Holocaust-Mahnmal

Zehn Jahre Stelenfeld

2710 Beton-Stelen erinnern an die ermordeten europäischen Juden. Foto: Flash 90

Dicht gedrängt stehen die Betonquader, reihen sich zu Hunderten aneinander, teils meterhoch. Nach jeder der Stelen verlangsamt sich unwillkürlich der Schritt: Nie ist klar, was dahinter lauert, womit man zusammenstoßen könnte. Immer höher wachsen sie in den Himmel, zugleich fällt der Boden ab, der Schritt wird schwankend. Erst trappelnde Schritte und gellendes Kindergeschrei reißen den Besucher aus den Gedanken, aus dem Gedenken.

»Über das Verhalten der Besucher im Stelenfeld könnte man lange diskutieren«, sagt Uwe Neumärker. Er ist Direktor der Stiftung, die das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und seine 2710 Stelen auf rund 19.000 Quadratmetern Fläche nahe dem Brandenburger Tor betreut. Mit Blick auf all die Unkenrufe vor dem Bau und der Eröffnung zieht er heute jedoch eine »durchweg positive« Bilanz.

Schmierereien Tatsächlich hatten sich die Debatten über Jahre hingezogen. Von drohenden Nazi-Aufmärschen am Mahnmal war die Rede gewesen, von antisemitischen Schmierereien. Die gab es auch, aber rechtsextrem motivierte Angriffe auf das Denkmal blieben Einzelfälle. Andere kritisierten eine drohende »Hierarchisierung der Opfergruppen« und meinten, das Mahnmal bevorzuge die jüdischen Opfer des NS-Terrors. Heute haben längst auch Sinti, Roma und Homosexuelle ihre eigenen Gedenkorte in Berlin.

Eine Hängepartie war auch die politische Debatte um das Mahnmal. Erst über ein Jahrzehnt nach der ersten Idee 1988 entschied sich der Bundestag für das Stelenfeld - nicht ohne zu fordern, den Entwurf des New Yorker Architekten Peter Eisenman zu ändern und um einen unterirdischen »Ort der Information« zu ergänzen. Bis der Bau begann, vergingen noch einmal fast vier Jahre. Die Eröffnung folgte am 10. Mai 2005.

Begegnung Heute erstaune ihn besonders, mit welcher Selbstverständlichkeit die Bevölkerung das Denkmal annehme, sagt Neumärker. »Das Stelenfeld ist ein fester Programmpunkt eines jeden Berlin-Besuchers«, sagt er. Es sei ein Anziehungspunkt, ein Ort der Begegnung, die Ausstellung im Untergrund eine der meistbesuchten der Stadt. »Was will man mehr?«, fragt der Stiftungsdirektor.

Die Fakten bestätigen das. Jedes Jahr kommen fast 500.000 Menschen in den »Ort der Information«. In mehreren Themenräumen sind dort Details zu Völkermord und Einzelschicksalen aufbereitet. Insgesamt kämen noch weit mehr Besucher, sagt Neumärker, nur würden sie im jederzeit frei zugänglichen Stelenfeld gar nicht gezählt.

»Wir haben nicht damit gerechnet, dass das Denkmal so gut angenommen wird«, sagt auch Mitinitiatorin Lea Rosh. Die heute 78-jährige Publizistin hatte den Stein 1988 ins Rollen gebracht, als sie einen Vorschlag des Historikers Eberhard Jäckel für ein zentrales Holocaust-Mahnmal in die Öffentlichkeit trug. Heute habe sich alle Kritik erübrigt, ihre Bilanz sei deshalb »mehr als positiv«. »Das Denkmal ist eines der wichtigsten Touristenziele Berlins«, sagt Rosh.

Charakter Bei den Touristen selbst ist das Echo geteilt. »Das Denkmal spricht nicht zu mir«, sagt ein Besucher aus der Schweiz. Die Infos im Untergrund seien aber super. Eine Französin lobt den offenen Charakter des Denkmals, der die Möglichkeit biete, »dass hier jeder finden kann, was er möchte«. Ein Spanier findet das Stelenfeld »nicht so schön« und wundert sich über die Deutschen, die so viel Geld ausgeben, um einer so traurigen Sache zu gedenken. Zudem erinnere ihn das Denkmal an einen Friedhof. Alle Befragten jedoch sind beeindruckt von Wucht und Dimension der Quader.

Dass Verwirrung und Kontroverse durchaus gewollt sind, zeigt ein Statement von Architekt Eisenman zu seinem Entwurf. Darin heißt es, das Denkmal solle verdeutlichen, »dass ein vorgeblich rationales und geordnetes System den Bezug zur menschlichen Vernunft verliert, wenn es zu groß wird und über seine ursprünglich intendierten Proportionen hinauswächst«.

Derzeit geben zudem Baumängel Anlass zum Ärger: 44 Stelen sind von langen Rissen durchzogen und wurden vorsichtshalber mit Stahlbändern ummantelt. Über die Ursache der Risse streiten Stiftung und Baufirma derzeit noch vor Gericht. Einen Zeitplan für die Sanierung gibt es noch nicht. Zehn Stelen sollen demnächst aber probeweise saniert werden, gab Neumärker jetzt kurz vor dem zehnten Jahrestag bekannt.

www.stiftung-denkmal.de

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  11.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025