Kino

Zwei Lesben, ein Roadtrip

Mit der heiklen Ware im Kofferraum haben Jamie (Margaret Qualley) und Marian (Geraldine Viswanathan) nicht gerechnet. Foto: © 2024 Focus Features, LLC.

Rund 35 Jahre und 18 gemeinsame Spielfilme lang waren die Brüder Coen unzertrennlich. In den 80er-Jahren begannen Joel und der drei Jahre jüngere Ethan ihre Karriere mit dem Low-Budget-Thriller Blood Simple, später gewannen sie die Goldene Palme in Cannes für Barton Fink und einen ersten Oscar für Fargo, wurden Kult mit The Big Lebowski und endgültig zu Superstars des US-Kinos mit No Country For Old Men.

Ganz zu schweigen davon, dass die beiden jüdischen Filmemacher sich von ihrer eigenen Jugend in Minnesota zu der wunderbar schwarzen Komödie A Serious Man inspirieren ließen. Doch seit einiger Zeit geht das geschwisterliche Dream-Team getrennte Wege: Sechs Jahre ist der letzte gemeinsame Film The Ballad of Buster Scruggs her, Joel brachte zuletzt im Alleingang seine Version von Macbeth an den Start. Und nun folgt sein kleiner Bruder Ethan mit der Komödie Drive-Away Dolls.

Für seinen ersten eigenen Spielfilm (nach der Regie beim Dokumentarfilm Jerry Lee Lewis: Trouble in Me) hat der jüngere Coen sich mit seiner Ehefrau Tricia Cooke zusammengetan, und gemeinsam erzählen sie nun die 1999 angesiedelte Geschichte zweier junger lesbischer Frauen.

Jamie (Margaret Qualley) ist eine wilde Draufgängerin, die das Leben in vollen Zügen genießt und nichts anbrennen lässt, während ihre beste Freundin Marian (Geraldine Viswanathan) das komplette Gegenteil zu sein scheint: statt feiern zu gehen, sitzt sie lieber zu Hause und liest Henry James, an Sex war seit der letzten Beziehung nicht zu denken.

Als Jamie – wenig überraschend – von ihrer Freundin Sukie (Beanie Feldstein) aus der gemeinsamen Wohnung geschmissen wird, trifft es sich gut, dass Marian gerade einen Trip von Philadelphia nach Florida plant. Kurzerhand brechen die beiden Freundinnen gemeinsam auf und heuern dafür bei einer Agentur an, bei der man für andere Kunden deren Autos von A nach B fährt.

Coen und Cooke führen eine offene Ehe – und sie eine Parallelbeziehung mit einer Frau.

Der Wagen, in dem Jamie und Marian aufbrechen, war allerdings nicht für sie bestimmt, ganz zu schweigen von der Ware, die im Kofferraum schlummert. Es dauert also nicht lange, bis sich ein paar skrupellose Gangster den beiden an die Fersen heften, was wiederum auch die Polizistin Sukie auf den Plan ruft. Nicht nur Jamie hält all das davon ab, dafür zu sorgen, dass auch auf diesem Trip Spaß und Sex nicht zu kurz kommen.

Allzu viel Handlung ist das nicht, doch das muss im Road-Movie-Genre kein Nachteil sein. Ohnehin hat man das Gefühl, dass Ethan Coen sich bei dieser Solo-Regiearbeit ein wenig frei machen wollte von dem Aufwand, der die letzten Jahre in vielen der großen Coen-Produktionen steckte, und Lust auf etwas ganz anderes hatte.

Entsprechend lebt Drive-Away Dolls vor allem von einem ungeschliffenen, schnodderig-handgemachten Charme, der sich aus dem überschaubaren Budget und dem schmalen Plot speist und kein bisschen auf anspruchsvolle Komplexität, sondern vor allem auf leichtfüßige Albernheit setzt.

Was nicht heißen soll, dass hier nicht hochkarätige Mitstreiterinnen am Werk waren, etwa der langjährige Coen-Komponist Carter Burwell oder die fantastische Kamerafrau Ari Wegner.

Dass das Ergebnis mitunter ein wenig holprig und unausgegoren wirkt, lässt sich nicht bestreiten. Schon die Kombination der beiden Hauptdarstellerinnen geht nicht wirklich bis ins Letzte auf: Während Qualley (die jüngst auch in Poor Things zu sehen war) komödiantisch auf die Tube drückt und nicht nur beim Südstaaten-Akzent auf dem schmalen Grat zur Karikatur wandelt, bringt die unter anderem aus Teenie-Geschichten wie Der Sex-Pakt bekannte Viswanathan in ihrer Performance eine Subtilität mit, die dem Film ansonsten abgeht.

Kurios und nicht unbedingt aus einem Guss ist auch die Mischung der Nebendarstellerinnen und Gaststars, die sich hier die Ehre geben: Gleich in der Eröffnungsszene taucht Pedro Pascal auf, später folgt der frisch Oscar-nominierte Colman Domingo (Rustin), und schließlich lassen sich sogar der Coen-Kumpel Matt Damon sowie Miley Cyrus blicken.

Dass Drive-Away Dolls mit dem bunten Retro-Look sowie dem Fokus auf weibliche und vor allem homosexuelle Protagonistinnen für Coen recht ungewöhnlich wirkt, dürfte übrigens daran liegen, dass die treibende Kraft hinter dem Projekt eher Tricia Cooke ist. Die identifiziert sich selbst als queer, sie und Coen führen eine offene Ehe und beide parallele Beziehungen, sie mit einer Frau.

Als Gaststars lassen sich Matt Damon, Miley Cyrus, Colman Domingo und Pedro Pascal blicken.

Ein Film, der von weiblicher Lust und persönlicher wie sexueller Freiheit erzählt, war schon lange ihr Traum – und die spürbare Freude, die sie und ihr Mann an dessen Umsetzung hatten, ist das Pfund, mit dem Drive-Away Dolls wuchern kann. Und auch, wenn das Ganze darüber hinaus kein wirklich großer Wurf, hier und da ein wenig platt und auch nicht immer brüllend komisch ist, ist es ohnehin sehr begrüßenswert, wenn auch im queeren Kino die Bandbreite an kleinen, schrägen Kuriositäten wächst.

Fans der Coens, die mit den Alleingängen der Brüder nicht so viel anfangen konnten, dürfen derweil übrigens aufatmen: Die Vorbereitungen für einen neuen gemeinsamen Film haben bereits begonnen.

Der Film läuft ab dem 7. März im Kino.

Antisemitismus

Kanye Wests Hitler-Song »WW3« ist Hit auf Spotify

Der Text ist voller Hitler-Verehrung, gleichzeitig behauptet der Musiker, er könne kein Antisemit sein, weil er schwarz sei

 15.05.2025

Berlin

»So monströs die Verbrechen der Nazis, so gigantisch dein Wille, zu leben«

Leeor Engländer verabschiedet sich in einer berührenden Trauerrede von Margot Friedländer. Wir dokumentieren sie im Wortlaut

von Leeor Engländer  15.05.2025

Kommentar

Journalistisch falsch, menschlich widerlich

»News WG«, ein Format des Bayerischen Rundfunks, hat eine Umfrage darüber gestartet, ob man Yuval Raphael, eine Überlebende der Massaker des 7. Oktobers, vom ESC ausschließen soll

von Johannes Boie  15.05.2025

Mirna Funk

»In Tel Aviv bin ich glücklich«

Seit einem Jahr lebt die Berliner Autorin in Israel. Nun hat sie einen Reiseführer geschrieben. Mit uns spricht sie über Lieblingsorte, Israel in den 90er-Jahren und Klischees

von Alicia Rust  15.05.2025

Yael Adler

»Mir geht es um Balance, nicht um Perfektion«

Die Medizinerin über die Bedeutung von Ballaststoffen, darmfreundliche Ernährung als Stimmungsaufheller – und die Frage, warum man trotzdem auch mal eine Bratwurst essen darf

von Ayala Goldmann  15.05.2025

Basel

Israel und Österreich im zweiten ESC-Halbfinale

Beim ESC werden die letzten zehn Finalplätze vergeben. 16 Länder treten an, darunter Yuval Raphael für Israel. Auch JJ aus Österreich und das Duo für Deutschland, Abor & Tynna, stehen auf der Bühne

 15.05.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Tassen, Leggings, Mähnen: Auf der Suche nach dem Einhorn

von Nicole Dreyfus  14.05.2025

Zahl der Woche

30 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 14.05.2025

Mythos

Forscher widerlegen Spekulation über Olympia-Attentat 1972

Neue Recherchen widersprechen einer landläufigen Annahme zum Münchner Olympia-Attentat: Demnach verfolgten die Terroristen die Geschehnisse nicht am Fernseher. Woher die falsche Erzählung stammen könnte

von Hannah Krewer  14.05.2025