Berlin

Zentralrat der Juden: Bei documenta nicht berücksichtigt

Zentralratspräsident Josef Schuster Foto: Marco Limberg

Berlin

Zentralrat der Juden: Bei documenta nicht berücksichtigt

Präsident Josef Schuster schickte laut dpa einen Brandbrief an Kulturstaatsministerin Claudia Roth

 29.04.2022 10:53 Uhr

In einem Brandbrief an Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, den Umgang der documenta mit dem Thema Antisemitismus kritisiert. »Gegen Antisemitismus helfen nur klare Bekenntnisse und noch viel mehr, entschlossenes politisches Handeln auf jeder Ebene von Politik, Kunst, Kultur und Gesellschaft«, heißt es in dem Schreiben an die Grünen-Politikerin, das der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt. »Von dieser Verantwortung darf sich niemand – auch nicht im Namen der Kunstfreiheit – freisprechen.«

KURATOREN Hintergrund sind Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta fifteen in Kassel von Anfang des Jahres. Ein Bündnis hatte dem Kuratorenkollektiv Ruangrupa vorgeworfen, bei der Ausstellung seien auch Organisationen eingebunden, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien. Ruangrupa und die documenta-Gesellschaft wiesen die Anschuldigungen zurück. Auch der documenta-Aufsichtsrat und Roth stellten sich hinter die Macher der neben der Biennale in Venedig wichtigsten Präsentation für Gegenwartskunst.

Als Folge wurde ein Experten-Forum angekündigt, bei dem über »das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie« debattiert werden sollte. Die dreiteilige digitale Veranstaltungsreihe mit dem Titel »We need to talk! Art – Freedom – Solidarity« findet vom 8. Mai an statt. Die documenta wolle damit »die Rahmenbedingungen für eine multiperspektivische Debatte jenseits einseitiger Antagonismen schaffen«, sagte Generaldirektorin Sabine Schormann dazu bei der Ankündigung. In diesem Rahmen sollten »Widersprüche ausgehalten und produktiv diskutiert werden können«.

FOREN Zentralratspräsident Schuster kritisiert unter anderem die Besetzung der Foren. »Die Ausrichtung der Podien hat für mich eine eindeutige Schlagseite zuungunsten des Antisemitismus«, heißt es in dem Brief an Roth. Die Intention sollte eine Befassung mit dem Antisemitismus im Allgemeinen sowie mit israelbezogenem Antisemitismus sein. »In diesem Kontext hat mich auch verwundert, dass die Thematik des antipalästinensischen Rassismus Eingang in das Programm gefunden hat«, schreibt Schuster. Er könne hier keinen Zusammenhang erkennen.

Der Zentralrat sieht sich nicht ausreichend berücksichtigt. »Mehrfach haben wir darum gebeten, hier als Dachverband der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland mit unserer Expertise eingebunden zu werden.« Trotz mehrfacher Nachfrage bei der documenta-Leitung sei dies nicht geschehen. Die Kritik richtet sich auch an Roth. »Auch aus Ihrem Haus wurden wir bedauerlicherweise nicht über den weiteren Fortgang informiert«, heißt es.

»All diese Einwände hätten wir vorbringen können, wäre den Verantwortlichen an einem echten Austausch gelegen gewesen und an einer Einbindung der Perspektive der jüdischen Gemeinschaft«, begründet Schuster seine Kritik. »Dies war jedoch nicht der Fall, deswegen ich mich heute mit diesen deutlichen Worten an Sie wende.«

Zudem betonte er, »dass es für Jüdinnen und Juden in Deutschland keine »offene« Debatte zum Antisemitismus geben kann«. Es gelte auch nicht, wie im Programm zu den Foren angekündigt, Widersprüche auszuhalten.

GESPRÄCHE Nach Angaben eines Sprechers von Roth weiß sich die Kulturstaatsministerin »mit dem Zentralrat der Juden und allen Jüdinnen und Juden einig im Kampf gegen den Antisemitismus«. Deswegen seien die Vorwürfe gegen die documenta auch von Anfang an ernst genommen und sowohl mit den Verantwortlichen der documenta als auch dem Zentralrat der Juden das Gespräch gesucht worden. Roth sei weiter »im Gespräch und engen Kontakt mit Herrn Schuster persönlich sowie dem Zentralrat der Juden und der documenta«.

»Diese Kunstfreiheit zu schützen, ist Aufgabe aller staatlichen Stellen«, hieß es weiter in der Stellungnahme für die dpa. »Dazu zählt auch Positionen auszuhalten, mit denen man persönlich nicht einverstanden ist.« Hierüber werde man sich ein Bild zu machen haben, wenn das Programm der documenta bekannt sei. »Umso notwendiger ist das direkte Gespräch und der Dialog zwischen Zentralrat und documenta, aber auch die internationale Diskussion, die die documenta nun führen wird.«

Aus Sicht der documenta gibt es keinen Platz für Antisemitismus. Die Veranstaltungsreihe sei »eine kritische und multiperspektivische Gesprächsreihe, die aus einer eingehenden Beschäftigung und auch aus großer Sorge über zunehmenden Antisemitismus und Rassismus in unserer Gesellschaft heraus konzipiert ist«, hieß es in einer Stellungnahme für die dpa. Thematisiert würden auch »die wiederkehrende Problematik für international agierende Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen im Umgang mit international strittigen Definitionen zu Antisemitismus« und »die Ursprünge der pauschalisierenden und teils rassistischen Angriffe auf das künstlerische Team der documenta fifteen«.

Die Einladung der Gäste erfolge »nicht aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer offiziellen Institution, sondern ausschließlich auf Grundlage ihrer wissenschaftlichen Expertise«. Das Herausarbeiten von Unterschieden und Überschneidungen zwischen Antisemitismus und Rassismus sei ein Thema der Veranstaltungsreihe. »So wird auch der Frage nachgegangen, ob postkoloniale Theorie die Spezifizität des Antisemitismus verkennt«, hieß es. dpa

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025

Bremen

Seyla Benhabib erhält den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken

Die Jury würdigte Benhabib als »herausragende politische und philosophische Intellektuelle«

 15.09.2025

Eurovision

Israel hält nach Boykottaufrufen an ESC-Teilnahme fest

Israel will trotz Boykott-Drohungen mehrerer Länder am Eurovision Song Contest 2026 teilnehmen. Wie andere Länder und Veranstalter reagieren

 15.09.2025

Antisemitismusskandal

Bundespräsident trifft ausgeladenen Dirigenten Shani

Nach dem Eklat um eine Ausladung der Münchner Philharmoniker in Belgien hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den künftigen israelischen Chefdirigenten Lahav Shani ins Schloss Bellevue eingeladen

von Anne Mertens  15.09.2025

Literatur

Ein Funke Hoffnung

Rafael Seligmann hält Deutschland derzeit nicht für den richtigen Ort einer Renaissance jüdischen Lebens. Trotzdem gibt er die Vision nicht auf. Ein Auszug aus dem neuen Buch unseres Autors

von Rafael Seligmann  15.09.2025

Los Angeles

»The Studio« räumt bei den Emmys 13-fach ab

Überraschende Sieger und politische Statements: Ausgerechnet eine jüdische Darstellerin ruft eine israelfeindliche Parole

von Christian Fahrenbach  15.09.2025

Freiburg im Breisgau

»Keine Schonzeit für Juden«: Neues Buch von Rafael Seligmann

Antisemitismus, der 7. Oktober 2023, ein Umzug von Tel Aviv nach München in den 1950er Jahren und ein bewegtes Leben: Der Historiker streift und vertieft in seinem aktuellen Werk viele Themen

von Leticia Witte  15.09.2025

Kino

Für Hermann Göring lernte Russell Crowe Deutsch

Crowe spielt den Nazi-Verbrecher in »Nuremberg«, einem packenden Thriller über die Nürnberger Prozesse

von Manuela Imre  14.09.2025 Aktualisiert

Nach Antisemitismus-Eklat

Lahav Shani wird im Ruhrgebiet begeistert empfangen

Den Auftritt in Essen besuchte auch Belgiens Premier Bart De Wever

 14.09.2025 Aktualisiert