Meinung

Der Internationale Strafgerichtshof und die Kampagne gegen Israel

Volker Beck ist Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Foto: imago/IPON

Meinung

Der Internationale Strafgerichtshof und die Kampagne gegen Israel

Bei den Haftbefehlen gegen Netanjahu und Gallant geht es um Politik und nicht um Recht

von Volker Beck  21.11.2024 15:44 Uhr

Mit dem Haftbefehl gegen Netanjahu und Gallant hat der Internationale Strafgerichtshof dem Völkerrecht keinen Dienst erwiesen. Der Antrag des Chefanklägers, dem die Vorprüfungskammer nun stattgab, stand in mehrfacher Hinsicht auf unsicherem Grund:

Ersten wurden die Belege, die er heranzog, von vielen Fachleuten als nicht solide angesehen. Die kriegsbedingte Not der Bevölkerung in Gaza hat ihre Ursache im Krieg und in der Kriegsführung der Hamas. Dass sie von der israelischen Führung beabsichtigt sei, ist nicht mehr als eine Unterstellung.

Das angegriffene Israel und die Angreifer sollen propagandistisch auf eine Stufe gestellt werden.

Zweitens offenbarte die Gleichzeitigkeit der Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten und Verteidigungsminister mit den Haftbefehlen gegen die Hamas-Führung, dass es bei dem Antrag um Politik und nicht um Recht geht. Während der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 gegen jede Regel internationalen Rechts verstieß und von der Hamas selbst dokumentiert wurde, können völkerrechtliche Fragen zu Israels Kriegsführung erst viel später aufgetaucht sein. Dass die Anträge gleichzeitig gestellt wurden, war ein politisches Manöver.

Drittens sollte mit der Gleichzeitigkeit der Anträge das angegriffene Israel und die Angreifer propagandistisch auf eine Stufe gestellt werden: Israel mit einer demokratischen Regierung und einer unabhängigen Justiz einerseits und die Terrorgruppe Hamas, die ihre eigene Bevölkerung willkürlich massakriert und unterdrückt, andererseits. Es handelt sich hier um eine doppelte Täter-Opfer-Umkehr.

Lesen Sie auch

Dass der Internationale Strafgerichtshof der anti-israelischen Kampagne in Teilen der Völkergemeinschaft nachgegeben hat, straft alle Argumente Lügen, mit denen wir Deutschen die Amerikaner zum Beitritt zu diesem Gremium überreden wollten. Der Gerichtshof und der Chefankläger haben sich vor allem über einen entscheidenden Mechanismus des Rom-Statuts einfach hinweggesetzt. Der Gerichtshof ist nur zuständig, wenn die nationale Justiz nicht willens oder nicht in der Lage ist, Verbrechen nach dem Rom-Statut zu ahnden. Das festzustellen, ist viel zu früh.

Wenn der Strafgerichtshof sich so leichtfertig über die eigenen Statuten hinwegsetzt, sollten wir unser Verhältnis zum Internationalen Strafgerichtshof überdenken. Und das schreibe ich als jemand, der sich als Abgeordneter für die Unterzeichnung des Rom Statutes durch Deutschland eingesetzt hat.

Israel ist ein Rechtsstaat. Es muss auch Verletzungen des Kriegsvölkerrechts durch einzelne Soldaten und Offiziere ahnden. Das tut es auch. Selbst wenn das nicht allen in der Knesset und der Regierungskoalition gefällt. Das muss ebenso für die Gewalt von militanten Siedlern gelten.

Die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant werden ein neues Festival der Selbstgerechten auslösen.

Selbstverständlich gilt für Netanjahu wie für Gallant trotz Haftbefehl weiterhin die Unschuldsvermutung. Das ist in jedem Strafverfahren so, also auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Das wird jedoch nicht verhindern, dass auf den Straßen und in internationalen Arenen der Haftbefehl als Schuldspruch angesehen werden wird.

Es wird ein neues Festival der Selbstgerechten auslösen. Diejenigen, die es schon immer gewusst haben wollen, werden den Haftbefehl dafür nutzen. Die Bundesregierung sollte hierbei nicht mitspielen und dieser Stimmung entgegentreten.

Der Autor ist Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) und saß von 1994 bis 2017 für Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.

Meinung

Das letzte Wort zum »Völkermord«

Wer für einen Genozid verantwortlich ist, versorgt dessen angebliche Opfer nicht. In Gaza tut Israel, was es tun muss

von Imanuel Marcus  18.09.2025

Meinung

Vereinte Nationen: Alter Wein in neuen Schläuchen

Kommende Woche soll in New York eine Resolution zum Nahostkonflikt verabschiedet werden. Sie ist hochproblematisch. Deutschland sollte dagegen stimmen

von Jacques Abramowicz  18.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Meinung

Für das Leben entscheiden

Die Fortführung der Kampfhandlungen in Gaza gefährdet das Leben der Geiseln und den moralischen Fortbestand Israels. Es ist Zeit, diesen Krieg zu beenden

von Sabine Brandes  16.09.2025

Kommentar

Das Geraune von der jüdischen Lobby

Der Zürcher »Tages-Anzeiger« befasst sich kritisch mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese an der Uni Bern gefordert hatte. Dabei war diese Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Meinung

Lasst uns nicht allein!

Nach dem Canceln von Lahav Shani durch das Flandern-Festival in Gent befürchtet Maria Ossowski, dass Juden Europa jetzt verlassen wollen

von Maria Ossowski  11.09.2025

Meinung

Gent: Boykottiert die Boykotteure!

Dass die Münchner Philharmoniker in Gent nicht auftreten dürfen, weil sie mit Lahav Shani einen israelischen Dirigenten haben, ist eine Schande - und erfordert eine deutliche Antwort deutscher Kulturschaffender

von Michael Thaidigsmann  10.09.2025

Meinung

Wenn Wutausbrüche Diplomatie ersetzen

So verständlich der Frust ist, tut sich Israels Regierung mit ihrer aggressiven Kritik an westlichen Regierungen und ihren Einreiseverboten für europäische Politiker keinen Gefallen

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025

Meinung

Bitte mehr Sorgfalt, liebe Kollegen!

Weltweit haben Medien die Geschichte verbreitet: In Gaza sei ein hilfesuchendes Kind von Israelis erschossen worden. Es stimmt nur nicht, wie sich nun herausstellt. Von professionellen Journalisten darf man eigentlich mehr erwarten

von Susanne Stephan  08.09.2025