Porträts

Wo Scholem sich mit Buber traf

Rehavia in den 30er-Jahren Foto: Ullstein

Porträts

Wo Scholem sich mit Buber traf

Thomas Sparr unternimmt in seinem neuen Buch eine Zeitreise durch das deutsch-jüdische Jerusalem

von Alexander Kluy  02.01.2018 12:33 Uhr

Abarbanel Street 28, Rehavia, Jerusalem. 45 Jahre lang war diese Adresse ein Nabel der intellektuellen jüdischen Welt. Denn hier lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1982 Gershom Scholem. 1936 ließ er als Beruf ins lokale Telefonverzeichnis »Kabbalist« eintragen. Heute bietet das vernachlässigte Gebäude einen etwas traurigen Anblick. Auch die anderen Straßen der Nachbarschaft sind nach Gelehrten und Poeten benannt: Alfasi, Bartenura, Ramban.

In Rehavia imaginiert Thomas Sparr – 1956 geboren, über Paul Celan promoviert, von 1986 bis 1989 in Jerusalem lebend, bevor er Lektor im Jüdischen Verlag wurde, später Cheflektor des Suhrkamp-Verlags, dessen Editor-at-Large er heute ist – Anfang der 60er-Jahre im Café Atara in der Ben-Jehuda-Straße ein Treffen von Gershom Scholem und Martin Buber, Anna Maria Jokl, Hannah Arendt und Mascha Kaléko, zu guter Letzt gesellt sich noch Werner Kraft hinzu. An einem anderen Tisch setzt sich in dieser Fantasie Lea Goldberg zu Yehuda Amichai. Gad Granach bestellt einen Kaffee. Und abseits sitzt ein Student namens Amos Oz. In der großen Runde wird viel geredet. Das Wichtigste: Es wird Deutsch gesprochen.

Rehavia Denn Rehavia war besonders. Weil, so Thomas Sparr, der nun ein Porträt dieses Stadtviertels, 1920 von dem Architekten Richard Kauffmann als Gartenstadt konzipiert, vorlegt, es »das ›deutsche‹, das deutsch-jüdische Jerusalem« war. Und dazu die »Hauptstadt der Jeckes, die auf ganz unterschiedlichen Wegen ins Land gekommen waren, geflohen, übersiedelt, besuchsweise, zeitweise von der britischen Mandatsmacht interniert, aus zionistischer Selbstbehauptung oder dem Antisemitismus, der nationalsozialistischen Verfolgung entronnen, sie traumatisiert hinter sich lassend, was so viel heißt: sie mit sich zu tragen«.

Ein langer Mittelteil, »Lebensläufe durch einen Stadtteil«, will dann ebendies präsentieren, Lebensläufe nämlich. Es sind aber Kurz- und Kürzestporträts, von Scholem und von dem Poeten und Bibliothekar Werner Kraft, der bis zu seinem Tod 1991 nie Hebräisch lernte, von Else Lasker-Schüler und den Autoren Anna Maria Jokl, Ludwig Strauß und Tuvia Rübner, der Lyrikerinnen Lea Goldberg und Mascha Kaléko, des Germanisten Peter Szondi und der Paul-Celan-Geliebten Ilana Shmueli.

Dieser Part mutet zu stichpunktartig an, die einzelnen Texte sind zu sehr Nacherzählung. Zu einem überzeugenden tiefendimensionalen Gesamtpanorama will sich die Parallelreihung nicht recht zusammenfügen. Nahezu alles bleibt, auch wenn Pensionsnamen fallen oder sich Zufallsbegegnungen an Bushaltestellen ergeben, Wohnungen oder Lebensgewohnheiten beschrieben werden, blass und »geistige Lebensform«.

Reportagen Farbiges ins Spiel brachten zuvor die überlangen Zitate aus den Reportagen Gabriele Tergits oder den Erinnerungen Lotte Cohns, der Mitarbeiterin des Architekten Kauffmann. Ein dramaturgisch gut geknüpftes Koordinatennetz findet sich kaum. Da ist beispielsweise Adina Hoffmans Till We Have Jerusalem. Architects of a New City von 2016 weitaus plastischer.

Dass der Verlag 22 Abbildungen aufnahm, mag nach viel klingen. Ist es aber nicht. Vielmehr hätte man sich, was das Frontispiz verheißt mit Straßengabelung, Autos, Fußgängern und Werbeschriftzug des Cinema Rex, auch hier visuell mehr Atmosphäre gewünscht.

Rehavia und das deutsch-jüdische Jerusalem warten so noch immer auf ihren Historiker, der vieles sein muss: Stadtgänger, Physiognomiker und Porträtist von Häusern, politisch ebenso beschlagen wie geistes-, wissenschafts- und literarhistorisch, vor allem aber erzählerisch hochbegabt.

Thomas Sparr: »Grunewald im Orient. Das deutsch-jüdische Jerusalem«. Berenberg, Berlin 2017, 184 S., 22 €

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Glosse

Das kleine Glück

Was unsere Autorin Andrea Kiewel mit den Produkten der Berliner Bäckerei »Zeit für Brot« in Tel Aviv vereint

von Andrea Kiewel  20.12.2025