Interview

»Zurück ins Paradies«

Wladimir Kaminer Foto: imago

Herr Kaminer, was hat der deutsche Schrebergarten mit dem Garten Eden zu tun?
Mehr als man meint! Der biblische Garten ist meiner Ansicht nach die Antriebsfeder all unseres Tuns.

Weshalb das?
Im Grunde genommen will der Mensch mit seinen ganzen Anstrengungen ein Stück vom verlorenen Paradies wiedererschaffen. Das gilt auch für die Schrebergärtner. Ich finde das rührend und tragisch zugleich, wie sich der sterbliche Mensch damit an die Ewigkeit heranzutasten versucht. Das ist natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Worin besteht dann dennoch der Reiz des Gärtnerns, dem Sie sich in Ihrem neuen Buch »Diesseits von Eden« widmen?
Das ist kein Widerspruch. Auch Scheitern kann sehr schön sein. Beim Gärtnern kommt es den meisten Menschen jedoch auf den einen Moment der Perfektion an. Der Laubenpieper ist ja der Sisyphos unserer Zeit. Um uns herum ist alles im Vergehen begriffen. Dagegen schneidet, düngt, gießt und pflanzt er an. Im Grunde ist Gärtnern also nicht spießig, sondern Revolution pur.

Trifft das auch auf Ihre Art zu gärtnern zu?
Nein, ich habe es gern chaotisch und unperfekt. Das war ja auch der Grund, weshalb ich unseren Garten in einer Berliner Kleingartenkolonie vor einigen Jahren zwangsweise abgeben musste. Ich hatte wiederholt gegen das Bundeskleingartengesetz verstoßen: »Probleme mit spontaner Vegetation«, so die Begründung der Schrebergartenführung. Meine Parzelle hat wohl nicht ganz der Vorstellung von einem anständigen deutschen Garten entsprochen. Jetzt tobe ich mich eben auf meinem großen Grundstück in Brandenburg aus.

Was gibt Ihnen das Leben in der Natur?
Ich habe dort draußen im Grünen meine Ruhe gefunden. Das Leben in der Großstadt ist schon hektisch und stressig genug. Man erkennt kaum mehr etwas, weil vieles so hochgetaktet ist. Termine, Mails, Anrufe, Gespräche und Freizeitstress: Alles rauscht wie ein Zug an einem vorbei. Die Gegenwart ist zu schnell, um sie zu erfassen. In der Natur dagegen spürt man die Zeit, weil nicht viel passiert. Das entschleunigt ungemein. Man sieht auch, dass alles mit allem zusammenhängt und funktioniert. Wenn es Gott tatsächlich gibt, ist er wirklich ein verdammt guter Baumeister.

In diesen Tagen geht Sukkot zu Ende. Die Laubhütte erinnert uns an Heimat, aber auch an die Brüchigkeit unserer Existenz. Haben Sie einen Bezug zu dem Fest?
Ich bin bekanntlich nicht allzu religiös. Aber natürlich kann ich als Jude mit der Geschichte von Sukkot etwas anfangen. Ich bin in der Sowjetunion aufgewachsen, heute gibt es dieses Land nicht mehr. Staaten, Sprachen, Bekanntschaften, Lieben und Leben: All das ist vergänglich, nur eine Momentaufnahme. Im Grunde ist das geschriebene Wort das einzig Bleibende. Was fortexistiert, sind unsere Geschichten. Sie müssen, wie der Auszug aus dem ägyptischen Exil, erzählt werden.

Mit dem Schriftsteller sprach Philipp Peyman Engel.

Restitution

»Das Ausmaß hat uns überrascht«

Daniel Dudde über geraubte Bücher, Provenienzforschung an Bibliotheken und gerechte Lösungen

von Tobias Kühn  15.07.2025

Haskala

Medizin für die jüdische Nation

Aufgeklärte jüdische Ärzte sorgten sich um »Krankheiten der Juden«. Das wirkte auch im Zionismus nach

von Christoph Schulte  15.07.2025

Literatur

Vom Fremden angezogen

Die Schriftstellerin Ursula Krechel, Autorin des Romans »Landgericht«, wird mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet

von Oliver Pietschmann  15.07.2025

Interview

»Eine Heldin wider Willen«

Maya Lasker-Wallfisch über den 100. Geburtstag ihrer Mutter Anita Lasker-Wallfisch, die als Cellistin das KZ Auschwitz überlebte, eine schwierige Beziehung und die Zukunft der Erinnerung

von Ayala Goldmann  15.07.2025

Musik

Zehntes Album von Bush: »Wie eine Dusche für die Seele«

Auf ihrem neuen Album gibt sich die britische Rockband gewohnt schwermütig, aber es klingt auch Zuversicht durch. Frontmann Gavin Rossdale hofft, dass seine Musik Menschen helfen kann

von Philip Dethlefs  15.07.2025

Medien

Die Deutsche Welle und Israel: Mitarbeiter werfen ihrem Sender journalistisches Versagen vor

Die Hintergründe

von Edgar S. Hasse  14.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte. Bis er eine entscheidende Rolle von den Coen-Brüdern bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  14.07.2025

Musik

Der die Wolken beschwört

Roy Amotz ist Flötist aus Israel. Sein neues Album verfolgt hohe Ziele

von Alicia Rust  14.07.2025

Imanuels Interpreten (11)

The Brecker Brothers: Virtuose Blechbläser und Jazz-Funk-Pioniere

Jazz-Funk und teure Arrangements waren und sind die Expertise der jüdischen Musiker Michael und Randy Brecker. Während Michael 2007 starb, ist Randy im Alter von fast 80 Jahren weiterhin aktiv

von Imanuel Marcus  14.07.2025