Würdigung

Zeichen des Wachseins

Saul Friedländers Tochter Michal (r.) nahm die Ehrung stellvertretend für ihren Vater entgegen. Foto: Frank Rumpenhorst

Er konnte nicht kommen. Und war doch präsent. Saul Friedländer sprach am Sonntag aus Los Angeles per Video-Interview zu dem handverlesenen Publikum im Frankfurter Schauspiel, um sich für den erstmals vergebenen und mit 10.000 Euro dotierten »Ludwig-Landmann-Preis für Mut und Haltung« zu bedanken. Friedländers Tochter Michal, die in Berlin lebt, nahm für ihren 88 Jahre alten Vater die Urkunde entgegen und grüßte ihn mit einem »Überraschungsständchen« am Flügel.

Ihr überreichte Andreas von Schoeler, Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Jüdischen Museums Frankfurt, eine Miniaturnachbildung der Skulptur »Untitled«, die vor dem Neubau des Museums steht: Zwei Bäume – einer verwurzelt, einer entwurzelt – krallen ihre Kronen unauflöslich ineinander.

perspektiven In seiner Begrüßungsansprache hob von Schoeler die drei Perspektiven in Friedländers Werk hervor: »Täter, Opfer, Bystanders.« Mit dem Preis, der Friedländer für sein Lebenswerk als Historiker und Zeitzeuge auszeichnet, wolle das Jüdische Museum »die Kräfte in unserer Gesellschaft stärken, die gegen Judenhass stehen«.

»Unser Land, Deutschland, steht tief in Ihrer Schuld«, sprach Ex-Außenminister Joschka Fischer in seiner Laudatio den Preisträger, dessen Eltern als Flüchtlinge an der Schweizer Grenze zurückgewiesen und in Auschwitz ermordet worden waren, direkt an. »Als der Krieg kam, wartete ich auf meine Eltern, aber sie kamen nicht zurück«, zitierte Fischer aus Friedländers Hauptwerk Das Dritte Reich und die Juden.

Saul Friedländer nannte Deutschland in seiner Dankesrede noch immer »ein Bollwerk gegen den Antisemitismus«. Das Aufkommen von Antisemitismus und Verschwörungstheorien in Amerika empfinde er allerdings als »bedrückend«. Die Demokratie müsse auch verteidigt, nicht nur erklärt werden. Insgesamt gab sich der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels eher skeptisch: »Wenn eine rechte politische Lage in Deutschland kommt, wird die Scham-Politik wegfallen.«

persönlichkeiten Der Landmann-Preis wurde anlässlich der Wiedereröffnung des Jüdischen Museums gestiftet und soll künftig alle zwei Jahre an Persönlichkeiten vergeben werden, die sich für die Vermittlung jüdischer Geschichte und Kultur sowie gegen Antisemitismus einsetzen. Die Würdigung erinnert an den letzten demokratisch gewählten Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann (1924–1933), der 1933 seines Amtes enthoben und entrechtet wurde, weil er Jude war.

»Die Stadt ist ihm zu Dank verpflichtet«, sagte sein Nachfolger, der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann. Landmann habe ein »Zeichen des Wachseins« gesetzt, das bis heute gesehen wird – und aufgrund der politischen Situation leider auch unbedingt gesehen werden muss.

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  14.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025