Wuligers Woche

Zionist wider Willen

Bei der »Hatikva« läuft unserem Kolumnisten kein Schauer über den Rücken – ein starker jüdischer Staat ist für ihn dessen ungeachtet trotzdem unabdingbar. Foto: dpa

Wuligers Woche

Zionist wider Willen

Ich träume immer noch von der Assimilation. Dann weckt mich die Wirklichkeit

von Michael Wuliger  21.08.2017 19:40 Uhr

Vielleicht ist es gut, dass ich nicht zionistisch sozialisiert wurde. Ich kenne zu viele Leute, die, als ihre jugendlichen nationaljüdischen Ideale auf die israelische Realität stießen, die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit emotional nicht verkraften konnten und sich von begeisterten Olim zu (v)erbitterten Kritikern des jüdischen Staates wandelten.

Bei mir war es umgekehrt. Ich bin im Glauben an die Assimilation aufgewachsen. Juden sollten gleichberechtigt als Bürger ihrer jeweiligen Länder leben. Zionismus war ein Rückfall in Stammesdenken, eine freiwillige Ghettoisierung. So etwas war möglicherweise eine Option für kulturell zurückgebliebene osteuropäische oder arabischstämmige Juden, nicht aber für aufgeklärte Westler wie uns. Der Antisemitismus war in unseren Ländern überwunden, so wie er es bald weltweit sein würde. Die Menschheit hatte aus der Schoa und Auschwitz gelernt.

Dreyfus-Affäre Den Traum von der Assimiliation träume ich manchmal immer noch. Nur wache ich regelmäßig daraus auf, wenn die schöne Illusion mit der praktischen Erfahrung kollidiert. Für Herzl war es die Dreyfus-Affäre, die ihm auf einen Schlag die Hoffnung raubte, die »Judenfrage« habe sich erledigt. Ich habe dafür länger gebraucht. Geholfen hat mir dabei die politische Linke, der ich mich lange – zu lange – zugehörig fühlte.

Dort konnte ich noch so israelkritisch auftreten; als Jude stand ich dennoch stets unter Zionismusverdacht. Unangenehm stieß mir auch der eifernde Ton auf, der stets angeschlagen wurde, wenn es um Israel ging. Langsam, sehr langsam, wuchs in mir der Verdacht, dass der linke Antizionismus mit der Überwindung nationaler Schranken weniger zu tun hatte als mit ererbten Ressentiments.

Der Verdacht hat sich inzwischen zur Gewissheit verdichtet. Der Antizionismus, ob von links oder von rechts (Unterschiede lassen sich da eh kaum feststellen), operiert immer häufiger mit Versatzstücken aus dem Arsenal des klassischen Antisemitismus. Ich weiß heute, dass bei »Israelkritik« nicht der Staat gemeint ist, sondern das jüdische Volk. Zu dem gehöre ich nun einmal. Wenn ich angegriffen werde, weiche ich der Auseinandersetzung nicht mehr aus. Den antizionistischen Hofjuden mögen andere geben; ich tue mir den Selbstekel nicht an.

Hatikva Falls das etwas resigniert klingt, dann deshalb, weil es das ist. Ich bin Zionist wider Willen. Bei der »Hatikva« läuft mir kein Schauer über den Rücken; ich kann nicht mal den Text richtig. An Eretz Israel als g’ttliches Vermächtnis glaube ich nicht wirklich. An eine postzionistische Zukunft in Nahost allerdings auch nicht. Die Alternative zum jüdischen Nationalstaat wäre nicht ein harmonisches Zusammenleben zweier Völker, sondern ein Massaker.

Und wenn ich gelegentlich Selbstzweifel bekomme, gehe ich kurz auf zionismuskritische jüdische Webseiten. Dann springt mir meine eigene jugendliche Dummheit entgegen. Zum Glück wächst sich das in den meisten Fällen mit den Jahren aus.

Ausgrenzung und Aggressionen

Weimer sieht perfiden Antisemitismus in der Kunstszene

Der Kulturstaatsminister hat sich schon zu seinem Amtsbeginn die Bekämpfung von Judenfeindlichkeit vorgenommen. Nun veröffentlichte er gemeinsam mit Israels Botschafter einen Appell

 24.08.2025

Antisemitismus

Javier Bardem vergleicht Israels Armee mit den Nazis

Auch zieht der spanische Schauspieler einen Vergleich zwischen den IDF und dem KZ-Kommandanten Amon Göth. Es ist nicht das erste Mal

 22.08.2025

Raubkunst

Drei Millionen Franken für Bührle-Stiftung

Die Stadt Zürich beantragt Kredit für vertiefte Provenienzforschung der Sammlung Bührle

 22.08.2025

Camille Pissarro

Leidenschaft. Freiheit. Kunst

Das Potsdamer Museum Barberini zeigt mehr als 100 Gemälde des jüdischen Impressionisten

von Maria Ossowski  21.08.2025

Roman

Unter den Dächern von Paris

Fast 100 Jahre nach ihrem Entstehen erscheint Sebastian Haffners berührende Liebesgeschichte

von Alexander Kluy  21.08.2025

TV-Tipp

»Wonder Woman«: Von der Welt der griechischen Sagen in den Ersten Weltkrieg

Das Entree der Comic-Heroine Wonder Woman in die Welt des modernen Blockbuster-Kinos ist nach wie vor eine der besten unter den (Neu-)Verfilmungen von DC-Comics

von Jan Lehr  21.08.2025

Streaming

»Chabos« fährt mit Vollgas in die Nullerjahre

Die Serie führt Zuschauer mitten in eine verhängnisvolle Nacht mit einem illegalen Film-Download. Arkadij Khaet führte Co-Regie

von Simone Andrea Mayer  21.08.2025

Kulturkolumne

Verhandeln auf Tinder

Dating in Zeiten der Wassermelone

von Laura Cazés  21.08.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  21.08.2025