Redezeit

»Wir können stolz sein«

Buchautorin Waldtraut Lewin Foto: Andrea Grosz

Frau Lewin, wer ist Ihre Lieblingsfigur in der jüdischen Geschichte?
Ganz klar Bar Kochba – auch wenn er nur einer von vielen Protagonisten in der jüdischen Geschichte ist, auf die wir stolz sein können. Sein Mut, seine Stärke und seine Geradlinigkeit waren einzigartig. Er lehnte sich gegen die Unterdrücker auf und wollte sein Volk für immer von den Fesseln der herrschenden Römer befreien. Diese waren Bar Kochba und seinen Mitkämpfern natürlich weit überlegen. Trotzdem brachte er ihnen lange Zeit empfindliche Niederlagen bei – und kämpfte tapfer bis zum Schluss.

Täuscht der Eindruck, oder haben Sie in Ihrer »Geschichte der Juden« bewusst auch einen Schwerpunkt auf solche Heldenbiografien gelegt?
Das war mir wichtig, ja. Die landläufige Darstellung der jüdischen Geschichte ist leider allzu oft fast ausschließlich von Leiden, Tod und Unterdrückung geprägt. Der Blick der Mehrheitsgesellschaft auf das jüdische Volk ist stark auf die Schoa beschränkt. Auf dieses Thema gehe ich natürlich auch ausführlich ein. Ich will aber den vollständigen Blick auf die jüdische Geschichte liefern – und die umfasst eben weit mehr als den Holocaust.

In Ihrem Buch mischen sich reale und fiktive Passagen. Eine ungewöhnliche Form für einen Geschichtsband.
Als Autor muss man ja dafür sorgen, dass die Leute bei der Lektüre nicht einschlafen. »Du sollst nicht langweilen!«, lautet das erste Gebot beim Schreiben. Durch den Wechsel von rein berichtenden und erzählten Passagen wird die Geschichte lebendig, beim Lesen entsteht ein Sog. Das war mir wichtig – ich bin schließlich keine Historikerin, sondern Romanschriftstellerin.

In der Ankündigung des Titels steht, dass er auch Verschwörungstheorien aufgreift. Inwiefern?
Ich widme mich zum Beispiel den »Protokollen der Weisen von Zion«. Ein ganz übles antisemitisches Pamphlet. Ausgedacht hatte sich das ein verrückter russischer Spion. Auf Grundlage von Schauerromanen behauptete er, es gebe eine geheime jüdische Weltherrschaft, die sich regelmäßig auf dem Friedhof in Prag trifft. Viele nehmen das Buch bis heute für bare Münze. Im arabischen Fernsehen gibt es eine ganze Sendung über die angeblichen Protokolle, die darin als Wahrheit verkauft werden.

Der Band geht auch auf die Zeit der Schoa ein. Sie selbst sind 1937 geboren, bezeichnen sich als »Davongekommene«. Wie hat dieser Umstand Ihre Arbeit beeinflusst?
Ich hatte einen Großvater, dem es gelungen war, einen sogenannten Ariernachweis zu kaufen. Nur so konnte meine Familie in Deutschland überleben. Dass ich jüdisch bin, habe ich
von meiner Mutter erst nach dem Holocaust erfahren. Vieles von unserer tatsächlichen Identität wurde mir also erst später gesagt – und wurde so umso eindrücklicher für mich. In diesem zweiten Band gibt es schon auch fast mehrere Hundert Seiten, die ich nur mit großer Mühe ein zweites Mal Korrektur lesen konnte, ohne Albträume zu bekommen.

Das Gespräch führte Philipp Peyman Engel.

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Waldtraut Lewin, geboren 1937, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Berlin und war unter anderem Opernübersetzerin, Dramaturgin und Regisseurin. Seit 1978 arbeitet sie als Autorin von Romanen, Hörspielen und Drehbüchern, für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt.

Waldtraut Lewin: »Der Wind trägt die Worte – Geschichte und Geschichten der Juden von der Neuzeit bis in die Gegenwart«. Band 2. cbj Verlag, München 2013, 720 S., 24,99 €

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