Literatur

Zur Verlumpung der Kunst

Überzog die Nazis mit Ironie und Polemik: der Schriftsteller Lion Feuchtwanger (1884–1958) Foto: picture alliance / akg-images

Literatur

Zur Verlumpung der Kunst

Ein Blick in die Feuilletons von Lion Feuchtwanger über die NS-Zeit

von Daniel Hoffmann  10.06.2023 22:53 Uhr

Von Lion Feuchtwanger sind jetzt im Aufbau-Verlag zum Teil bisher unveröffentlichte oder zuvor nicht ins Deutsche übersetzte Feuilletons, Vorträge und andere Wortmeldungen erschienen, in denen er sich in den Jahren von 1933 bis 1949 mit der NS-Diktatur auseinandergesetzt hat.

Neben dem literatur- und zeitgeschichtlichen Wert bietet diese Sammlung eine ausgezeichnete Gelegenheit, unsere Einstellung zu den neuen politischen Konstellationen sowie den politischen Ereignissen unserer Zeit mit der Position eines bedeutenden Schriftstellers zu den Herausforderungen seiner Zeit zu vergleichen.

selbstverständnis Unter dem Titel Bin ich deutscher oder jüdischer Schriftsteller? Betrachtungen eines Kosmopoliten enthält diese wertvolle Neuerscheinung aber auch grundsätzliche Erörterungen Feuchtwangers zu seinem Selbstverständnis als Schriftsteller und zu seinem Verhältnis zum Judentum. In diese grundlegende Thematik seines schriftstellerischen Lebens spielen von 1933 an verschärft Fragen nach der Rolle des Dichters im Exil und Fragen nach der Bedeutung der Muttersprache für die künstlerischen Ansprüche eines Dichters hinein.

Als Epilog ihres Buches haben die drei Herausgeberinnen Nele Holdack, Marje Schuetze-Coburn und Michaela Ullmann eine Zettelnotiz Feuchtwangers abgedruckt, die in ihrer Kürze aussagekräftig und schlagfertig ist, jedoch unter den gegebenen Umständen einer verfolgten Schriftstellerexistenz einen ganzen Schwall von Reflexionen und Emotionen zu wecken vermag, die in den anderen Texten ihre Entfaltung finden: »Ich bin ein deutscher Schriftsteller. Mein Herz schlägt jüdisch, Mein Denken gehört der Welt.«

»Ich bin ein deutscher Schriftsteller. Mein Herz schlägt jüdisch. Mein Denken gehört der Welt.«

Als deutscher Autor verurteilt Feuchtwanger nicht Deutschland für die drastisch veränderten Lebensbedingungen der deutschen Juden zu Beginn des Jahres 1933. »Es ist nicht Deutschland, (…) das seine Juden plötzlich mit so mittelalterlichem Hasse verfolgt«, erklärt er in einer Rede in London.

SARKASMUS Er sieht die Verantwortung dafür bei den Nationalsozialisten, die er sowohl in sachlichem Ton, aber auch mit bitter-sarkastischem Witz immer wieder anklagt. Dass er wiederholt seine persönlichen Erfahrungen mit den irrationalen Handlungen der Nationalsozialisten in seine Texte aufnimmt, verleiht ihnen eine emotionale Tiefe, die zu erschüttern vermag.

Jedoch prägt gerade diese Texte auch eine ironische Note. Sie besitzen einen die Nationalsozialisten in ihrem brutalen Gebaren verlachenden Charakter, wie ihn auch die Komödie traditionellerweise auszeichnet. In seinem Text »Deutschland – ein Wintermärchen« von 1936 meint Feuchtwanger, dass die »Herrschaft der Nationalsozialisten ihren literarischen Ausdruck« in der Art des antiken griechischen Komödienautors Aristophanes fände.

Feuchtwangers »Offener Brief an den Bewohner meines Hauses Mahlerstraße 8 in Berlin« aus demselben Jahr ist voller Ironie, die das Dritte Reich weder verharmlosen will noch es auf die leichte Schulter nimmt. Der Autor zeigt aber, dass die mit den Maßnahmen gegen die Juden immer auch einhergehende Verhöhnung letztlich eine alles Wirklichkeitsgefühl verzerrende Lächerlichkeit der Nationalsozialisten offenbart.

Das wird auch an Feuchtwangers »Offenem Brief an sieben Berliner Schauspieler« von 1941 deutlich, in dem er die prominenten Mitwirkenden an Veit Harlans Film Jud Süß zur Rede stellt. Er hält ihnen den Bankrott ihres Künstlertums entgegen. »Sonderbarerweise verlumpt mit der Seele auch die Kunst.« Er spricht Schauspieler wie Werner Krauß und Eugen Klöpfer, die ihm aus früherer Zusammenarbeit am Theater persönlich bekannt sind, direkt an, ob sie nicht fänden, »dass es, auf lange Sicht, doch ein bisschen töricht war, dass Sie in diesem ›Jud Süß‹ mitgespielt haben«. Dieser und viele andere Sätze können auch heute noch zum Nachdenken anregen.

KENNZEICHNUNG In Caliban – Hitler und die Juden, der 1943 im fernen Mexiko in einem Exilverlag veröffentlicht wurde, zählt Feuchtwanger die behördlichen Vorschriften auf, die die Nationalsozialisten sich zur Kennzeichnung der Juden ausgedacht hatten. Er bezeichnet unter anderem den Judenstern und die Vornamenszusätze als »Ausgeburt absurder, sich selbst überschlagenden Bosheit«.

Im nachfolgenden Satz nennt er diese Vorschriften jedoch »Schnörkel« und gewichtet ihre Bedeutung damit gegenüber den realen Grausamkeiten und Brutalitäten, die in mörderischer Absicht gegen Juden unternommen wurden. In unserer heutigen Zeit, in der diese Vorschriften immer häufiger in unsinniger Weise zu symbolischen Versatzstücken politischer Polemik missbraucht werden, können Perspektiven auf die Zeitereignisse, wie sie Feuchtwangers Texte bieten, zu einer zumindest anregenden, vielleicht auch heilsamen Lektüre werden.

Lion Feuchtwanger: »Bin ich deutscher oder jüdischer Schriftsteller? Betrachtungen eines Kosmopoliten«. Aufbau, Berlin 2023, 232 S., 26 €

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