Nicole Dreyfus

Bitte nicht an diesem Datum!

Für ein »freies Palästina« und unter dem Motto »From the River to the Sea Palestine will be free« wollen in Zürich die Menschen am kommenden Samstag auf die Straße gehen - ausgerechnet am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag.

Dass sich die Teilnehmenden nicht um das Datum scheren (oder es bewusst wählen), ist das eine. Dass sich die Polizei der Stadt Zürich im Vorfeld der Veranstaltung offenbar nicht bewusst war, um welches Datum es sich dabei handelt, kann nur mit mangelnder Sensibilität erklärt werden. Warum bewilligt die Polizei ausgerechnet für den 27. Januar eine solche Groß-Demo?

Man sei sich »der Brisanz des Datums im ersten Augenblick nicht bewusst gewesen«, hieß es von Seiten der Stadt. Kann man bei einer Behörde einer Stadt von der Größe Zürichs, die sich im Kampf um Antisemitismus immer darum bemüht, gute Arbeit zu leisten, effektiv erwarten, ein solches Datum auf dem Schirm zu haben?

In der Tat – hier sei an den kläglichen Versuch erinnert, als die Stadtpolizei aus Sorge vor antisemitischen Angriffen die für eine Mahnwache aufgestellten Teddybären auf dem Sechseläutenplatz entfernte (die JA berichtete). Kaum drei Wochen nach dem 7. Oktober ließ die Stadt Zürich in einem Kommuniqué verlauten: »Der Stadtrat verurteilt den abscheulichen terroristischen Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 aufs Schärfste. Die seither feststellbare Zunahme antisemitischer Aktivitäten in Zürich bereitet ihm Sorge. Antisemitismus und jede Form von Diskriminierung und Gewalt gegen Minderheiten haben in Zürich keinen Platz.«

Der Stadtrat verurteilt den Terror - und bewilligt eine ProPalästina-Demo

Trotzdem bewilligt die Stadt Zürich eine Demonstration, die überdies mit ihrem Veranstaltungsflyer provoziert. Darauf steht in arabischen Lettern der vielfach bei solchen Demos skandierte antisemitische Slogan »From the river to the sea«, mit dem zur Vernichtung des jüdischen Volkes in Israel aufgerufen wird. Das bedeutet eine neue Eskalationsstufe. Bisher wurde die Parole bei »Pro-Palästina«-Demonstrationen lediglich skandiert und auf Bannern gezeigt.

Nun gehen die Veranstalter einen Schritt weiter, indem sie den Slogan bewusst auf einen Flyer gesetzt haben. Aber die Sache beinhaltet einen sonderbaren Zynismus: Gleichzeitig wird auch – wohlgemerkt ganz klein gedruckt – auf dem Flyer darauf aufmerksam gemacht, dass für »Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus« kein Platz sei.

Wie naiv muss man denn sein, um das zu glauben? Das ist keine Friedensdemo, es geht um mehr. Dessen sind sich die Veranstalter offenbar auch bewusst gewesen, sonst hätten sie kaum den Spruch auf Arabisch geschrieben. Und die Leute fallen offensichtlich darauf ein. Auf Instagram haben mehr als 2000 Personen den Aufruf des Palästina-Komitees Zürich geliked, auch Schweizer Politiker und Politikerinnen. Nun befasst sich die Zürcher Staatsanwaltschaft mit der Veranstaltung.

Die Zürcher Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) hat letzte Woche gegen die Veranstalter Anzeige eingereicht. Die GRA hält in ihrem Schreiben an die Behörden fest, die Veranstalter würden gegenüber dem Schweizer Durchschnittsleser ihre wahren Absichten verschleiern, indem sie im Flyer schrieben, man sei gegen Antisemitismus. Gleichzeitig werde auf Arabisch aber zur Vertreibung und Vernichtung aller Juden aufgerufen.

Der Slogan ist bis dato nicht strafbar, aber antisemitische Parolen können zusehends kaschiert geäußert werden. Das ist für jüdische Menschen ein unerträglicher Gedanke – ausgerechnet am 27. Januar. Dass die Demonstration mittlerweile in eine Kundgebung verwandelt wurde, macht die Sache nicht besser.

Die Zürcher Sicherheitsdirektion sah sich jedenfalls nicht dazu verpflichtet, die Veranstaltung am Holocaust-Gedenktag zu verbieten. »Der historische Hintergrund des 27. Januar ist an sich kein hinreichender Grund, um eine Demonstration zu verbieten. Die juristischen Hürden für ein Demonstrationsverbot sind hoch«, hieß es von städtischer Seite.

Juristisch sind ihr die Hände vielleicht gebunden – aber ein bisschen mehr Empathie für eine Minderheit, die sich in Zürich zu Hause wähnt, wäre nicht zu viel verlangt gewesen. Strafrecht ist das eine, moralische Verpflichtung das andere.

dreyfus@juedische-allgemeine.de

Kommentar

Nächstes Jahr bitte ohne Doppelmoral!

Der Musik-Wettbewerb sollte nicht mit einseitiger Solidarität zur inhaltlosen Bühne verkommen

von Nicole Dreyfus  18.05.2025

Meinung

Ohne Wissen und Gewissen 

Der taz-Redakteur Daniel Bax, studierter Islamwissenschaftler, sollte seinen Beruf wechseln. Die taz sollte ihm dabei helfen

von Maria Ossowski  18.05.2025

Kommentar

Den Nachkommen der Schoa-Opfer kaltschnäuzig und nassforsch die Leviten gelesen

Ausgerechnet zum 60. Jubiläum der deutsch-israelischen Beziehungen kritisiert die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann die Kriegsführung in Gaza, und das auch noch, ohne die Hamas zu erwähnen

von Esther Schapira  18.05.2025

ESC

Kraftvolle Stimme der Resilienz

Yuval Raphael qualifiziert sich am Donnerstagabend in Basel für das Finale und bietet allen Buhrufern entschlossen die Stirn. Ein Kommentar

von Nicole Dreyfus  16.05.2025

Meinung

Neukölln stigmatisiert sich selbst

Heleen Gerritsen, künftige Leiterin der Deutschen Kinemathek, unterschrieb 2023 einen Boykottaufruf gegen Lars Henrik Gass. Jetzt liefert sie eine schräge Begründung nach

von Stefan Laurin  16.05.2025

Kommentar

Journalistisch falsch, menschlich widerlich

»News WG«, ein Format des Bayerischen Rundfunks, hat eine Umfrage darüber gestartet, ob man Yuval Raphael, eine Überlebende der Massaker des 7. Oktober, vom ESC ausschließen soll

von Johannes Boie  15.05.2025

Meinung

Jude gesucht für Strafantrag

Dass Staatsanwaltschaften selbst bei judenfeindlichen Hasskommentaren untätig bleiben, ist symptomatisch für den Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland

von Alon David  14.05.2025

Meinung

Bruch von Weimer mit Roths Politik: Ein notwendiger Neuanfang

Selten haben so viele kultivierte Menschen einen Kulturstaatsminister so heftig kritisiert wie Wolfram Weimer. Dabei hat er innerhalb von wenigen Tagen gleich zwei wichtige Zeichen gesetzt

von Maria Ossowski  13.05.2025

Meinung

Die Linkspartei, ihr Bundesparteitag und der Abschied vom Eintreten gegen Judenhass

Wer sich als vorgeblich sozialistische Partei mit einer Bewegung solidarisiert, die Frauen steinigt, Homosexuelle verbrennt und den Judenmord als oberstes Ziel ihrer Bemühungen proklamiert, hat keine Ehre. Ein Kommentar von Andrej Hermlin

von Andrej Hermlin  13.05.2025 Aktualisiert