»Schalom Aleikum«

Zahlen und Zukunftssignale

Was denkt die deutsche Mehrheitsgesellschaft über das Verhältnis von Juden und Muslimen und die religiöse Vielfalt im Land? Diese Frage steht im Zentrum des fünften Bandes von »Schalom Aleikum«, der jüdisch-muslimischen Dialogreihe des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Das Buch mit dem Titel Schalom Aleikum Report. Was Deutschland über den jüdisch-muslimischen Dialog denkt erscheint im Verlag Hentrich & Hentrich und wird auf der »Schalom Aleikum«-Jahresveranstaltung am 16. November im Deutschen Historischen Museum in Berlin offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt.

Anders als in den vorangegangenen vier Bänden zur Dialogreihe, in denen jeweils Menschen zu Wort kommen, die als Teil der jüdischen und muslimischen Community aus der Innenperspektive über ihre Lebenswelten und Erfahrungen mit interreligiösem Dialog erzählen, erweitert der neue Band den Blick nun auf die Außenwahrnehmungen in der Mehrheitsgesellschaft.

Zahlreiche Schaubilder und Diagramme visualisieren die Umfrageergebnisse.

Dafür hat das Dialogprojekt während seiner zweieinhalbjährigen Laufzeit von 2019 bis 2021 Stimmen aus der deutschen Gesellschaft zu dem vielfältigen Beziehungsgeflecht zwischen Juden, Muslimen und christlich-säkular geprägter Mehrheitsgesellschaft zusammengetragen und sozialwissenschaftlich ausgewertet.

Grundlage für die erhobenen Daten und Zahlen bilden die jedes Jahr von dem Projektteam in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa durchgeführten bundesweiten Online-Befragungen.

Die zentralen Ergebnisse dieser teils repräsentativen und teils nicht-repräsentativen Umfragen finden sich nun im Schalom Aleikum Report. Sie werden durch zahlreiche Schaubilder und Diagramme visualisiert und in ausführlichen Textbeiträgen erläutert.

ERGEBNISSE Insgesamt 3914 Personen wurden in dem Projektzeitraum befragt. Sie wurden für die Auswertung in zwei Gruppen unterteilt: in die am jüdisch-muslimischen Dialog Interessierten, die sich am Projekt »Schalom Aleikum« beteiligt haben und bei denen ein überproportional hoher Anteil an jüdischen und muslimischen Befragten besteht – sowie die repräsentativ in Meinungsumfragen Befragten aus der deutschen Gesamtbevölkerung.

Ein ermutigendes Resultat aus den Umfragen ist, dass viele der Befragten Juden und Muslimen positiv gegenüberstehen und in Bildungs- und Dialoginitiativen zentrale Bausteine sehen, um die Situation der beiden Minderheitengruppen in der Gesellschaft insgesamt zu verbessern. Andere der herausgefilterten Befragungsergebnisse sind hingegen weniger erfreulich. So stimmt in der deutschen Gesamtbevölkerung ein Viertel bis ein Drittel offen oder implizit antisemitischen Aussagen zu.

Dabei wenig überraschend: Besonders unter Menschen, die sich als Anhänger der rechtspopulistischen Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) identifizieren, sind Ressentiments gegenüber Juden und Muslimen stark verbreitet. Zum Beispiel stimmen der Aussage »Juden können nichtjüdische Personen mit dem Vorwurf des Antisemitismus mundtot machen« allgemein 39 Prozent aller Befragten zu, unter AfD-Anhängern sind es 73 Prozent.

ERFAHRUNGEN Eine Mehrheit von 65 Prozent der für den Schalom Aleikum Report Befragten gibt weiter an, antisemitische Vorkommnisse mitzubekommen, und jeder Zweite sieht einen Anstieg von Antisemitismus. Zugleich sind die Diskriminierungserfahrungen bei Juden sowie Muslimen mitunter erheblich größer als in der deutschen Durchschnittsbevölkerung, wie die Umfragen belegen.

Einen wesentlichen Teil antisemitischer Vorfälle schreiben die Befragten jugendlichen, männlichen Einzeltätern aus der muslimischen Community zu. Als Hauptgrund für Antisemitismus unter Muslimen wird der Nahostkonflikt angegeben, der gleichzeitig von vielen als eines der wesentlichen Hindernisse für den interreligiösen Dialog zwischen Juden und Muslimen gewertet wird.

Zentralratspräsident Josef Schuster hofft, dass der neue Band auf Grundlage der Ergebnisse dazu beiträgt, ein realitätsgetreues Bild von der deutschen Gesellschaft im Hier und Jetzt zu erhalten – »in all seinen positiven wie auch negativen Facetten«, wie er in seinem Vorwort schreibt. Die Umfrageergebnisse lieferten in ihrer Ganzheit »Zahlen und Statistiken, die uns nachdenklich stimmen – manche optimistisch, manche ambivalent, einige pessimistisch«.

Diesen wissenschaftlich erfassten Meinungsbildern zum jüdisch-muslimischen Dialog könne und müsse man sich nun stellen. »Meine Hoffnung ist auch, dass in Zukunft die Menschen offen, respektvoll und voller Neugierde miteinander umgehen und aufeinander zugehen«, so Schuster.

Die Bedeutung von Begegnungsräumen wird im letzten Kapitel unterstrichen.

Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU), Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und Förderin von »Schalom Aleikum«, findet, dass der neue Projektband mehr Transparenz über die Einstellungen gegenüber jüdischen und muslimischen Bürgern in Deutschland liefert.

»Der Schalom Aleikum Report zeichnet ein aufschlussreiches Stimmungsbild«, schreibt Widmann-Mauz in ihrem Grußwort zum Buch. »Er zeigt dabei einmal mehr: Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit reichen leider noch immer tief in unsere Gesellschaft hinein.« Befunde wie diese verdeutlichten, wie zentral der gemeinsame Dialog über Religionsgrenzen hinweg und der Einsatz für eine Gesellschaft ohne Diskriminierung seien.

EMPFEHLUNGEN Die Bedeutung von Begegnungsräumen für Juden, Muslime und die Gesamtgesellschaft wird auch in den Handlungsempfehlungen unterstrichen, die aus den Umfrageergebnissen resultieren.

»Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Antisemitismus auf Social-Media-Plattformen stärken«, »Die Themenbereiche Judentum und Islam stärker in die Lehrpläne aufnehmen sowie zeitlich bis in die Gegenwart behandeln«, »Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem auf der politischen Ebene betonen und systematisch bekämpfen«: So lauten einige der Empfehlungen.

Nicht nur in diesem abschließenden Kapitel liefert der Schalom Aleikum Report wertvolle Zukunftssignale für den jüdisch-muslimischen Dialog – und den Kampf gegen Antisemitismus.

Zentralrat der Juden in Deutschland (Hrsg.): »Schalom Aleikum Report. Was Deutschland über den jüdisch-muslimischen Dialog denkt«. Hentrich & Hentrich, Berlin/Leipzig 2021, 96 S., 12,90 €

Bonn

Beethoven-Haus zeigt Ausstellung zu Leonard Bernstein

Die lebenslange Beschäftigung des Ausnahmetalents mit Beethoven wird dokumentiert

 25.04.2024

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024