Sachbuch

Wie das Gewitter in der Wolke

Sachbuch

Wie das Gewitter in der Wolke

Von Punk bis Techno: Stefan Lauer und Nicholas Potter analysieren Judenhass in Subkulturen

von Pascal Beck  10.09.2023 17:41 Uhr

In einem offenen Brief wurde das Münchener Tollwood-Festival in diesem Juli dazu aufgefordert, die spanische Punkband Ska-P auszuladen. Deren Lied »Intifada« sei ein »Paradebeispiel für linken israelbezogenen Antisemitismus«, so der Wortlaut des Briefs. Die Band durfte dennoch spielen, nicht jedoch dieses Lied. Bei ihrer Liveshow reagierten die Spanier auf das Verbot. Auf einem großen Bildschirm forderten die Musiker das Publikum dazu auf, »Freedom, freedom for Palestina!« zu skandieren – mit Erfolg. Zudem waren Intifada-Rufe zu hören. Währenddessen schwenkte einer der Musiker mit zugeklebtem Mund eine riesige Palästina-Flagge.

INTIFADA Die zweite Intifada (2000 bis 2005) war eine religiös aufgeladene Kampagne von Selbstmordattentaten auf israelische Zivilisten. Dass sich ausgerechnet eine linke Punkband positiv auf diese bezieht, scheint widersprüchlich. Ska-P sind allerdings nicht die Einzigen, deren vermeintliche Solidarität mit Palästina zu Ende gedacht eine Bedrohung für Juden weltweit bedeutet.

Der Sammelband Judenhass Underground, herausgegeben von Nicholas Potter und Stefan Lauer, analysiert, wo, wie und warum israelfeindliche Positionen in einer vermeintlich emanzipatorischen Subkultur Fuß fassen können und wann diese in antisemitische Ressentiments umschlagen. In den Beiträgen werden die verschiedensten Subkulturen und Bewegungen beleuchtet. Eingeleitet werden diese durch Hintergrundtexte. Damit wird es auch solchen Lesern ermöglicht, den Analysen zu folgen, die sich erstmalig mit Antisemitismus und Subkultur beschäftigen.

Zumeist ist es israelbezogener Antisemitismus, getarnt als vermeintlich progressive Israelkritik. Bereits 1969 erkannte der Schriftsteller Jean Améry, dass der Antisemitismus dem Antizionismus inhärent sei »wie das Gewitter in der Wolke«. Das ungeschriebene moralische Gesetz der Linken, so Améry in Der ehrbare Antisemitismus, sei es, sich stets auf die Seite der Schwächeren zu schlagen. Die Autoren des Sammelbands kommen zu einem ähnlichen Schluss.

Die Vorstellung vom moralisch eindeutigen Kampf der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker sei seit jeher Teil eines linken Selbstverständnisses, so etwa Jan Riebe in seinem einführenden Text zu linkem Antisemitismus. Übertragen auf den Nahen Osten gehe die Rechnung hingegen nicht auf.Es sind einfache Lösungen, die für einen komplexen Konflikt gesucht werden.

RAHMUNG Der Staat der Schoa-Überlebenden werde so plötzlich zu einer imperialistischen, neokolonialen Unternehmung, die beendet gehöre, schreiben Tom Uhlig und Nikolas Lelle in ihrem Beitrag. Diese Rahmung verstelle den Blick auf israelbezogenen Antisemitismus und die damit einhergehende Gefahr für Juden. Israelfeindliche Positionen finden sich dennoch immer häufiger in den verschiedensten Subkulturen und Bewegungen, die von sich behaupten, emanzipatorisch zu sein.

Nicholas Potter zeigt mögliche Gründe hierfür exemplarisch an der Klubkultur. Techno und House seien ab den 80er-Jahren eine Antwort auf eine weiße Kulturindustrie gewesen, die schwarze Künstler systematisch ausgebeutet habe. Trotz der politisierten Entstehungsgeschichte sei die Szene heute weitestgehend kommerzialisiert und entpolitisiert. Erst in den vergangenen Jahren hätten sich Teile der Szene wieder bemüht, diesem Trend etwas entgegenzusetzen.

»BLACK LIVES MATTER« Vor allem im Zuge der »Black Lives Matter«-Proteste habe man alte Fehler korrigieren und schwarze Künstler wieder mehr in den Fokus nehmen wollen. Black Lives Matter allerdings habe sich bereits 2016 der antisemitischen BDS-Bewegung angeschlossen und Israel als einen »Apartheidstaat« bezeichnet. Die Narrative der BDS-Bewegung konnten sich Potter zufolge somit bestens in der Klubszene verbreiten.

Die Folgen davon sind auch in Berlin zu spüren. Die beiden queeren Partyreihen »Room 4 Resistance« (2018) und »Buttons« (2021) beendeten ihre Zusammenarbeit mit dem Berliner Technoclub About Blank wegen dessen angeblicher Solidarität mit Israel.

»Die queere Befreiung ist grundsätzlich mit den Träumen von der palästinensischen Befreiung verbunden«, hieß es in einem Statement von Buttons, das auch von Black Lives Matter geteilt wurde. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Klub sei daher unmöglich.

Stefan Lauer und Nicholas Potter (Hg.): »Judenhass Underground. Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen«. Hentrich & Hentrich, Berlin 2023, 252 S., 22 €

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  23.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  23.04.2025

27. Januar

Der unbekannte Held von Auschwitz

Der »Berufsverbrecher« Otto Küsel rettete Hunderten das Leben. In Polen ist er ein Held, in Deutschland fast unbekannt. Das will Sebastian Christ mit einem Buch ändern, für das er 20 Jahre lang recherchiert hat

 23.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 23.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  23.04.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Hochzeitsnächte und der Vorhang des Vergessens

von Margalit Edelstein  22.04.2025

Graphic Novel

Therese Giehse in fünf Akten

Barbara Yelins Comic-Biografie der Schauspielerin und Kabarettistin

von Michael Schleicher  22.04.2025

TV-Tipp

Arte-Doku über Emilie Schindler - Nicht nur »die Frau von«

Emilie und Oskar Schindler setzten sich für ihre jüdischen Arbeiter ein. Am 23. April läuft auf Arte eine Doku, die Emilie in den Mittelpunkt rückt

von Leticia Witte  22.04.2025

Kino

Film zu SS-Plantage »Kräutergarten« kommt ins Kino

Der Ort ist fast vergessen: Häftlinge im KZ Dachau erlitten dort Furchtbares. Nun erinnert der Dokumentarfilm »Ein stummer Hund will ich nicht sein« daran

 22.04.2025