung. Denn Israel kämpft auch für uns. Für unsere Zivilisation. Und für unsere Werteordnung.

Der Autor ist Jurist und Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen.

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