Kino

Wladimir und seine Freunde

Russendisko (2000) war Wladimir Kaminers erstes (und, wie manche meinen, bestes) Buch. Mit seinen subtilen, dabei schreiend komischen kleinen Skizzen aus dem Leben eines jungen russisch-jüdischen Kontingentflüchtlings etablierte sich der damals 33-Jährige als einzigartige Stimme in der deutschen Gegenwartsliteratur, ein legitimer Erbe Jaroslav Haseks und Daniil Charms’.

Jetzt hat Oliver Ziegenbalg Russendisko verfilmt. In dieser Woche kommt die Produktion in die Kinos. Sie ist, um es vorwegzunehmen, nicht geglückt. Filmemacher sind immer auf der Suche nach neuen Stoffen. Gerne greifen sie dabei marktbewährte Bestseller auf, um sie für die Leinwand zu adaptieren. Bei Romanen oder epischen Sachbüchern kann das gutgehen. Kaminers Buch aber ist kein Roman, sondern eine Sammlung von Geschichten, Anekdoten und Vignetten, geschrieben zum Lesen en détail.

Drehbuch Eine Rahmenhandlung, die der Film übernehmen und die ihn tragen könnte, gibt es in dem Buch nicht. Also hat der Regisseur, der gleichzeitig auch Verfasser des Drehbuchs ist, sich notgedrungen als narratives Gerüst eine Geschichte um Jungmännerfreundschaft sowie Liebesglück und Liebesleid ausgedacht.

Wladimir (Matthias Schweighöfer) kommt 1990 mit seinen Freunden Mischa (Friedrich Mücke) und Andrej (Christian Friedel) aus Moskau in die untergehende DDR, wo die drei sich jugendlich-unbekümmert durchs Leben schlagen. Dabei lernt Wladimir seine große Liebe Olga (Peri Baumeister) kennen, die er nach einigen Aufs und Abs für ein Leben an seiner Seite gewinnen kann.

Das amouröse Happy End am Schluss des Films paart sich mit einem Karrieresprung: Der bis dahin ziemlich ziellose Wladimir findet seine Berufung, nachdem seine Eltern ihm aus Moskau seine Plattensammlung mitgebracht haben, und macht die erfolgreiche »Russendisko« im Kaffee Burger in Berlin-Mitte auf.

Anekdoten Für 90 Minuten Film ist dieser Plot auf Daily-Soap-Niveau etwas dünn. Und so plätschert Russendisko anderthalb Stunden fast ohne Spannungsbögen vor sich hin. Gut ist er nur in den viel zu wenigen Szenen, die Anekdoten aus der literarischen Vorlage eins zu eins umsetzen. Dann bekommt der Zuschauer wenigstens eine Ahnung von der genialen Situationskomik und Ironie der literarischen Vorlage. Doch diese Passagen sind zu selten, um den Film zu retten.

Nicht, dass die Kinoversion von Russendisko richtig schlecht wäre. Sie ist nur nett und belanglos. Dazu trägt auch Hauptdarsteller Matthias Schweighöfer bei, der über die gesamten anderthalb Stunden nicht einmal aus seinem permanenten Netter-Junge-Gestus herausfindet. Immerhin, ein Gutes könnte der Film haben. Er wird vielleicht einige seiner Zuschauer motivieren, das Buch zu lesen. Die Lektüre würde für die Langeweile der Verfilmung ein wenig entschädigen.

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  07.11.2025